JULIA ZUTAVERN

DAS PACKEIS-SYNDROM (PETER KRIEG, BRD 1981/82)

MOMENTAUFNAHME

Das ist Peter Krieg in einer dramatischen Einstellung am Ende seiner «phantastischen Reportage» über die Bahnhofstrasse in Zürich. Der Schnee steht ihm bis zur Hüfte, Haar und Brille sind eisverkrustet und seine Lippen drohen, mit dem Mikrofon zu verkleben. «Mögli­cher­weise», so erklärt er zum Abschied, sei er «selbst mittlerweile vom Packeis-Syndrom infiziert» und müsste sich «dringend einer Wärme­­kur unterziehen». Die Einstellung zeigt das Ausmass der myste­- ri­ö­sen Epidemie, der die Reportage nachspürt. Sie ist aber auch ein Appell an die Zuschauer, «es in Ihrer Stadt nicht so weit kommen zu lassen: Tun Sie etwas, setzen Sie sich zur Wehr, richten Sie ein warmes, ein nacktes Chaos an, und lassen Sie die kalten Kräfte der Ordnung nicht auch Ihre Leben einfrieren. Es ist noch nicht zu spät. Guten Abend!» Doch der zuständige Fernsehdirektor hielt sie für einen «Aufruf zur Gewalt, der mit dem Rundfunkgesetz nicht vereinbar sei», und liess sie entfernen. Eine Reaktion, die nicht überraschte, war sie doch ein weiterer Beweis für die Existenz dieser schrecklichen Seuche.

Julia Zutavern
*1980, ist Oberassistentin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und Redaktionsmitglied von Montage AV. Ihre Dissertation Der Bewegungsfilm. Die Politik der Film- und Videoarbeit im Kontext sozialer Bewegungen erscheint im Sommer 2014. www.schueren-verlag.de
(Stand: 2014)
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