Seit mehr als hundert Jahren erzählt der Film nicht nur Geschichten, sondern auch Geschichte.1 Das Medium beeinflusst Sinnbildungsprozesse, die sowohl den historischen Gegenstand, als auch seine Erkenntnisweisen betreffen.2 Doch erst Hayden Whites Theorie einer Poetik der Geschichte liess den Spielfilm in den Fokus der Wissenschaft rücken.3 White hatte überzeugend dargelegt, dass Geschichtsschreibung notwendigerweise narrativ sein muss, strukturiert sie doch die zugrundeliegenden Daten. Während der grosse Filmemacher und Kinotheoretiker Jean-Luc Godard den Film eher als passiven «Protokollführer der Geschichte»4 beschreibt, versteht ihn der amerikanische Filmwissenschaftler Robert Burgoyne als einen differenzierten Austausch, als einen filmischen Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit.5 Tatsächlich füllt das Medium die Vorstellungen von vergangenen Zeiten mit Sinnlichkeit und Zeitlichkeit – allerdings im Modus der persönlichen Ereigniswahrnehmung. Abstrakte historische Daten werden durch subjektivierte Einzelerlebnisse überlagert. Im Sinne Niklas Luhmanns speist sich das populäre historische Wissen somit fast ausschliesslich aus den Massenmedien. In Zeiten, in denen sich die Wahrnehmung der Gegenwart vorrangig über mediale Bewegtbilder konstituiert, erklärt der dänische Medienwissenschaftler Rasmus Falbe-Hansen ganz zu Recht, dass auch die Grenzen zwischen Film und Geschichtsschreibung verschwänden. Das Medium müsse also nicht mehr als Ersatz oder Illustration für die geschriebene Geschichte, sondern als deren Erweiterung angesehen werden, die der Historiografie neue Facetten und Tiefe verleihe.6 Dieses postmoderne Verständnis einer diskursiven Ereignisvermittlung7 findet seine mediale Entsprechung in der Veränderung des filmischen Narrationsmodus. Nachdem Geschichte im Film zunächst als Ansammlung abgeschlossener, auf der Figurenhandlung und der ‹Bewegung der Welt› basierender Epochen präsentiert wurde, rückte Mitte des 20. Jahrhunderts die Zeit selbst in den Fokus. Die aktuellste Ausprägung der filmischen Vergangenheitsdarstellung bezieht ihre Wirkungsmacht aus dem diskursiven Charakter, der aus der Vermischung von ‹Bewegungsbild› und ‹Zeitbild› erwächst.8 Ästhetik und Narration werden nicht mehr ausschliesslich durch Figurenaktionen bestimmt. Stattdessen entsteht der Eindruck einer konsistenten Welt, deren Gesetzen auch die Protagonisten unterworfen sind. Nicht nur der Zuschauer, sondern auch die Filmfiguren werden so zu aufmerksamen Beobachtern von Raum und Zeit. Die filmische Vergangenheitsdarstellung reflektiert auf diese Weise die mediale Konstruktion von Historizität, ohne die Integrität der eigenen Realität infrage stellen zu müssen. Dieser Zusammenhang soll anhand der Analyse eines aktuellen ‹Geschichtsfilms›9 noch genauer nachvollzogen werden.
Darüber hinaus gilt es, die Entwicklung der politischen Aussagepotenziale zu betrachten. Die ideologische Ausrichtung zahlreicher Spielfilme der späten 1980er und 1990er Jahre bewegte sich im Umfeld von Francis Fukuyamas These, es gäbe ein «Ende der Geschichte», einen kurz bevorstehenden Zustand der weltweiten Demokratisierung bei gleichzeitiger, flächendeckender Einführung der Marktwirtschaft.10 Obwohl Fukuyamas Text schon damals als neokonservative Überhöhung des US-amerikanischen Staatssystems kritisiert wurde, änderten erst die politischen Folgen des 11. Septembers 2001, Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen das filmische Paradigma. Vor allem aktuelle Ausformungen des Film-Endes zeugen von einer sehr nachdenklichen, diskursiven Annäherung an ideologische Fragen des Geschichtsverständnisses. Im aktuellen Geschichtsfilm kulminieren diese Prozesse. Das Ende der Trennung zwischen klassischem und modernem Erzählen fällt zusammen mit der Absage an ein idealtypisches ‹Ende der Geschichte›. Beides zeigt sich ganz besonders in der narrativen Konstruktion und der audiovisuellen Form des Film-Endes, das die angesprochenen Transformationsprozesse auf diese Weise reflektiert.
Der Stellenwert des Film-Endes
Obwohl zahlreiche Geschichtsfilme bereits durch eine historische Umwälzung eingeleitet werden, treten die bedeutenden geschichtlichen Entwicklungen, Zäsuren und Errungenschaften zumeist erst am Film-Ende ein. Das hat einen bestimmten Grund, denn falls es «dem Realisator darum geht, eine ‹Botschaft› in sein Werk zu legen, stellt das Ende die letzte Gelegenheit dar, dies zu tun».11 Der amerikanische Medienphilosoph Noël Carroll hält das kontinuierliche Frage-Antwort-Schema, die «erotetic narration», für das prägende Merkmal des populären Films.12 Am Filmanfang wird eine übergreifende Makrofrage evoziert, die erst am Ende beantwortet wird. Mehr noch, im retrospektiven Blickwinkel steht das Ende an erster Stelle und nimmt in der Erinnerung an die Filmhandlung eine prominente Position ein.13 Die Konzeption vieler Geschichtsfilme berücksichtigt dies und kehrt die gängigen Erzähltheorien um. Indem das finale historische Ereignis potenziell bekannt ist, wird die Frage ‹Was wird passieren?› transformiert in ‹Wie ist es dazu gekommen?›. In Zeiten, in denen die historischen Meilensteine und Zäsuren durch eine neue, diskursive Betrachtung der Geschichte an erzählerischer Bedeutung verlieren, rückt damit das ‹Wie› der filmischen Inszenierung und Darstellungsform ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Überdies thematisieren die meisten aktuellen Geschichtsfilme Einzelereignisse von verhältnismässig kurzer Dauer, die in grössere historische Prozesse eingebettet sind. Während die Binnenhandlung zumindest teilweise zu einem Abschluss kommt, setzt sich die Makrogeschichte auch nach dem Film-Ende fort. Die Grenze des Fiktionalen, die von Christian Metz postulierte Geschlossenheit einer jeden Erzählung,14 wird ein Stück weit aufgebrochen. Auch wenn der Film selbst endet, wissen wir, dass und unter Umständen auch wie es weitergeht. Dieses Wissen ermöglicht die Einordnung des Audiovisuellen in den Ereignisstrom der ausserfilmischen Realität. Der Zuschauer hinterfragt nach Film-Ende die Glaubwürdigkeit des Gesehenen. Das gilt insbesondere für den Geschichtsfilm. Der empfundene Grad an Authentizität bemisst sich hierbei nicht nur an der Übereinstimmung mit der subjektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern auch im Vergleich mit der dargebotenen Realität seitens verschiedenster Medien. Das besondere Historisierungspotenzial des Films basiert demzufolge auf einer postmodernen Verknüpfung des audiovisuellen Sinneserlebnisses mit anderen medial geformten Bestandteilen des kollektiven Gedächtnisses. Populäre und wissenschaftliche Texte werden mit dokumentarischen und fiktionalen, statischen und bewegten Bildern zu einem Palimpsest verwoben, das wir als Geschichte wahrnehmen.
‹Bewegungs-› und ‹Zeitbild›
Der Geschichtsfilm geht ganz in der Paradoxie der Historiografie auf. Prinzipiell zur Zukunft hin geöffnet, wird die Geschichte retrospektiv zu bedeutenden Ereignissen erzählt. Die vom Ende her und auf das Ende hin konstruierte Dramaturgie ist noch weitgehend Gilles Deleuzes Theorie des ‹Bewegungsbildes› verpflichtet. Vor allem der klassische Historienfilm erzeugt eine in sich geschlossene Welt, deren Ästhetik und Ausgestaltung den Anforderungen des Inhalts folgt. Damit begünstigt er ein Geschichtsbild der sukzessiven Entwicklung, eine Historiografie der Zäsuren. Der Effekt der Geschlossenheit unterbindet selbstreflexive Potenziale, sodass eine kohärente, aber nur sehr bedingt an realhistorische Kontexte anschlussfähige Lesart der Vergangenheit entsteht. Erst Strömungen wie der italienische Neorealismus brachen mit dieser Tradition. Die historische Kontingenz löst die vermeintliche Determination auf. Die Protagonisten werden selbst zu Beobachtern ihrer Zeit und etablieren das, was Deleuze das ‹Zeitbild› nennt. Geschichte wird dieser Logik zufolge als fliessender Prozess verstanden. Oliver Fahle ergänzt zum folgenreichen Übergang vom ‹Bewegungs-› zum ‹Zeitbild›: «Nicht mehr ist es die Materie, die das Zeichen organisiert, sondern nun bestimmt das Zeichen die Materie, ihr Verhältnis kehrt sich um.»15 Übertragen auf die Berührungspunkte von Film und Geschichtsschreibung markiert diese Verselbständigung des Zeichens den Beginn einer audiovisuellen Historiografie. Der postmoderne Film muss in diesem Zusammenhang als mächtiger Versuch verstanden werden, die Unvereinbarkeiten zwischen klassischer und moderner Form zu beseitigen. Das Kunststück, über die Ebene der Selbstreferenzialität hinauszuweisen, gelingt aber erst im Kino des 21. Jahrhunderts, das so gesehen eine ‹Zweite Moderne› begründet. Zwar basieren die meisten aktuellen Geschichtsfilme noch immer auf der Logik des ‹Bewegungsbildes›, die postmoderne Verwendung von Zeichen, die selbst wiederum auf Zeichen verweisen, erweitert jedoch ganz entscheidend die Darstellungspotenziale. «Beobachtung setzt sich nicht mehr automatisch in Handlung um, sondern wird selbst zum Reflexionsphänomen», so resümiert Fahle. Die Merkmale der Postmoderne seien demzufolge zum «selbstverständlichen Bestand filmischer Ästhetik» geworden.16 – Eine Entwicklung, die sich ganz besonders auf die filmische Darstellung von Geschichte auswirkt, wie die folgende Untersuchung zeigen wird.
Argo: Postmoderne Ansätze im populären Geschichtsfilm
Die Anfangs- und die Endsequenz von Ben Afflecks Film Argo (USA 2012) untermauern beispielhaft die Theorie der ‹Zweiten Moderne›. Sechs Amerikaner entkommen im Jahr 1979 der Geiselnahme von Teheran und werden unter dem Vorwand eines angeblichen Filmprojekts ausser Landes geschmuggelt. Eine tragende Rolle spielt der CIA-Agent Tony Mendez, der praktisch im Alleingang in den Iran reist, um seine Landsleute zu retten. Der Prolog präsentiert die Vorgeschichte der Iranischen Revolution im Modus des Dokumentarischen. Besonders betont wird die unrühmliche Rolle der USA und Grossbritanniens, die den skrupellosen iranischen Schah Mohammad Reza Pahlawi als strategischen Partner unterstützten und ihm nach seinem Sturz Exil gewährten. Als Referenzindikatoren kommen dokumentarische Fotografien und Filmsequenzen sowie ein erklärender Off-Kommentar zum Einsatz. Oliver Fahle beschreibt einen solchen Gebrauch von Bildzitaten als wesentliches Merkmal des postmodernen Films. Darüber hinaus arbeitet die Sequenz mit der Umwidmung von Bildformen aus anderen Medien; ein Vorgang, den Laurent Jullier «recyclage»17 nennt. Das filmische Bild wird – in diesem Fall mit der Darstellung von Storyboards – geradezu ‹ausgeweitet› (Abb. 1). Gezeichnete Kameraanweisungen verweisen hierbei auf den filmischen Entstehungsprozess. Durch das Hinzufügen von Farbe und die langsame Bewegung der Kamera werden die statischen Bilder dynamisiert. Indem die Zeichnungen mitunter zu historischen Fotografien gemorpht werden, wird die Vergangenheit langsam zum Leben erweckt. Umgekehrt überträgt sich der Nimbus des Dokumentarischen auf die fiktionalen Elemente. Die Sequenz fungiert als postmoderne Reflexion der Strategien filmischer Historisierung. Das zentrale Bild zeigt den Schah beim Hinabsteigen der Gangway seines Flugzeugs nach der Ankunft in den USA. Dann geschieht das Entscheidende: Das Storyboard wird mit einer nonfiktionalen Videoaufnahme überblendet (Abb. 2–3). Was filmisch das Verschmelzen historischer Quellen mit narrativen Elementen betont und auf politischer Ebene die Wut der Iraner über die amerikanische Unterstützung des Despoten erklärt, dient gleichzeitig als Ausgangspunkt für die fiktionale Erzählung. Bereits der Prolog des Films präfiguriert damit eine ‹dokumentarisierende Lektüre›;18 eine Rezeptionshaltung, die die Filmhandlung als Reenactment der realhistorischen Ereignisse auffasst. Auch die visuelle Darstellung der Haupthandlung, die durch eine Texttafel mit dem Hinweis «nach einer wahren Begebenheit» eingeleitet wird, orientiert sich an dokumentarischen Aufnahmen. Das Ende des Films knüpft hier an.
Während der Prolog über die historische Ausgangslage informiert und die Haupthandlung auf der individuellen Figurenebene spielt, werden im Epilog die zuvor dargestellten Ereignisse in den grösseren historischen Kontext eingeordnet. Anders als im konventionellen Spielfilm dient das Ende also weniger einer «deutliche[n] Grenzziehung»19 zur Storywelt als einer direkten Verknüpfung mit der ausserfilmischen Medienrealität. Hierzu werden erneut nonfiktionale Sequenzen eingebunden, etwa ein Fernsehinterview mit der kanadischen Aussenministerin oder eine Stellungnahme des iranischen Regierungssprechers. Das Bestreben, das Verhältnis zur thematisierten Aussenrealität mitzubestimmen, beeinflusst auch die Relation zur Historiografie. In assoziativer Nähe zur geschriebenen Geschichte erläutern Texttafeln die weitere historische Entwicklung. Der Bildhintergrund, der von Star-Wars- und anderen Science-Fiction-Figuren im Regal von Mendez’ Sohn gebildet wird, erhält den Bezug zur Filmhandlung aufrecht (Abb. 4). Abschliessend schwenkt die Kamera auf ein Storyboard aus dem vermeintlichen Science-Fiction-Projekt Argo, das dem Zuschauer die Rolle der ‹Traumfabrik› in der Historisierung realer Ereignisse vor Augen führt. Das filmische Bild – und man könnte hinzufügen, auch das historische Bild – «steht nicht mehr nur in der Funktion der Narration, sondern reflektiert seinen eigenen Status, seine eigene Herstellungsweise».20 Im Falle von Argo heisst das: Während die gezeichnete Annäherung im Prolog noch mit einer dokumentarischen Sequenz überblendet wird – das Storyboard also als Abbild der Medienrealität fungiert – werden im Abspann Standbilder aus der Haupthandlung und dokumentarische Bilder nebeneinander gestellt. Der Vergleich zwischen Filmfiguren und realen Vorbildern, zwischen historischen Fotografien und filmischem Reenactment weist Argo ebenso als artifizielles Produkt wie als sinnliche Neubelebung der Vergangenheit aus (Abb. 5–6). Dem fiktionalen Film wird auf diese Weise eine eigene fotografische Wirklichkeit zugestanden, die gleichberechtigt neben historischen Bildquellen steht. Diese selbstreferenzielle Thematisierung der Erzeugung vermeintlich realhistorischer Bilder basiert auf der postmodernen Vorstellung, «dass Bilder immer schon in irgendeiner Form mediatisiert sind».21 An die Stelle schriftlicher ‹master narratives› treten Verweise auf fiktionale und nonfiktionale Medienbilder. Die in Argo abschliessend eingeblendeten Fotos der realen Beteiligten und ein resümierender Off-Kommentar von Jimmy Carter – eine offizielle Beglaubigung von höchstmöglicher Stelle – bekräftigen nochmals den Eindruck, dass Historiografie nunmehr auch als Mediengeschichte begriffen werden muss.
Die am Filmanfang und -ende zu beobachtende narrativ-ästhetische Selbstreflexion setzt sich auch in der Handlung fort. Argo thematisiert die Abläufe in der Vorbereitung einer Spielfilmproduktion – in einer Zeit, in der nicht nur der Hollywood-Schriftzug in einem desolaten Zustand war (Abb. 7). Die späten 1970er Jahre gelten als Periode der Kommerzialisierung und Selbstausschlachtung des Films. Die dunkle Seite der Postmoderne brachte eine Flut an billigen Kopien erfolgreicher Kassenschlager hervor. Auch das Konzept des von der CIA vorgetäuschten Filmprojektes basiert auf einem Abklatsch von Star Wars – und erringt gerade hierdurch Glaubwürdigkeit. So hatte das Kino zwar an Glanz, nichts aber von seiner Magie verloren, wie eine Sequenz am Flughafen von Teheran verdeutlicht. Unmittelbar vor dem Boarding werden die flüchtigen Amerikaner von iranischen Sicherheitskräften aufgehalten. Doch einer der Botschaftsmitarbeiter ist der persischen Sprache mächtig und erklärt gestenreich die mitgebrachten Storyboards. Die hoffnungsvoll anschwellende Musik hebt den Zauber des Geschichtenerzählens hervor. Und tatsächlich erliegen selbst die grimmigen Revolutionswächter der Faszination des Filmemachens. Die Amerikaner dürfen passieren, während die Iraner angeregt über den Plot fachsimpeln. Die Episode am Flughafen kann als idealistische Hommage an das frühe Kracauer’sche Verständnis von Film als interkulturelle ‹Universalsprache› verstanden werden.22 Mehr noch, der Spielfilm fungiert als ‹Welt nach unseren Wünschen›.23 Im Gegensatz zum Fernsehen, dessen überwachende Medienrealität von Protesten, Hass und leeren Statements immer wieder ins Bild gerückt wird, scheint nur noch im Kino ein Happy End möglich.
Die exemplarische Analyse zeigt: Argo vereint zwei Herangehensweisen, die Robert Burgoyne als «topical historical film» und «metahistorical film» definiert. Während der «topical historical film» historische Sachverhalte und Konflikte durch die Linse eines bestimmten Ereignisses darstellt, hinterfragt der «metahistorical film» die Art und Weise, wie Geschichte repräsentiert wird.24 Der aktuelle Geschichtsfilm verbindet klassische und postmoderne Konzepte, indem er das mediale Potenzial zur Darstellung von Geschichte anhand eines konkreten Ereignisses hinterfragt. Während die Logik des ‹Bewegungsbildes› Bezugspunkte liefert und Orientierung verspricht, manifestiert sich das aus zahlreichen selbstreflexiven Elementen zusammengesetzte ‹Zeitbild› als medialer Nachklang, der die vorangegangene Handlung als Teil eines grösseren realhistorischen Prozesses ausweist.
Filmische Historisierung nach dem ‹Ende der Geschichte›
Nachdem mit dem Begriff ‹Das Ende der Geschichte› zunächst eine postmoderne Position, der Verlust der Wirklichkeitsbezüge in den modernen Massenmedien,25 umschrieben wurde, verlagerte Francis Fukuyama Ende der 1980er Jahre die Aufmerksamkeit auf ideologische Faktoren.26 Dem als neokonservativ Gescholtenen warf man Anfang der 1990er Jahre vor, die US-amerikanische Staatswirklichkeit zum «Höhe- und Endpunkt der Geschichte» zu stilisieren.27 In der Tat deutete Fukuyama die Geschichte als Siegeszug des ökonomischen und politischen Liberalismus. Die westliche Demokratie betrachtete er als «final form of human government», einen Endpunkt der Geschichte, auf den sich alle Staaten der Welt zubewegten. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die wirtschaftlichen Reformen in China gaben Fukuyama zunächst Recht. Auch in Hollywood herrschte weitgehend Konsens. Noch zur Jahrtausendwende basierten Kriegsfilme wie Saving Private Ryan (Steven Spielberg, USA 1998) und Historienfilme wie The Patriot (Roland Emmerich, USA 2000) auf einer entsprechenden Ideologie. Das endete mit den Ereignissen vom 11. September 2001. Störfaktoren wie der radikale Islamismus, Klimakatastrophen, Kriege28 und Wirtschaftskrisen liessen sich seither kaum mehr ignorieren. Filme wie Lions for Lambs (Robert Redford, USA 2007) und In the Valley of Elah (Paul Haggis, USA 2007) verhandeln die hieraus resultierende Katerstimmung und den nachhaltigen Zweifel am ‹American Way› durchaus differenziert.
Auch Argo rechnet mit der zum Teil skrupellosen amerikanischen Aussenpolitik ab. Im Prolog und in einigen Figurenaussagen wird die Unterstützung von Diktatoren und Gewaltherrschern offen als Ursache des anti-US-amerikanischen Hasses gebrandmarkt. Allerdings trennt der Film den Staat von der Kulturnation. Zwar wimmelt Hollywood in Argo von zwielichtigen Gestalten, dennoch hat hier selbst der raffgierigste Produzent das Herz am rechten Fleck. Trotz aller Verkommenheit wird die Kultur zum Gewissen der Nation stilisiert. Dennoch lässt sich eines feststellen: Die ‹Botschaft› vieler aktueller Geschichtsfilme hat sich von ideologischen Allgemeinplätzen gelöst und dekonstruiert den allgemeinen Geltungsanspruch des ‹American Way›. Das schlägt sich auch in formalen Aspekten nieder. Das vormals äusserst beliebte Happy End wird von innen heraus aufgelöst. Jahrzehntelang liessen der unerschütterliche Optimismus und der Fortschrittsglaube der westlichen Bevölkerungen die Filmemacher am Konzept des glücklichen Ausgangs festhalten. Fritz Lang schrieb schon 1948 von den «namenlosen Millionen, die im bitteren Kampf des Alltags» stünden und doch an «eine unbestimmt leuchtende, lebendige Zukunft» glaubten.29
Diese idealistische, vielleicht auch naive Einstellung scheint in den letzten beiden Dekaden verloren gegangen zu sein. Die Zweifel an der uneingeschränkten, glücklichen Lösung sind in Filmen bereits in der gesamten Handlung angelegt. So müsste für ein Happy End Gut und Böse unterscheidbar bleiben und das Gute letztlich siegen. – Doch was, wenn selbst die eigene Politik von diesen Idealen abweicht oder wenn das vermeintlich Gute nur durch das Schlechte erreicht werden kann? Obwohl es beispielsweise in Argo mit der Ausreise der Amerikaner zu einer glücklichen Lösung des Hauptkonfliktes kommt, wird der Zuschauer nicht über die bleibenden Probleme hinweggetäuscht. Parallel zum bequemen Flug der Botschaftsmitarbeiter ist die beschwerliche Flucht der iranischen Haushälterin montiert. Zu Fuss und mit nur wenigen Habseligkeiten überschreitet sie mit zahlreichen anderen Landsleuten die Grenze zum Irak. Die für ein ungetrübtes Happy End notwendige ‹poetische Gerechtigkeit› wird dem Realismus untergeordnet. Die Abwendung von universellen Utopien wie Fukuyamas ‹Ende der Geschichte› kann demzufolge auch als Resultat des postmodernen Mentalitätswandels verstanden werden. Der hiermit verbundene Abschied vom tröstlichen ‹Alles-wird-gut-Dogma› war dem Erfolg vieler Geschichtsfilme jedoch nicht abträglich. Schon Fritz Lang hatte erkannt, dass das Publikum gar kein konventionelles Happy End verlange, wenn es um die wirklich entscheidenden Fragen von Leben und Tod gehe. Im Mittelpunkt steht stattdessen etwas anderes: Indem Filme wie Argo selbstreflexiv demonstrieren, wie das Medium Film Geschichte macht, wird die Historiografie zur Filmgeschichte, zu einer wahrhaften ‹audiovisual history›.