Was ist aus den Idealen der 68er geworden? Drei Männer und drei Frauen, alle Jahrgang 1948, schauen zurück auf ihr Leben, ihre Träume und Enttäuschungen. Die Forderungen, die sie an ihr Leben und an die Gesellschaft stellten, waren so heterogen wie die Menschen, die sich zur Bewegung zusammenschlossen. Wollten die einen die sexuelle Befreiung, strebten andere nach neuen Gesellschafts- und Lebensformen, wieder andere ihrer Zeitgenossen jedoch strebten nach Karriere und Sicherheit; nicht alle 68er waren auch Bewegte. Darum geht es unter anderem in Veronika Minders neuem Film. Die Regisseurin erzeugt durch die Lebensgeschichten der sechs Protagonisten und ihre unterschiedlichen Lebenserfahrungen ein Prisma der Zeitgeschichte und zeigt dadurch auf intelligente Weise die Relativität von Geschichtsschreibung.
Korrespondiert die Biografie von vier Protagonisten mit den Vorstellungen der 68er – politische Revolte, Reisen nach Indien, sexuelle Experimentierfreudigkeit –, so zeigt die zurückblickende, nüchterne Betrachtung aber auch deren Konstruiertheit und nachträgliche Mythologisierung auf. Auf der ästhetischen Ebene erweist sich der Film als buntes Zusammenspiel von Archivaufnahmen, Fotografien, den Interviews der Gegenwart und der Tonspur der vergangenen Jahrzehnte. Narrativ oszilliert der Film zwischen persönlicher Zeitgeschichte und gesellschaftlichem Kontext und den grossen Fragen des Lebens. Dieser Ansatz ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Films. Entsteht bei manchen Protagonisten ein detailliertes Bild ihrer Lebensgeschichte, bleiben andere am Schluss des Filmes so unbekannt wie zu Anfang. So beschränkt sich die Porträtierung des Physikers fast ausschliesslich auf die Wiedergabe von kosmologischen Weisheiten, die man eigentlich schon von Stephen Hawking und Co. kennt. In diesem Sinne wäre weniger mehr gewesen, hätte eine engere Beschränkung der Thematik den ausgewählten Topoi mehr Tiefe verliehen. Andererseits ergibt sich aus der Heterogenität des Stoffes ein faszinierendes Gesamtbild der Geschichte der vergangenen sechzig Jahre, das sich in den Erfahrungen und Weltsichten der einzelnen Protagonisten widerspiegelt.
Veronika Minder, Jahrgang 1948, studierte Kunstgeschichte in Bern und Brüssel. 2005 erschien ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm Katzenball über die lesbische Subkultur in der Schweiz und ihren gesellschaftspolitischen Wandel, der in Berlin den Teddy-Award für den besten Dokumentarfilm gewann. Hier wie dort setzt sich die lesbische Regisseurin mit ihrer eigenen Biografie auseinander, die sie in einen grösseren Zusammenhang stellt und hinterfragt.