SONJA ENZ

DAS BESSERE LEBEN IST ANDERSWO (ROLANDO COLLA)

SELECTION CINEMA

Ausbrechen aus dem Alltagstrott und ein anderes, selbstbestimmtes Leben führen – diese Sehnsucht verbindet die Protagonisten in Rolando Collas Film Das bessere Leben ist anderswo. Der Schaffhauser Regisseur hat drei Menschen in drei verschiedenen Ländern über einen Zeitraum von rund zehn Jahren begleitet: Enver in Bosnien, Emilio in Kuba und Andrea in der Schweiz. Sie alle haben das Gefühl, in ihrem Leben gefangen zu sein. Der Schafhirte Enver sitzt fest in der Einsamkeit. Er lebt alleine am Berg Igman in Bosnien, hat das Vertrauen in Menschen verloren und sagt, er habe eigentlich nie etwas Schönes erlebt. Emilio, ein Psychiater in Kuba, darf wegen seiner systemkritischen Haltung nicht frei reden und schon gar nicht ausreisen. Er träumt von offenen Räumen, einem Feld voller Schnee und von «etwas mehr Luft». Andrea ist Krankenschwester in Zürich und hatte eigentlich schon immer das Gefühl, rauszumüssen aus diesem Land, wo man «keine Fehler machen darf und wo aus nichts ein Problem wird».

Rolando Colla gelingt es, für das Lebensgefühl von Enver, Emilio und Andrea eindrückliche Bilder zu finden. Aufnahmen der unwirtlichen, schneebedeckten Landschaft Bosniens, der bröckelnden, schäbigen Fassaden in Kuba und der sterilen Ordnung der Schweiz lassen die innere Verlorenheit und die beklemmende Enge der Protagonisten erahnen. Die Landschaftsbilder tragen aber auch zum eher bedächtigen Tempo des Films bei. Der zuweilen fast schleppende Rhythmus macht den bedrückenden Zustand des Wartens auf eine Veränderung auch für den Zuschauer fühlbar.

Enver, Emilio und Andrea bringen dem Filmemacher grosses Vertrauen entgegen. Dank dessen Einfühlungsvermögen bietet der Film Einblick in drei Leben, die zwar von ähnlichen Ängsten und Hoffnungen geprägt sind, aber ganz unterschiedlich verlaufen: Enver resigniert. Andrea hat grosse Träume und konkrete Pläne, von denen aber die meisten scheitern. Und für Emilio öffnet sich eine Tür, die hinausführt aus dem einengenden Leben im kommunistischen Kuba – er wird für einen Auslandeinsatz in Bolivien engagiert. Diese Aussicht auf ein Stück Freiheit zeigt uns Colla auch im Bild: Emilios Stimme klingt aus dem Off, und die Kamera schwenkt hinaus aufs weite Meer – in den offenen Raum, von dem Emilio lange geträumt hatte.

Nachdem Rolando Colla dieses Jahr den Schweizer Filmpreis für seinen Spielfilm Giochi d’Estate (Summer Games) gewonnen hat, ist Das bessere Leben ist anderswo nun sein erster Langzeit-Dokumentarfilm.

Sonja Enz
*1989, studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften, Zeitgeschichte und Kunstgeschichte an der Universität Freiburg.
(Stand: 2013)
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