Cécile (Julia Perazzini) und ihre zehnjährige Tochter Marion (Alexandra Angiolini) sind auf der Flucht – und dies am Schweizer Nationalfeiertag. Das Radio berichtet über einen Anschlag auf eine Bahnstrecke zwischen der Schweiz und Frankreich und spielt die Nationalhymne, während Cécile bei der Frau eines Bauern einen braun-goldenen Ford Taunus ersteht. Vom Stroh seines Abstellplatzes in der Scheune befreit, trägt dieser die beiden durch die weiten Sommerweizenfelder des Waadtlands mit Ziel Toulouse – und vielleicht noch viel weiter: Die kleine Marion träumt davon, Astronautin zu werden, und hat das kultige Gefährt «Ariane» getauft.
Lionel Baier überrascht immer wieder mit seinen Filmen – so auch mit seinem traumwandlerischen Toulouse. Darin setzt er seine Bewunderung für die Tradition des grossen Westschweizer Kinos der 70er-Jahre um und realisiert ein utopisches Märchen «on the road». Dabei ist Toulouse nicht sein erstes Roadmovie, erzählte doch schon Comme les voleurs (2006) – das Baier wortspielerisch und doppeldeutig mit «Autofiktion» bezeichnete – von der Reise eines Geschwisterpaars Richtung Osten. Und wie in Comme les voleurs zeigt sich im Lauf der Geschichte von Toulouse ein ähnlich abenteuerlicher Mix der Genres: Was wie ein Krimi (vor subversivem Hintergrund) beginnt, wird unversehens zum Beziehungsdrama, um schliesslich in eines dieser gesellschaftskritischen 70er-Jahre-Roadmovies des Schweizer Films überzugehen, in denen die Hauptfiguren – meist Frauen – alle Brücken hinter sich abbrechen, auf der Suche nach sich selbst und der weiten Welt.
Die Referenzen an die von Baier viel bewunderten «Vorfahren» des neuen Schweizer Films aus der Romandie sind augenscheinlich: etwa an Alain Tanner und Messidor, an Yves Yersin und Les petites fugues und immer wieder an Jean-Luc Godard – nebst der Anlehnung an verschiedene Titel aus dessen Filmografie tauchen auch verspielte Zitate auf –, so etwa kadrierte Schriftzüge, die Faszination für das Auto oder auch Verfremdungsmechanismen wie die offensichtlichen Rückprojektionen bei den Fahrtsequenzen.
Gedreht wurde der Film hauptsächlich in der Gegend um die Waadtländer Gemeinde Aubonne – als Hommage an die Stadt, in der Lionel Baier aufwuchs – und in Zusammenarbeit mit der dortigen Schauspielertruppe Dentcreuze. Daraus entstanden ist ein heiter-existenzialistisches Märchen, das mit viel Charme und einem postmodernen Augenzwinkern auf die frühere Erfolgsgeschichte des Westschweizer Films verweist.