GÜNTER A. BUCHWALD

METROPOLIS (FRITZ LANG, D 1926)

MOMENTAUFNAHME

Verwirrend die Szene kurz vor ENDE: Die Arbeiter schreiten zur Kathedrale, hinweisend auf: Freder, Herr über die Oberstadt. Sein Sohn soll als Mittler zwischen Kapital und Arbeit installiert werden. Béla Balázs entrüstete sich gegen diesen Pakt jenseits eines Tarifvertrages. Ich entrüste mich, wissend, dass diese Propaganda die Nazis an die Macht spülte, wissend, dass sich Fritz Lang vom Film distanzierte. Uner­träglich ist diese Szene, wird sie musi­kalisch überhöht. 1995 unterlegte Armin Brunner hier einen pompösen Wagner. Darf ich als Stummfilmmusiker eingreifen? Als «Mitstreiter» für das «Erleben» des Filmes nicht. Einen Kommentar abgeben? Als politisch denkender Mensch ja. Ich fühle es: Beide Lösungen sind unbrauchbar. Meine Musik bricht ab. Sie evozierte zuvor zwei Stunden Gefühle und Span­nungen, die dem Bild Tiefe, Dynamik, Tempo verliehen. Jetzt schweige ich. Die Pause soll das Publikum anregen, sich über diese Pause Gedanken zu machen. 1995 verliess ich angewidert das Kino. Heute freue ich mich, wenn das Publikum nachdenklich aus der Kinowelt in die Realität zurückkommt.

Günter A. Buchwald
*1952, Freiburg i. Br., studierte Musik und Geschichte. Seit 1978 ist er weltweit als Stumm­filmmusiker tätig und begleitet Stumm­­filme live mit Klavier, Violine, Viola, Orgel oder als Dirigent und Komponist. Er zählt somit zu den Pionieren der Stummfilmrenaissance. Er lehrt als Gastdozent Themen der Filmmusik und unterrichtet an der Musikhochschule Basel, Abteilung Jazz. www.stummfilmmusiker.de
(Stand: 2013)
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