BRUNO SPOERRI

DER KONGRESS DER PINGUINE (HANS-ULRICH SCHLUMPF, CH 1993)

MOMENTAUFNAHME

Die Aufgabe: zur bereits ausgewählten grossorchestralen Musik von Rachmaninow und Saint-Saëns ein ebenbürtiges Thema zu finden, das vor allem zu den Szenen mit den wandernden Pinguinen passte. Der watschelnde Gang der Tiere verführte zur Komik, das ernste Film­thema verbot diese Assoziation. Ich habe gelernt, auf die spontanen Einfälle beim ersten Betrachten eines Films zu achten – oft sind sie besser als alles mühsam Erarbeitete. Es gibt Momente, die den Musiker verführen. Hier war es eine kurze Szene, in der das Gewackel der Beine einen unregelmässigen Rhythmus ergab: 3 - 3 - 2 - 3, und ein Thema suggerierte. Zusammen mit dem Klang des nasalen Krächzens der Pinguine entstand eine kleine Melodie, gespielt in der tiefsten Lage eines Englischhorns, welche als immer kreisender Loop immer wieder auftauchte und die Grundlage für alle weiteren Kom­po­sitionsteile bildete. Es gibt mannig­fache Theorien und Anleitungen zur Manipulation des Zuschauers beziehungsweise Zuhörers durch die Film­musik. Die Praxis funktioniert oft umgekehrt: Der Film steuert den Komponisten, zwingt ihn zu einer musikalischen Idee.

Bruno Spoerri
* 1935, Jazzmusiker, Musikproduzent und Schweizer Computermusikpionier, Mitbegrün­der des Schweizerischen Zentrums für Compu­termusik. Musiker, Komponist, Dozent, u. a. am Konservatorium Biel und an der Musikhochschule Luzern. Zusammenarbeit u. a. mit Joel Chadabe, Joel Vandroogenbroeck, Reto Weber, Gerry Mulligan, David Moss, Christy Doran oder auch Roger Girod. Jüngste Ver­öffentlichung: Musik aus dem Nichts. Die Geschichte der elektroakustischen Musik der Schweiz. Chronos 2010. www.computerjazz.ch
(Stand: 2013)
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