Die Nacht scheint ewig, wenn man nicht schlafen kann. Was das bedeutet und wie ein zu langer Wachzustand die Sinne beeinträchtigt, erkundet Jacqueline Zünd in Goodnight Nobody. Der Dokumentarfilm spürt den mentalen Auswirkungen der Krankheit Insomnia nach, indem er vier ganz unterschiedliche Menschen durch die Nacht begleitet und ihre Befindlichkeit nicht nur präsentiert, sondern zumindest annähernd nachvollziehbar macht. In Burkina Faso, in der Ukraine, in Schanghai und in Arizona wohnen die zwei Männer und zwei Frauen, deren Leben durch chronische Schlaflosigkeit stark beeinträchtigt wird: Der Nachtwächter Jérémie, die Punkfrau Mila, die Krankenschwester Lin Yao und Fedor, ein älterer Mann, den Zeitungen auch schon als unheimliche Sensation dargestellt haben.
Kommentare der Betroffenen über ihren Zustand wechseln in Goodnight Nobody mit starken atmosphärischen Dämmerungs- und Nacht-Bildern: Das Lichterspiel der Hausfassaden in der nur halb erleuchteten Metropole Schanghai, das Scheinwerferlicht und die Schatten auf verlassenen amerikanischen Strassen, das Grau des trostlosen Hinterlands in der Ukraine, kontrastiert mit dem Licht schwacher Birnen in kargen, ärmlichen Innenräumen, schwarzen Silhouetten von Radfahrern auf staubigem Untergrund in Burkina Faso.
Mutig ist der konsequente Verzicht der jungen Zürcher Filmemacherin auf Erklärungen des geheimnisvollen und erstaunlichen Insomnia-Phänomens. Dieses muss bis zum Schluss rätselhaft bleiben, denn die Regisseurin hat bewusst und klugerweise medizinische oder psychologische Definitionen und Deutungen weggelassen. Allerdings erscheint trotz der Konzentration auf den Insomnia-Zustand die geografisch weit ausgreifende – und nicht zuletzt auch sehr aufwendige – Auswahl der Protagonisten letztlich zu wenig zwingend, da der Film Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten nicht thematisiert. So erfährt man beispielsweise nicht, wie sich das Leben mit diesem stark beeinträchtigenden Phänomen an einem Ort von dem an einem anderen Ort unterscheidet und wie der Umgang damit sich durch kulturelle oder arbeitsspezifische Gegebenheiten verändert. Die schillernde Grauzone zwischen Wachzustand und Schlaf unterstreicht aber Marcel Vaids subtile Musikkomposition (für die er bereits zum zweiten Mal mit dem Schweizer Filmpreis in dieser Sparte ausgezeichnet wurde), die die schiere Unerträglichkeit eines andauernden Zwangs zum Wach-Sein mit sirrenden, pochenden, schwebenden Klängen beinahe physisch spürbar macht. Der langsame Rhythmus des Films und die unwirklichen Szenerien erzeugen einen hypnotisierenden Sog, dem man sich am besten nicht in nüchtern-wacher Stimmung aussetzt.