NATHAN SCHOCHER

THE SUBSTANCE – ALBERT HOFMANN’S LSD (MARTIN WITZ)

SELECTION CINEMA

«Es war ja die ersten zehn Jahre eine Wunderdroge. Das war so ein wichtiges Hilfsmittel in der Psychiatrie für Patienten! Und ich war immer überzeugt: LSD – das kommt noch, seine richtige Anwendung. Das kann nicht untergehen, das ist unmöglich.»

In einem beeindruckenden Interview gibt der zur Zeit des Interviews bereits hundertjährige Albert Hofmann Auskunft über sein «Sorgenkind», die von ihm 1943 entdeckte und gleich im Selbstversuch getestete Substanz LSD. Detailliert erklärt er, wie diese Substanz die Wahrnehmung verändert und welchen Nutzen sie beinhalten könnte.

Regisseur Martin Witz besucht in The Substance – Albert Hofmann’s LSD Forscher in der Schweiz und den USA, die sich heute wieder mit diesen Fragen beschäftigen. Berührend berichtet etwa der Krebspatient Clark Martin, wie er als freiwilliger Teilneh­mer an einem dieser Forschungsprojekte dank LSD eine Form von spiritueller Heilung erfahren hat.

Parallel erzählt der Film den Werdegang dieser Substanz im gesellschaftlichen Klima der Sechzigerjahre, das geprägt war vom Kalten Krieg und Vietnam, aber auch vom Aufkeimen einer Jugend- und Gegenkultur. Martin Witz beweist nach Dutti der Riese (CH 2007) erneut, dass er eine ausgesprochene Spürnase für das Auffinden von spannenden Zeitdokumenten hat. Aus über fünfzig über die ganze Welt verstreuten Archiven hat er Material zusammengetragen und zu einem filmischen Trip montiert. Köstliche Aufnahmen von US-Soldaten, die zu wissenschaftlichen Zwecken auf LSD gesetzt wurden, kontrastieren mit späteren Aufnahmen von der Haight Street in San Francisco, dem kurzzeitigen Mittelpunkt der psychedelischen Hippie-Bewegung. Die geschickte Montage dieses Archivmate­rials macht The Substance zu einem Film, der der Verwunderung Ausdruck gibt, wie ein braver Schweizer Wissenschaftler und junger Familienvater durch Zufall eine Substanz entdecken konnte, die später von der US-Regierung als regelrecht staatsgefährdend ein­gestuft wird. Als Gegenfigur zu Albert Hofmann bietet der Film Timothy Leary auf, den Guru der psychedelischen Bewegung in den USA. Vom angesehenen Harvard-Dozenten wandelt sich dieser zum LSD-Priester und wird am Ende als in Richard Nixons Worten «gefährlichster Mensch Amerikas» jahrelang in Gefängnisse gesteckt. Gerne hätte man noch mehr darüber erfahren, wie Hofmanns Entdeckung auch sein eigenes Leben verändert hat und wie die Substanz LSD in der Schweiz über die Jahre hinweg rezipiert worden ist. Doch Martin Witz fokussiert auf die USA und da­rauf, wie sich an LSD plötzlich die politischen Ideale und die spirituelle Suche einer ganzen Generation knüpfen. The Substance – Albert Hofmann’s LSD ist ein packendes und manchmal skurriles Stück Zeitgeschichte.

Nathan Schocher
*1978, Studium der Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaften; schreibt als freier Journalist für verschiedene Medien. Er lebt in Zürich.
(Stand: 2012)
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