Meeresrauschen, schreiende Möwen, das Klacken von Sandalen – dann ein Badetuch, ein Federball, der durchs Bild schwirrt, eine Frau im Bikini ... Im kurzen Animationsfilm Miramare wird mit einer impressionistischen Tonspur und wenigen Pinselstrichen eine Strandszenerie entworfen: Ein Bild wächst aus dem andern, die Kamera zoomt hinein und wieder hinaus und produziert fliessende Szenenwechsel. Riesig wandert ein Cornet mit seinen farbigen Glacé-Kugeln durchs Bild, an Liegestühlen und Sonnenschirmen vorbei, um – immer kleiner werdend – in den Händen eines Jungen zu laden. Ein Band flattert durchs Bild, wobei einzig das Motorengeräusch deutlich macht, dass es von einem Flugzeug dem Strandhimmel entlang gezogen wird. Von der Hand, die einen Kreisel in Schwung versetzt, wechselt das Bild nahtlos zu Spaghetti, über die eine Kelle die leuchtend-rote Tomatensauce giesst.
Die Schweizerin Michaela Müller, die in Zagreb studiert, ist ursprünglich Malerin und vereint nun ihr Können mit der filmischen Animation. Für ihren Diplomfilm malte sie mit breitem Pinsel auf Glas und beschreibt so die Ferien einer Schweizer Kleinfamilie, die unbeschwerte Tage irgendwo am Mittelmeer verbringt. Im Mittelpunkt stehen zwei Kinder, die sich durch Tag und Gegend trollen und nachts im glühend roten Zelt neben den Eltern schlummern. Zumindest bis zu dem Moment, an dem das Mädchen an die Grenzen des Ferienareals vorstösst: Die beiden Kids wagen sich trotz Verbotsschild ins geheimnisvolle Dickicht jenseits des Bretterzauns vor – ein von Grau und Schwarz beherrschtes Niemandsland. Bei ihrem Erkundungsgang überrascht, flüchten die beiden Kleinen rasch wieder ins angestammte Areal zurück. In der Nacht dann fegt ein Sturm über Strand und Gelände: Absperrungen und Grenzen werden zunichte gemacht und für einen Moment herrscht Gleichheit in einer ungleichen Welt.
Das Geschick der Filmautorin für überraschende Abstraktionen, verknüpft mit dem schwungvollen Malstil und einer tollen Bruitage, ergibt eine wunderbar atmosphärische Geschichte ganz ohne Dialog, die auf das spannungsreiche Nebeneinander von Erster und Zweiter oder Dritter Welt anspielt, wo sich die einen den Luxus unbeschwerter Ferien leisten können und die anderen aussen vor bleiben. Der virtuose Miramare wurde bislang nicht nur in Cannes gezeigt – sein Palmarès umfasst bereits auch mehrere Auszeichnungen im In- und Ausland, darunter diejenige als Bester Schweizer Wettbewerbsbeitrag am Animationsfilmfestival Fantoche in Baden.