In atmosphärisch starken Bildern und fast ohne Worte erzählt Irene Ledermann in Schonzeit, ihrem Master-of-Arts-Abschlussfilm an der Zürcher Hochschule der Künste, von zwei Jungen, die, vom Vater allein gelassen, sich selbst durch die Tage bringen müssen. Der jüngere, Jan, wird von seinen Mitschülern gehänselt und gejagt, einmal sogar geknebelt in einen Schrank gesperrt; er zieht sich immer mehr in seine Traumwelt zurück, in die Natur und zu den Tieren im Wald neben dem Haus. Der ältere, Oli, reagiert mit kaltem Trotz – bis er spürt, dass er Jan helfen muss, sich in der neuen Lebenslage zurechtzufinden.
Schonzeit erzählt auf behutsame Weise von einer emotionalen Ausnahmesituation, mit einer expressiven visuellen Sprache, mit viel Handkamera und wenig Licht, intensiven Nahaufnahmen und einer subjektiven Tonebene, und erreicht mit diesen Mitteln, dass sich der Zuschauer, die Zuschauerin ohne Vorgeschichte und Erklärungen mitten in einer Befindlichkeit wiederfindet, die zwischen Realität und Traum changiert. Jan wartet auf den Vater, möchte mit ihm fischen gehen, doch kaum ist der Vater einmal ins Haus zurückgekehrt, verlässt er es auch schon wieder, ohne auf seinen Sohn einzugehen. Trotzdem sammelt Jan draussen, mitten in der Nacht, schon einmal Würmer für die Angel. Der pubertierende Oli seinerseits nutzt die Abwesenheit des Vaters, um eine Freundin nach Hause einzuladen; doch der kleine Bruder stört die beiden. Dennoch wird Oli später in einem Laden einen Schwimmer stehlen, um Jan glauben zu machen, der Vater habe ihn für ihn gekauft. Als Jan merkt, dass Oli ihn angelogen hat, beginnen die beiden Brüder verzweifelt zu kämpfen. Diese Auseinandersetzung markiert einen Neubeginn in ihrer Beziehung, und vielleicht werden sie danach wieder vermehrt Zeit miteinander verbringen.
Schonzeit erzählt weniger eine Geschichte – dafür bleibt auch vieles absichtlich im zu Vagen – als einen bestimmten Zustand: den Zeitraum, der zur Erholung gewährt wird, bevor wieder die Jagd, bzw. das normale, harte Leben, beginnt. Irene Ledermann hat gemeinsam mit ihrem Kameramann Lorenz Merz Bilder gefunden, welche die Innenwelt insbesondere des verwirrten, einsamen Kindes Jan widerspiegeln und sich in einer poetischen, stimmungsvollen Inszenierung verdichten. Für ihren bemerkenswerten Abschlussfilm wurde Ledermann denn auch für den Schweizer Filmpreis 2010 (Kategorie Kurzfilme) nominiert, und sie gewann den Max-Ophüls-Preis 2010 für den besten Kurzfilm, während Lorenz Merz an den 13. Winterthurer Kurzfilmtagen für seine Arbeit den Kamerapreis erhielt.