NATHALIE JANCSO

LA PETITE CHAMBRE (STÉPHANIE CHUAT, VÉRONIQUE REYMOND)

SELECTION CINEMA

Im Mittelpunkt der schweizerisch-luxembur­gischen Koproduktion La petite chambre ste­hen zwei auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Menschen, die am Anfang bloss ein Arbeitsverhältnis verbindet: Die junge Kran­ken­pflegerin Rose schaut jeden Tag beim Rentner Edmond nach dem Rechten. Der stör­­rische Griesgram lässt sich nur höchst ungern von ihr pflegen. Rose wiederum zeigt wenig Toleranz gegenüber seinem widerspenstigen Gehabe. Doch bei beiden verbergen sich hinter der rauen Schale Verluste und Zukunftsängste.

Der Misanthrop, der vorgibt, niemanden zu brauchen, reagiert heftig, als sein einziger Sohn ankündigt, er wolle endlich sein eigenes Leben beginnen und zu seiner Freundin nach Amerika ziehen. Edmond soll deshalb in ein Altersheim und seine geliebte Wohnung samt den unzähligen Pflanzen verlassen. Er fühlt sich überflüssig und unnütz, meint im Zorn, er wolle in diesem Fall versuchen, rechtzeitig zur Abreise des Sohnes zu sterben, damit diese Schwierigkeiten auch aus dem Weg geräumt seien. Doch dann stürzt er beim Pflanzengiessen von einer Leiter und muss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Rose, die just an diesem Tag zu spät gekommen ist, macht sich Vorwürfe. Sie besucht ihn im Spital, und langsam beginnen die beiden zu entdecken, dass sie so einiges verbindet. Denn während er sich mit der Unausweichlichkeit seines nahen Todes auseinanderzusetzen hat, hadert sie damit, den Tod ihres ungeborenen Kindes zu akzeptieren. So beginnt eine Annäherung zweier Menschen, die sich in ihrer Verlorenheit gegenseitig Halt geben.

Edmond wird vom 85-jährigen Michel Bouquet verkörpert, den man etwa aus «Toto le héros» kennt, und Rose von der jungen Florence Loiret Caille. Ihr Spiel stellen beide ganz in den Dienst der Geschichte, die stringent, fast schon karg, aber mit viel Liebe zu den Figuren und ihren Sensibilitäten inszeniert ist. Dass am Ende von La petite chambre ein doch eher spektakulärer Abgang von Edmond steht und der ewige Zyklus des Lebens ziemlich offensichtlich zelebriert wird, mag als Abschluss der fragilen Geschichte etwas gar plump und symbolhaft erscheinen. Doch dieses bisschen Pathos sei dem feinen und ansonsten gänzlich unprätentiösen Schauspielerfilm vergönnt. Der von Vega Film und dem TSR koproduzierte Spielfilmerstling berührt auf jeden Fall und regt zum Nachdenken an.

Die umtriebigen Lausanner Regisseurin­nen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, die beide eine Schauspielausbildung genossen haben, sind ein eingespieltes Duo: Sie arbeiten seit Jahren zusammen, sei es als Schreiberinnen, Performerinnen oder Regisseurinnen, für die Bühne oder die Leinwand. Vor La petite chambre, der im Wettbewerb des Filmfestivals Locarno 2010 als Premiere gezeigt wurde, haben sie diverse Kurzfilme sowie zwei Dokumentarfilme gedreht.

Nathalie Jancso
*1969, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Germanistik an der Universität Zürich. Arbeitet als Filmredaktorin beim Schweizer Fernsehen und war von 2007 bis 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion.
(Stand: 2013)
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