Für Trans Cutucú – Zurück in den Urwald (CH / Ecuador 2009) kehrte die Schweizer Filmemacherin Lisa Faessler nach rund 23 Jahren zum Stamm der Shuar im Amazonas von Ecuador zurück. Shuar – Volk der heiligen Wasserfälle (Ecuador / CH 1986) war ihr erster, Trans Cutucú der vierte Dokumentarfilm, den die Filmemacherin über indigene Stämme im Amazonas-Gebiet gedreht hat. Dabei vermeidet sie dezidiert einen eurozentrischen Blick auf das Klischee der «guten Wilden». Vielmehr sucht sie den Indigenen eine Stimme zu geben. Respekt vor den Menschen und ihrer angestammten Lebensweise zeichnen ihre Filme aus. Subtil, aus distanzierter Nähe, lässt sie die Menschen selber zu Worte kommen und zeigt in Bildern deren alltägliche Realität. Ihre Filme geben ihnen eine Stimme, um sich fern der Heimat Gehör zu verschaffen. Doch wozu brauchen sie eine Stimme? Und was treibt die Filmemacherin an, die sei 1986 halb in Ecuador, halb in der Schweiz wohnt?
Anita Gertiser: Warum sind sie zurück in den Urwald?
Lisa Faessler: Zurückzugehen gehörte bis anhin nicht zum Konzept meines Lebens. Immer vorwärts, immer Neues. Doch im Zusammenhang mit dem Film realisierte ich, wenn ich hier bin, fehlt mir Ecuador, wenn ich am Amazonas bin, fehlt mir die Schweiz. Ich lebe in zwei Welten, das gehört zu meiner Biografie. Wenn ich in Zürich auf dem Paradeplatz stehe, relativiere ich, was dort ist und umgekehrt. Der Wechsel zwischen den zwei Welten liefert zum einen Impulse, die bereichern, zum andern schafft er auch Distanz.
Wie kamen sie überhaupt zu ihrem Thema? Was war der Auslöser, sich mit den Indianern im Amazonas zu beschäftigen und in Ecuador zu leben?
Noch während meines Studiums arbeitete ich als Aufnahmeleiterin und Tontechnikerin für das ZDF für eine mehrteilige Reportage in Peru, Brasilien und Ecuador. Während das Team nach Hause flog, blieb ich, reiste umher und lernte Leute kennen u. a. den Engländer John Wright, der einen Fotoband über die Huaorani-Indianer, die ich in meinem vorletzten Film porträtiert habe, zusammenstellte. Er zeigte mir mehr als 2000 Bilder. Obwohl ich schon mit 21 ein Jahr lang in Mexico lebte, war es wohl diese Begegnung, die mir den Anstoss gab, mich mit Amazonas-Indianern auseinanderzusetzen. – In den 1970er-Jahren besuchte ich die Filmakademie in Berlin. Zu jener Zeit standen dort politische Themen im Vordergrund, man hinterfragte bestehende Gesellschaftsstrukturen, ja man wollte die ganze Welt verändern. Aus diesem Kontext heraus stellte ich mir die Frage, wie Gesellschaften eigentlich funktionieren, die ohne Staatsgebilde auskommen – ohne Polizei oder Gericht. Ich dachte damals, dass sogenannt primitive Völker sozusagen in einer ‹ reinen › und ‹ direkten › Demokratie leben könnten. Das war ein Irrtum, eine Veridealisierung alter Kulturen. Bei den Shuar wurde mir schnell klar, dass ihre gesellschaftlichen Regeln – verglichen mit unseren – sehr undemokratisch sind. Sie lebten in Familienclans, hochgradig hierarchisch, patriarchal, und die Feindschaft zwischen diesen Familienverbänden war für die Amazonas-Indianer so etwas wie Lebenselixier. Oh wie naiv, der ‹ edle Wilde › ! Da ist klar, dass unsere Vergleiche nicht taugen.
Heute haben sich die Indianer unserern Lebensweisen angenähert. Aber es erstaunt mich immer wieder zu sehen, wo sich traditionelles Denken bis heute gehalten hat. Dies zeigt sich beispielsweise in der Politik: Die Shuar sind heute Mitglieder unterschiedlicher Volksparteien. Da ist ein Shuar in einer linken, der andere in einer rechtskonservativen Partei, und wie bei uns streiten sie sich über den Bau einer neuen Strasse zum Beispiel. Doch jemand aus der anderen Partei ist nicht Gegner mit anderen Ansichten, sondern Feind. Und Feinde hat man immer getötet. Diese Haltung bekomme auch ich in meiner Arbeit zu spüren, denn im Urwald herrschen immer noch die Familienstrukturen. Wenn ich nun mit einem Familienclan arbeite, dann werde ich automatisch zum Feind für andere Clans.
Trotzdem scheint die angestammte Lebensweise längst unterlaufen. In Die letzte Beute (CH/Ecuador 1990) wie auch im neuen Film spielt das Erbe der Missionare eine wichtige Rolle. Sie scheinen die Lebensart der Shuar nachhaltig beeinflusst zu haben. 1986 erläutert Angel, einer der porträtierten Männer in Shuar, Volk der heiligen Wasserfälle, wie die jungen Männer durch halluzinogene Getränke sehend werden und damit Wissen erreichen. Wenn heute junge Indianer dagegen von Gott sprechen, geht es immer um Glauben, nie mehr um Sehen und Wissen. Standen sie früher in einer Art Interaktion mit der Natur, durch die sich ihnen im Akt des ‹Sehens› das Wissen der Natur vermittelte, brauchen sie beim Glauben einen Vermittler (Missionar, Priester), der für sie übersetzt. Bedeutet dies ein Verlust an Autonomie?
Dazu muss man wissen, dass bei den Shuar ‹ Arútam › die göttliche Kraft ist. Sie hat keine Gestalt und kein Gesicht. Die spürt man. Ethnologen, die das untersucht haben, bestätigen diese Sicht. Michael Harner war der Erste, der bei den Shuar halluzinogene Getränke zu sich genommen hat, und er hat auch das erste ethnologische Buch über die Shuar verfasst. Er beschreibt, dass seine Wahrnehmung im halluzinogenen Rausch ihm eine völlig neue Welt eröffnet hat. Zusammenfassend würde ich sagen, dass in Arútam das Wissen aller verstorbenen Shuar, die als Seelen oder Geister weiterleben, vereint ist.
Die Shuar haben keine Schrift. Ihr Wissen wurde durch mündliche Überlieferung und über die Begegnung mit Arútam weitergegeben. Und man muss Arútam suchen. Das Suchen ist in beiden Filmen ein Thema, im Shuar-Film länger als im neusten. Es ist ein festes Ritual: erstens fasten, zweitens Halluzinogene zu sich nehmen und drittens in den Wasserfällen die Kraft Arútam suchen. Also dort, wo sich Wasser und Luft vereinen, ist die Chance am grössten, Arútam zu begegnen. Für uns ist die göttliche Kraft Arútam etwas sehr Abstraktes und der mentale Zustand im halluzinogenen Rausch fremd. Die Shuar aber sagen: Das, was wirklich ist, sieht man nur im Rausch!
Dann geht es eher um den Verlust von Identität?
Im Amazonasgebiet gibt es seit über 500 Jahren katholische Missionare. In den 1950ern kamen dann die evangelischen Sekten dazu. Solche, die mit dem alten Testament die ‹letzten Wilden› retten wollen, gibt es bis heute. Aber der Wirtschaftsliberalismus ist heute auch bei den Shuar angekommen. Die Bedeutung einer religiösen Zugehörigkeit nimmt ab. Wie bei uns entscheidet das Geld – und sie wollen Geld. Sie wollen sich nun ökonomisch weiterentwickeln, gar reich werden. Und die Shuar haben entdeckt, dass sie ihre Bäume auch selber verkaufen können.
Wenn man aber genauer betrachtet, wie sie ihre Geschäfte abwickeln, ist es eine eher traurige Geschichte. Mit dem Wirtschaftsliberalismus hat sich, wie bei uns, das Geld als Oberbau etabliert. Das war vor 23 Jahren nicht so. Dass sie nun nochmals über den Tisch gezogen werden, schmerzt persönlich sehr. Traditionell nomadisierten die Shuar innerhalb eines von ihnen festgelegten Territoriums. Sie waren aber juristisch gesehen nie Landbesitzer. In den 1980ern hat die Regierung den Amazonas-Indianern in Form von ‹ Globalen Landtiteln › das Territorium überschrieben. Das heisst, auch der Stamm der Shuar wurde zum Landeigentümer. Sie dürfen nutzen, was auf dem Land ist. Aber – das ist der Pferdefuss – alles was sich unterhalb ihres Bodens befindet, also alle fossilen Ressourcen, gehören dem Staat. Zwischenzeitlich wurde, z.B. in Trans-Cutucú, Öl gefunden, das Gebiet ist bereits in elf Ölfelder aufgeteilt, und zurzeit wird die Infrastruktur zur Ölförderung errichtet, also vor allem werden Strassen gebaut. Die Shuar hätten mit ihren Landrechten die Möglichkeit gehabt, sich dagegen zu wehren, und den Bau der Strassen durch ihr Land verweigern können. Die Mehrheit der indianischen Bevölkerung will nun aber den Anschluss an die ‹ zivilisierte Welt ›, und dabei bleiben die ökologischen Kriterien auf der Strecke. Mobilität ist das zentrale Thema im neuen Film – und die macht alles kaputt. Die Indianer wollen nun die Strassen, weil sie ja die Bäume verkaufen müssen. Mein Anliegen ist es, über Bilder das System an sich zu kritisieren. Etwas hat begonnen, das unumkehrbar ist – das ist die unumgängliche Mobilität, welche die Globalisierung mit sich bringt.
Aber das Thema der Mobilität war in Tumult im Urwald (CH / Ecuador 1998) auch schon da – alle sind ständig in Bewegung. Die Indianer sind unterwegs, auf der Pirsch, im Kanu, im Auto, streifen durch den Wald, fahren auf den Strassen, auf dem Wasser. Sie sind immer in Bewegung – und scheinen nicht vorwärtszukommen. Oder bewegt sich doch etwas?
Alle Amazonas-Stämme waren Nomaden, man kann auch sagen Halbnomaden, denn sie lebten etwa sechs Jahre am selben Ort, sie ernährten sich von Jagd, Fischfang und sie legten kleine Felder an, die sie mit Yuca und Süsskartoffeln bepflanzten. War die Region ausgejagt, zog der Familienclan weiter. Aber ja, es stimmt schon, sie waren immer unterwegs, sie lebten in Hütten, die nicht beständig waren.
Wenn sie schon immer unterwegs waren, dann passt doch die Strasse zu ihrer Weltvorstellung und ihrer Lebensweise?
Heute brauchen sie die Strasse zum Verkauf des Holzes, früher hätten sie sie genutzt, um Feinde auszuspionieren. Wenn man die Shuar darauf aufmerksam macht, dass die Strasse alles kaputtmacht, antworten sie angepasst an unsere Terminologie: Auch wir haben das Recht, wenn wir krank sind, schnell das Spital zu erreichen. Das stimmt, ist jedoch nicht der Hauptgrund. Der Hauptgrund ist, dass ohne Strassen die Baumstämme nicht transportiert werden könnten.
Nochmals, wenn Unterwegssein zu ihrem Dasein gehört, da passt die Strasse doch. Schon vor 20 Jahren lebten sie nicht mehr in einer heilen Welt. Bereits in ihrem ersten Film trugen einige Indianer Jeans, wurden gefilmt, es gab Kassettenrecorder etc. Sie waren umgeben von technischen Errungenschaften. Ist es nicht eher so, dass sie schnell gelernt haben, damit umzugehen auch mit den marktwirtschaftlichen Möglichkeiten? Das ist doch positiv zu werten, weil es ihnen neue Perspektiven eröffnet.
Ist es positiv? Eröffnet die Orientierung nach aussen wirklich neue Perspektiven? Vor 23 Jahren gab es 35 000 Shuar, heute sind es 110 000. Zum einen liegt dies daran, dass die Kindersterblichkeit abgenommen hat. Zum anderen – der Hauptgrund – wollen sie sich unbedingt vermehren, als wollten sie die Weltherrschaft. Sie wollen so viele sein, um sich ausdehnen zu können. Es gibt zwar Verhütungsprogramme, doch gilt es als Prestige, viele Kinder zu haben. Zudem muss man verstehen, dass die Shuar, wie alle Amazonas-Indianer, diskriminiert waren, ähnlich wie die Zigeuner bei uns. Sie galten als dreckig, sie stahlen, und sie töteten – weshalb man sie in Ecuador für nicht integrierbar hielt. Mit dem Verkauf der Bäume kommen sie in den Markt, was für sie bedeutet, gleiche Rechte zu haben, wie die Weissen. Das ist positiv. Tragisch ist nur, dass sie den Urwald abholzen – was übrigens in der ganzen Region eigentlich verboten ist, wenngleich es alle tun –, es geht zum Beispiel um wertvolles Copalholz, das sie weit unter dem Marktpreis verkaufen. Sie erhalten pro Brett zur Zeit 1.80, auf dem Weltmarkt kann es bis zu 200 Dollar wert sein.
Wissen sie denn nicht, was das Holz wert ist? Ist es Konkurrenz oder ist es ihnen schlicht egal?
Natürlich werden sie heruntergehandelt. Ausserdem gibt es sehr viele Zwischenhändler, meist Siedler, die auch verdienen wollen. Die wissen, wie die Shuar ‹ ticken ›, und nutzen dies aus. Ich bin überzeugt, dass die Shuar nach wie vor im Urwald ohne Geld leben könnten. Sie haben noch das Wissen dazu. Doch Geld stellt für die Shuar Luxus dar und deshalb ist das Herunterhandeln so einfach. Sie haben Holz und wollen Geld für einen Fernseher. Da überlegen sie sich, was der kostet, und dem Preis entsprechend verkaufen sie die Anzahl Bretter. Weiter beschäftigt sie das nicht.
In Trans Cutucú erhält man jedoch eher den Eindruck, dass die junge Generation der Shuar den Bezug zur früheren Welt verloren hat und damit auch die Bereitschaft, zurückzugehen.
Der Eindruck stimmt. Es gibt aber mittlerweile eine recht hohe Zahl von jungen Shuar, die in den Städten verarmt ist und deshalb in den Urwald zurückkehrt. In dem Zusammenhang zeigt sich nun auch eine ‹ kulturelle Veränderung ›, z.B. bei Clemente, dem Enkel des Grossvaters aus dem Shuar-Film. Er kennt noch alle Lieder, die Rituale, weiss, was Arútam ist. Er ist aber ein Schausteller geworden. Es gibt viele Junge, die nicht einmal mehr die Sprache können. Clemente hat das Wissen noch. Aber er präsentiert das Wissen für uns, für die Kamera – als Schausteller. Vor 23 Jahren wurden die Lieder nur gesungen, wenn sie Teil des Rituals waren. Heute interpretiert er sie für die Besucher.
Ihr Film kommt ohne Kommentar aus; die Menschen sprechen für sich. Stattdessen wird über die Montage erzählt, Zusammenhänge hergestellt. Entsprechend heisst es in Rezensionen zum Film so schön: ‹Der Sinn erschliesst sich über die Montage und muss vom Zuschauer selber produziert werden.› Dem möchte ich – provokativ – entgegenhalten: Es stimmt nicht, dass dies dem Zuschauer überlassen wird. Im Gegenteil, er hat keine andere Wahl, als das zu verbinden, was Sie ihm in Bildern vorsetzen. Der Film ist sehr anklagend.
Ja, ich würde es so sagen, er ist letztlich systemkritisch, ohne es zu benennen. Es gibt unzählige Amazonas-Filme von allen möglichen Fernsehstationen, Discovery TV, BBC oder europäischen Anstalten. Durch die Hilfsorganisationen, die sich dort engagieren, ist die Amazonas-Problematik heute bei uns sehr bekannt. Es wird darüber berichtet in den Medien, Presse, Radio etc. Warum mache ich nun nochmals einen Film? Das habe ich mir lange überlegt und merkte: Ich habe genug von Filmen, in denen die Missstände, die wir schon kennen, noch einmal benannt werden. Das führt dazu, dass wir sie einfach nur noch konsumieren und dann das Thema abhaken. Trotzdem, warum noch einen vierten, wenn ich schon drei Filme gemacht habe? Ist es überhaupt möglich, über Bilder eine Betroffenheit und einen Standpunkt zu vermitteln? Das war meine Herausforderung, dass die Zuschauer in eine bestimmte Emotionalität versetzt, wirklich betroffen werden. Dazu gehört auch die Ästhetik des Unansehnlichen. Hinzuschauen, was man nicht sehen will, und auch wenn die Augen verschlossen sind, zu merken, was vor sich geht. Ich wollte Emotionalität über das Visuelle erzeugen. Dies war die Idee, die ich mit dem Kameramann Pio Corradi, lange bevor wir den Film gemacht haben, diskutiert habe. Pio Corradi schafft Bilder, die eine Innerlichkeit vermitteln, bei gleichzeitiger respektvoller Distanz zu den Menschen. Das funktioniert nur mit guten Bildern. Ich glaube, dass es gelungen ist, auf der einen Seite die heutige – so zerstörerische – Mobilität im Urwald aufzuzeigen und andererseits durch Innerlichkeit, die die Kamera evoziert, (mentale) Zustände von Menschen zu visualisieren und damit die Situation einer Region verständlich und erkennbar zu machen. Über die Montage werden Zusammenhänge geschaffen. Im Film ist von den Steinen die Rede, die so viel sehen wie Menschen. Im Bild ist zu sehen, wie ein Flussbett ausgebaggert und die Steine herausbugsiert werden. Anschliessend erzählt Angel, Arútam ist mir als Stein erschienen und hat mir gesagt ... So ist der Film aufgebaut. Jeder kann durch Sehen Zusammenhänge entdecken.
Das ist offensichtlich! Diese Zusammenhänge bieten sich geradezu an.
Ich weiss, dass ich hier einiges gewagt habe. Ich habe auch eine Fernsehfassung gemacht, die alles einlöst, was Leute über die Problematik verbal vermittelt haben möchten. Es gibt da etliche Interviews, die ich extra für diese Fassung geführt habe, und wenige Kommentare, die eben diesen Vorstellungen entsprechen und die Erwartungen von Zuschauern erfüllen. Der Beitrag ist diesen Frühling im SF ausgestrahlt worden, eine 45-Minuten-Fassung. Das ist Journalismus. Unter dem Strich kommt das raus, was – wie ich vorher gesagt habe – wir schon alle wissen. Es wird nun einfach nochmals erklärt.
Das ist eine Form von Selbstbestätigung, von Selbstvergewisserung. Aber kann man mit Filmen tatsächlich betroffen machen?
Leute, die sich auf Trans Cutucú wirklich eingelassen haben, waren betroffen – und zwar mit Tränen.
Sie zeichnen ein hoffnungsloses Bild, wenn Sie beispielsweise erzählen lassen, dass der Staat für Primärwald (in seiner Ursprünglichkeit belassen) Subventionen bezahlen würde, die Shuar aber keinen solchen mehr besitzen. Dadurch wird die Ausweglosigkeit der Situation eklatant.
Auch da muss man relativieren. Es gibt schon noch Primärwald – auch in Trans Cutucú. Man muss auch wissen, dass Ökologie in Ecuador kein Fremdwort ist, vielmehr will der Staat Primärwald schützen. Sie wollen die Indianer dafür bezahlen, dass nichts angerührt wird. Das Umweltministerium kann solche Projekte fördern so lange, bis Öl gefunden wird. Ganz Trans Cutucú ist ein Ölfeld. Sobald dies entdeckt wird, laufen dieselben Mechanismen ab wie bei uns. Die Anliegen des Umweltministeriums unterliegen den wirtschaftlichen Interessen. Das ist in Ecuador eine neue Problematik.
Ist das nicht frustrierend? Seit 20 Jahren machen Sie Filme, appellieren mit ihnen an das Verständnis im Westen und dann müssen Sie zusehen, wie der Wald zerstört wird?
Was mich wirklich wütend macht, ist, wenn kritisiert wird: Warum so negativ?! Wir wollen uns doch aufbauen. Ich hätte auch einen Film machen können, der die Erwartungen der Zuschauer in der Schweiz erfüllt und ihnen ein positives Gefühl vermittelt. Die Realität ist aber anders. In Ecuador gibt es ganz wenige Kommunen, die sich gegen die Ölförderung wehren. Und dieser Protest wurde möglich dank der Hilfe aus Europa. Es ist gut, dass es diese Hilfe gibt. Nun reisen unzählige Filmteams in eines der Dörfer und berichten über dessen Widerstand in die Welt. Diese Berichte verzerren aber die tatsächlichen Verhältnisse. Die Realität ist noch viel schlimmer als mein Film. Die Mechanismen, in denen alles den ‹ Bach runter geht ›, werden im Film sehr behutsam aufgezeigt. Es gibt Filme, die werden für die Gegenwart gemacht. Sie sind zum unmittelbaren Konsumieren bestimmt. Kaum wurden sie gespielt, sind sie kalter Kaffee. Und wenn sie nicht rentieren, sind es Flops.
Ich beschäftige mich mit einem Thema, das nachhaltig interessant sein wird. Irgendwann wird es Leute geben, die sich fragen werden, wie war das damals im Amazonas. Da gab es doch Einheimische, es gab Bäume etc.? Was lief falsch? Wieso kam es zu all den Veränderungen? Wenn sich Anthropologen also fragen, was war, habe ich vier Filme, in denen man differenziert, mit unterschiedlichen Ansätzen, visuell nachvollziehen kann, was die Problematik war und was zu den verhängnisvollen Veränderungen führte. Da passt der letzte Film dazu, der im Nichts – im Nada – endet. Mit der Systemkrise, in der wir uns heute befinden, müssten wir uns täglich beim Kaffee über künftige Lösungen unterhalten. Unser System scheint sich langsam selber zu zersetzen – sowohl im Amazonas wie hier. Aber das Einzige, was uns zurzeit interessiert, ist, wie man es flicken kann. Eines Tages ist es wahrscheinlich nicht mehr reparierbar. Noch nie, so weit ich mich erinnern kann, war die Systemfrage so akut, und man geht sie nicht an – ausser mit alten Ideologien. Da ist es mein Wunsch, mit meinen vier Amazonas-Filmen Dokumente zu haben, durch die das Vergangene nicht verloren ist. Die Nachhaltigkeit ist durch die Thematik gegeben und es wird Phasen geben, in denen sich Menschen dafür interessieren werden. Einen Amazonas-Film zu machen, ist kein Schleck. Es ist anstrengend, überall Mücken, man wird zerstochen, man bleibt im Schlamm stecken etc. Es ist auch nicht die Ästhetik, die so einladend ist. Und ich muss auch keinen Film machen, um mich zu verwirklichen. Ich spüre ein Anliegen, etwas, das ich verstehe, festzuhalten.
Sie haben Strapazen, existenzielle Ängste auf sich genommen, mit Engagement um Verständnis geworben, um nun nach mehr als 20 Jahren feststellen zu müssen, es geht doch alles den Bach runter! Was geht in Ihnen vor?
Im Rückblick auf 23 Jahre auf zwei Kontinenten musste ich mich jeweils dem Zeitgeist stellen. Beim Shuar-Film musste ich mir 1986 vorwerfen lassen, Kulturimperialismus zu betreiben. Und heute muss ich mich rechtfertigen, weil ich die Hoffnungslosigkeit sichtbar mache, die für uns anscheinend nicht zumutbar ist. Eines Tages wird sich der Zeitgeist erneut verändern und das ist eine Chance – das genügt mir.
Ist es also eine Form der Berufung, die Sie zurück in den Urwald gehen liess?
Ja, Augen auf!