ALEXANDRA SEITZ

THERE WILL BE BLOOD — EINE VERBOHRUNG

ESSAY

Weiss auf Schwarz in altertümlichem Schriftbild erscheinen die Worte «There Will Be Blood» – «Es wird Blut geben». Bereits der auf zu erwartendes Unheil verweisende Titel von Paul Thomas Andersons Film impliziert Bewegung: Am Anfang steht der Fingerzeig in die Zukunft, steht die Drohung künftigen Blutvergiessens.

Blut vergossen wird in der Folge rasch und reichlich. Meist jedoch wird der rote Saft sofort von schwarzem Gold, vom Öl, verschluckt und bleibt fast un­sichtbar. Oder das Blutvergiessen ereignet sich in der Dunkelheit eines Schachts oder der Finsternis einer Nacht und fällt farblich kaum auf. Erst ganz am Ende wird sich eine schwarzrote Lache wie eine Gloriole um den zertrümmerten Schädel des Predigers Eli Sunday ausbreiten. Und Daniel Plainview, der Ölmann, wird sagen: «I’m finished» – «Ich bin am Ende».

Blut und Öl, Kirche und Bohrturm, Religion und Kapital, Spiritualität und Materialismus bilden in There Will Be Blood das Bezugssystem einer Fabel, in der ein Pionier der US-amerikanischen Ölindustrie und der Gründer einer christlich fundamentalistischen Sekte aufeinander treffen, sich in gegenseitiger Abneigung ineinander verbeissen, einander zu bezwingen versuchen und dabei tiefe Wunden zufügen, und schliesslich, verhakt wie Käpt’n Ahab und Moby Dick, untergehen.

Die technische Sorgfalt, die formale Strenge und der künstlerische Ernst, die den Film There Will Be Blood prägen, sorgen dafür, dass dessen Geschichte nicht nur konkret als Auseinandersetzung zweier antagonistischer Charaktere gelesen werden kann, sondern zugleich als metaphorische oder parabelhafte Ursprungserzählung, die im Konflikt zwischen dem Ölmann und dem Prediger die grundsätzlich divergierenden, doch miteinander verzahnten Ausprägungen US-amerikanischer Weltaneignung gestaltet. Dass dieser Konflikt nicht als Kampf des Guten gegen das Böse inszeniert wird, dass sich der Stellvertreter Gottes vielmehr als ebenso moralisch korrumpiert darstellt wie sein vom Mammon verführtes und nach Gewinn strebendes Geschöpf, ist dabei ebenso entscheidend wie bestürzend. Es treten in diesem Film keine positiv besetzten Identifikationsfiguren gegeneinander an und am Ende der Auseinandersetzung gibt es keinen Sieger und keinen Verlierer, lediglich umfassendes Versagen und Zerstörung.

Die Bewegung seiner Protagonisten in den Untergang vollzieht There Will Be Blood nicht lediglich narrativ nach. Bewegung bestimmt Andersons Film auf unterschiedlichen Ebenen: Robert Elswits Kameraführung, Jonny Greenwoods Musik, Dylan Tichenors Montage, Jack Fisks Austattung und nicht zu­letzt die präzise darstellerische Arbeit der Schauspieler, allen voran Daniel Day-Lewis in der Rolle des Ölmannes und Paul Dano in der des Predigers – alles ist darauf angelegt, einen Sog zu entwickeln, den Zuschauer in den Bann zu ziehen und den Eindruck von zwingendem Geschehen, von Schicksalhaftigkeit und Unausweichlichkeit zu erzeugen.

Das Erzähltempo ist gemächlich, die Szenen fliessen ruhig dahin, die Sequenzen gehen sanft ineinander über. Zäsuren, die gesetzt werden, geben dem Kontinuum davor und danach umso mehr Gewicht. Ungewöhnlich lang wirken manche Einstellungen vor allem deswegen, weil sie die Bewegung, die die vorangegangene bestimmte, aufnehmen. Und mitunter auch als Impuls an die nächste Einstellung weiterreichen. Zudem bewegen sich nicht lediglich die Figuren im Raum, sondern werden bei ihren Aktionen von den Bewegungen der Kamera begleitet. Das Ergebnis ist ein dynamisches Fliessen und Vibrieren der Bilder. Und zwar von der ersten Sekunde an: Die dem Filmtitel inhärente Drohung wird unterstrichen von einem langsam zu einem lauten Dröhnen anschwellenden, vorwärtstreibenden, dräuenden Ton, den ein böser, zorniger Insektenschwarm zu erzeugen scheint. Dieses von Streichern verursachte, disharmonisch wirkende Ohrengesäge, das seinen Höhepunkt mit der ersten Einstellung erreicht – der Totalen einer kargen, felsigen Landschaft, in der sich nichts bewegt und sich kein Leben zu erkennen gibt –, signalisiert, dass die Sache ernst ist. Es lädt die Leere eines neutralen Bildes mit einer noch unklaren, doch beunruhigenden Bedeutung auf, es treibt der Landschaft die Unschuld aus und etabliert – über die Verknüpfung von statischem Bild und treibender Musik – die mögliche Doppeldeutigkeit dessen, was zu sehen ist.

Es empfiehlt sich, eine zweigleisige Lesart der Bilder im Weiteren beizubehalten oder zumindest immer wieder in Erwägung zu ziehen.

Auf die Anfangstotale folgt ein Schnitt. Sturz in die Schwärze. Was sich in der Landschaft bewegt, bewegt sich unterirdisch. In die Tiefe der Erde hat sich ein Mann gebohrt. In einem schmalen Schacht, durch den hinunter kaum Licht zu ihm dringt, gräbt er mit der Spitzhacke nach Bodenschätzen. Funken fliegen. Am Abend kauert der zähe, drahtige Mann an einem windgebeutelten kleinen Feuerchen, während im Hintergrund ein Gewitter aufzieht und Donner zu hören ist. Entschlossen sich den Elementen aussetzend, der Natur den Widerstand allein seines Körpers entgegensetzend. So, als gehöre er nicht zur Spezies Mensch, sondern sei eine Kreatur, die in karger felsiger Ödnis gedeiht, eine Flechte, ein Moos oder eine Distel. Die Jahreszahl 1898 legt sich kurz über dieses Bild.

Schliesslich wird der Mann fündig in seinem Schacht. Dann wird er in ihn hinabstürzen und die Lichter werden ausgehen und mit einem tief inhalierten «Noohh!» wird er das Bewusstsein zurückerlangen und es wird sein wie eine Wiedergeburt. «There she is», murmelt er in seinen Bart, als er mit gebrochenem Bein nach dem glänzenden Gesteinsbrocken greift.

Der Silberfund, bei dessen schriftlicher Bestätigung wir endlich den Namen des Mannes erfahren, Daniel Plainview, legt das Fundament für kommende Anstrengungen. Schon in den nächsten Szenen, es ist das Jahr 1902, wird nach Öl gebohrt. Immer wieder aufs Neue gleitet die Kamera, als würde sie von ihnen magisch angezogen, an Bohrturm-Konstruktionen heran, stürzt in Schäch­te hinein, schaut aus ihnen heraus. Männer mit von giftigen Dämpfen aufgequollenen Gesichtern holen zähe Brühe ans Licht und sammeln sie in einer Mulde. Die in der Finsternis Schuftenden lassen an Psalm 130,1 denken – «Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir» – und an Sünder, die auf Erlösung hoffen. Im glänzenden Schwarz spiegelt sich das Blau des Himmels und das einzige Kleinkind, das sich unter diesen Männern findet, als wäre es von eben diesem Himmel gefallen, wird mit eben diesem Öl getauft. Dann wird der Vater des Kindes von schwerem, in den Schacht stürzenden Werkzeug erschlagen und Daniel Plainview nimmt sich des Waisen an.

In der ersten Viertelstunde, in der nichts erklärt, nur geschildert wird, vollzieht sich die Erzählung durch die Montage von Handlungssequenzen, die über die immer wieder von Neuem einsetzende Musik zu einer Einheit gebunden werden. Der solcherart etablierte Eindruck des gleichmässig Dahinfliessenden bleibt bis zum letzten, vergleichsweise statischen Akt des Films erhalten. In ihm ist die Lebensbewegung des Mannes Daniel Plainview an ihrem toten Punkt angelangt und mündet, über die totale Vernichtung verbliebener sozialer Bindungen, in einen brutalen Akt der Selbstauslöschung.

Zunächst aber fällt am Ende der so gut wie wortlosen Exposition endlich der erste Satz, den man einen solchen nennen kann. Eine geschickte Überlagerung von Bild und Ton, mit der zugleich ein Zeitsprung vollzogen wird, leitet in den Hauptteil des Films über. Während wir noch den kleinen Buben und den Mann auf einer Zugfahrt den einzigen, wahrhaft zärtlichen Moment des Filmes teilen sehen, beginnt ruhig eine sich ihrer Autorität gewisse Stimme zu sprechen: «Ladies and Gentlemen, I traveled over half our state to be here tonight.» Die Anrede kann sich in diesem Moment ebenso gut an die Filmzuschauer richten wie an jene aufgeregte Menschenmenge, die Daniel Plainview, auf dessen Gesicht nun langsam überblendet wird, tatsächlich adressiert. Frontal, nah und aufmerksam schaut die Kamera in dieses nüchtern distanzierte und zugleich ausserordentlich ausdrucksstarke Gesicht, während Plainview gemessen den Vorschlag unterbreitet, die Erschliessung (und Ausbeutung) des eben entdeckten Ölfeldes ihm und seinen Mitarbeitern zu übertragen, denn er sei qualifiziert, effizient und erfahren; er sei ein Ölmann, ein Familienmann und er führe ein Familienunternehmen. Hier verweist Plainview auf den neben ihm stehenden, so ausserordentlich stillen Jungen mit den so ausserordentlich sanften Augen und stellt ihn als seinen Sohn H. W. vor. Die Kamera, die den Sprecher eben noch von der Seite inmitten eines grossen Raumes voller Menschen sitzend zeigte, nimmt nun beide Plainviews in den Blick, mit einer kurzen Fokusverlagerung unschlüssig, ob sie sich zur Gänze H. W. zuwenden soll, dann aber doch auf Daniel verharrend. Das auf seine Rede hin ausbrechende Stimmengewirr drückt höchste Uneinigkeit aus und schon erhebt sich der Ölmann, bringt mit einem knappen Wink, wie er gemeinhin gut abgerichteten Hunden gilt, H. W. an seine Seite und schickt sich an zu gehen.

Mit Daniel Plainviews «I’m an Oilman»-Rede ist There Will Be Blood im Jahr 1911 angelangt und die eigentliche Handlung des Films setzt ein. Die Rede markiert einen Wendepunkt, der zugleich als ruhendes wie antreibendes Moment fungiert. Auf das Woher folgt der Status quo, auf den wiederum das Wohin folgt. Einerseits kommt eine Entwicklung, eine Vorgeschichte, zum Abschluss; andererseits wird der Mann, mit dem wir es in der Folge zu tun haben werden, definiert. Nicht so sehr als Charakter denn vielmehr in seiner Funktion des selbständigen Unternehmers, dessen Wohlstand in der Ausbeutung von Bodenschätzen begründet liegt. Zu zeigen, wie hart erarbeitet Plainviews Erfolg ist, ist die Funktion des Vorangegangenen. Welchen Preis er für diesen Erfolg zu zahlen bereit ist, wird Gegenstand des Kommenden sein. Zugleich wird er mit dieser Szene etabliert als Vertreter eines ur-amerikanischen Gründungsmythos: als klassischer Selfmade-Man, bei dem professionelles Selbstverständnis und private Identität zusammenfallen und der sich buchstäblich von ganz unten kommend nach oben geschuftet hat.

Wie alle, die zu Geld und Macht kommen, wird freilich auch Plainview von der Gier nach noch mehr Geld und Macht immer weiter getrieben. In seiner Zielstrebigkeit mag der Mann geradezu stoisch wirken, doch seine innere Rastlosigkeit zwingt ihn zu konstanter Tätigkeit. Plainviews Suche nach dem Schatz, zunächst ja nicht mehr als die notwendige Bedingung seines Gewinnstrebens, erhält in dem Masse die Züge von Besessenheit, in dem er selbst sich als zur Vergesellschaftung unfähig, als misanthropisch und soziophob erweist. Denn immer ist da etwas Unwägbares, Gefährliches, Lauerndes. Etwas Raubtierhaftes, das im Verlauf der Ereignisse immer mehr an Gewalt über ihn gewinnt, bis es schliesslich ganz von ihm Besitz ergriffen hat und verschlagen und bösartig in jenem Gesicht nistet, mit dem er am Ende H. W. – den «bastard from a basket», wie er ihm zornig hinterher brüllt – verstösst und seine Einsamkeit besiegelt.

Dass sich Daniel Plainviews Lebensbewegung von einer des Aufstiegs in eine des Untergangs wandelt, hat ursächlich mit dem Auftreten des selbstgefälligen Religionsvertreters Eli Sunday zu tun, der in seiner selbstbekundeten Eigenschaft eines Gefässes und Mittlers von Gottes Wort und Willen den beinharten Materialisten Plainview massiv unter spirituellen Druck setzt. Keineswegs uneigennützig allerdings, sondern von zwielichtigen Motiven wie Eitelkeit und Konkurrenzdruck, vor allem aber: Rache getrieben. Rache dafür, dass Plainview Sundays Vater Abel das Land abgeschwatzt hat, unter dem das Öl zu finden ist.

Denn was Plainview zuvor mit der erwähnten Rede nicht gelingt, gelingt ihm wenig später an einem anderen Ort namens Little Boston: Er bringt eine kleine Gemeinde, die auf kargem Boden ein kümmerliches Dasein fristet, mit falschen Versprechungen um den darunter liegenden Reichtum. Auch in Little Boston hält er eine «I’m an Oilman»-Rede. Er spricht von Schulen, Brunnenbau und Getreidefeldern, von rosiger Zukunft und besseren Zeiten. Und P. T. Anderson gesellt Bilder von Zeltstädten und Baracken, Arbeiterkolonnen und Landschaftszerstörung zu diesen Sätzen; Bilder, die die Sätze nicht nur konterkarieren, sondern der Propaganda des Ausbeuters die Wahrheit der Ausbeutung gegenüberstellen; in einer Montage, die, wie zuvor schon die Überleitung von Exposition zu Hauptteil, einen Zeitsprung vollzieht, indem sie die Gegenwart auf der Tonebene mit der Zukunft auf der Bildebene verknüpft.

Wie Plainview, der seine Machtgier als Chef eines sogenannten Fami­lienunternehmens befriedigt, sucht auch Sunday nach einer gesellschaftlich akzeptierten Form, mit der er die Verfolgung egoistischer Interessen bemänteln kann. Er stillt seine Geltungssucht als spirituelles Oberhaupt der Church of the Third Revelation. Er ist ein Pharisäer, ein verblendeter Blender, dessen schwärmerische Religiosität und penetrante Gottergebenheit einem wie Plainview, der keinen anderen Lohn kennt als den konkreten, den er mit seinen eigenen Händen mühsam aus einer unerbittlichen Erde kratzt, unverständlich sein muss. Vom ersten Augenblick an sind die beiden einander zutiefst zuwider.

Mit Daniel Plainview und Eli Sunday – der eine des anderen Nemesis, der andere des einen Kreuz – verkanten sich die beiden prägenden Antriebsfedern der US-Gesellschaft ineinander: ein blasphemisches Unternehmertum, das keine Grenzen kennt, und eine bigotte Gläubigkeit, die an Fanatismus grenzt. Was folgt, ist eine Konfrontation von gleichermassen falschen Ideologien, die von symbolhaft angelegten und dabei doch zugleich komplex charakterisierten Figuren geführt wird und die das zwischen ihnen aufgespannte Konfliktfeld bis in dessen hinterste Winkel erforscht.

Eröffnet wird dieses Feld von Sundays Zwillingsbruder Paul, der Plainview für ein paar hundert Dollar den Hinweis auf das Ölvorkommen und damit recht eigentlich seine Familie verkauft.

Eines Tages nämlich tritt Paul – an der Kamera vorbei, die ihm folgt – durch die Tür in Plainviews Bürobaracke. Zu sehen ist zuerst lediglich des jungen Mannes Rücken sowie der dahinter am Tisch sitzende Daniel. Doch dann vollzieht sich in dieser aus einigen wenigen Einstellungen montierten Sequenz mittels sanfter und genau getimter Verschiebung von Figuren und Blickrichtung eine Öffnung: Hinter dem inzwischen in die Mitte des Raums getretenen Paul wird Daniels gleichfalls am Tisch sitzender enger Mitarbeiter Fletcher Hamilton sichtbar. Dann kommt im Hintergrund der sich vom Bett aufrichtende H.W. mit ins Bild und schliesslich werden die vier Figuren am Tisch stehend in einem gemäldeartigen Arrangement frontal von der Kamera erfasst. In ihrer Wuchtigkeit gemahnt diese Anordnung an Tafelbilder, in denen ein bedeutender historischer Moment festgehalten wird. Und in der Tat beugen sich die vier am Tisch wie Heerführer am Vorabend einer Entscheidungsschlacht über eine Landkarte, auf der Paul den Weg zur Sunday-Ranch zeigt. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Unaufhaltsam.

Die folgende Szene zeigt Daniel und H. W. Plainviews Ankunft in Little Boston – in einer langmütigen Fahrt, bei der die Kamera auf den parallel zur staubigen Piste verlaufenden Eisenbahnschienen vor den im Auto sich nähernden Figuren zurückweicht; quer durch den Ort, am Bahnhofsgebäude entlang, die spärlichen Häuser und die allgemeine Desolatheit der trotzigen Ansiedlung in den Blick nehmend. Dann hält der Wagen neben dem Bahnhof und die nächste Einstellung zeigt die beiden Wanderer über die steinige Ödnis von Isabella County in Richtung Ranch gehen.

Etwas steifhüftig, doch energisch und zielstrebig ist Plainviews Gang. Es ist der Gang eines Mannes, der seinen Körper als Arbeitsgerät begreift, das funktionstüchtig und effektiv zu sein hat. Kein Gramm Fett zu viel bewegt dieser Körper, der den zwecklosen oder gar den genussvollen Ausdruck nicht kennt. Keine Sinnlichkeit geht von ihm aus, und doch bestimmt die Präsenz seines Körpers den Raum, der ihn umgibt. Dazu passt, wie Plainview schläft und aufwacht. Auf hartem Boden in einem steinschweren Koma im Reich der Elemente, die ihn gezeugt haben mögen. Aus dem herausgerissen, ist er mit einem Ruck sofort und unmittelbar da, bereit zu bezwingen, was sich ihm entgegenstellt.

Daniel Plainview lässt nichts zu ausser sich selbst und so kommt es, als ihm in Gestalt von Eli Sunday der Vertreter eines ebenso umfassenden Gültigkeitsanspruches in den Weg tritt, zwischen den beiden zum Krieg um die Deutungshoheit über die Welt. Umso mehr, als Sunday sich Plainview’ scher Methoden bedient, um seine Ware Religion an den Mann zu bringen: Im Austausch für Gottes Segen für seine Unternehmungen soll Planview Sundays Glaubensgemeinschaft unterstützen, besser: ihr beitreten, besser noch: sie am Profit teilhaben lassen. Es ist ein Geschäft, in dem Gläubigkeit zur Währung wird, mit der die, ja auch nur behauptete, Schuld des Menschen gegenüber Gott beglichen wird.

Für diesen traurigen Primat des Merkantilen, der den Umgang seines Heimatlandes mit allem, und eben auch dem Nichtmateriellen, prägt, findet Anderson ein so unheimliches wie überzeugendes Bild. Der Erfolg nämlich von Daniel Plainviews Bohrung in Isabella County fällt zusammen mit einem tragischen Unfall – der Explosion des Bohrturms –, der H. W. das Gehör kostet. Der Moment, in dem die Quelle und damit das Geld zu sprudeln beginnt, ist zugleich der Moment des grossen Verlustes. Reichtum und Wohlstand im Austausch für Kummer und Mühsal? Strafe Gottes? Ein Zeichen?

Kurz nach dem schrecklichen Ereignis begibt sich Eli Sunday zu Daniel Plainview. Doch nicht, um Trost zu spenden, sondern um das seiner Gemeinde versprochene Geld einzufordern. Mit frömmlerisch vor dem Bauch gefalteten Händen schreitet er einen Hügel hinab und an einem Öltümpel beträchtlichen Ausmasses vorbei, in dem sich die Wolken am Himmel spiegeln. Symbolhaft steigt Gott zu seinem Geschöpf herab, um den Lohn für den Reichtum seiner Schöpfung einzufordern. Doch Gott gerät an ein undankbares Geschöpf. An eines, das ihm Fehler und Unzulänglichkeiten vorwirft.

Selbst aus der Distanz der Totale, die Daniel Plainview im Gespräch mit einigen Mitarbeitern zeigt, kann man an der Veränderung seiner Körperspannung erkennen, wie sich ihm beim Anblick des Predigers die Haare sträuben. Viel braucht es nicht. Sunday fragt Plainview nach dem Geld, das dieser seiner Kirche, seinem Gott, schulde und erhält als Antwort eine Ohrfeige und eine Tirade: «Aren’ t you a healer, and a vessel for the holy spirit? When are you coming over and make my son hear again? Can’ t you do that?» Plainview schleift den quiekend sich Wehrenden durch den Dreck, gibt ihm öligen Schlamm zu fressen und schwört: «I’ m gonna bury you underground, Eli.» Eli ist eine hebräische Bezeichnung für Gott. Und Plainview ist weit mehr als das, was offensichtlich ist.

Auch dafür liefert Anderson ein schlüssiges Bild; eine kurze Einstellung etwas später: Nachdem die Vermessung der Strecke für die Pipeline, die sein Förderunternehmen von den Vertriebswegen der Standard Oil unabhängig machen soll, abgeschlossen ist, geht Daniel Plainview im Pazifik baden. Die Einstellung zeigt seinen Kopf über und seinen Körper unter Wasser, d.h. eine grotesk verzerrte Kreatur, deren Proportionen an die eines Eisbergs erinnern und damit freilich auch an dessen gefährliche Unberechenbarkeit. Doch wird da nicht auch etwas vom Wesen des Mannes selbst sichtbar? Eines Mannes, der aus seinem Herzen buchstäblich eine Mördergrube macht, der sich niemandem anschliesst und der niemanden an sich teilhaben lässt. Einer Filmfigur, die erratisch ist und bleibt und sich der kompletten Deutung entzieht, so als habe man sie mit Öl eingerieben. Auch die unterirdischen Ölvorkommen, deren Aufspüren der Lebensinhalt des Mannes ist, könnten einem angesichts dieser wie ein Korken treibenden Monstrosität einfallen. Die Einstellung straft den Namen «Plainview» ein für alle Mal Lügen: Weithin sichtbar ist nichts. Dem Blick preisgegeben wird immer nur ein Bruchteil. Der überwiegende Rest bleibt im Verborgenen. Was im Kopf dieses Mannes, vor allem aber was in seiner bitteren, harten, kalten Seele wirklich vorgehen mag, hier wird es einen Moment lang augenscheinlich als Lavamasse, die sich unter einem Vulkan zur Eruption staut.

Daniel Plainview mag die auf Nutzen und Gewinn hin orientierte kapitalistische Weltsicht, die nichts anderes zulässt als den Warentausch und die Akkumulation von Mehrwert, geradezu idealtypisch verkörpern. In diesem symbolhaften Bild aber, das die Verkörperung dieser reduzierten Perspektive in einen konturlosen Abgrund verlängert und mit irrationalem Schrecken auflädt, liegt die Prophezeiung ihrer Vernichtung durch sich selbst.

Zudem markiert das Bad im Pazifik einen Punkt im Geschehen, an dem sich die Situation für Plainview ungut zugespitzt hat: Er hat seinen ertaubten und zunehmend unberechenbaren Ziehsohn scheinbar kaltherzig in die Stadt in ein Heim für Taubstumme abgeschoben; er steht im Begriff, seinen plötzlich aus dem Nichts aufgetauchten, angeblichen Halbbruder Henry zu ermorden; er wird schliesslich von einem Rachengel namens Bandy («I’m Bandy. [......] God. God has told me what you must do.») dazu gezwungen, sich des verhassten Eli Sundays Church of the Third Revelation anzuschliessen. Letzteres als Preis für Bandys Einwilligung in das Verlegen der Pipeline durch sein Grundstück, in ei­ner Taufzeremonie, die Plainview mit masslos aufsässiger Wut fast zur Travestie geraten lässt, an deren Ende neuerlich eindringlich kundgetan ist, dass das Verhältnis zwischen Gott und Mensch aus nicht mehr als Tauschhändeln besteht.

Und doch ...der Anschein von Daniel Plainviews Kaltherzigkeit trügt. Sein dreimaliger Schmerzensruf «I have abandoned my child! I have abandoned my child! I have abandoned my boy!», in dem die Szene kulminiert, wandelt nicht nur Jesu’ Kreuzesklage («Eli, Eli, lema sabachthani?», Mk 15,34) in eine Mischung aus blasphemischer Selbstanklage und nicht minder blasphemischem Vorwurf an den Herrn des Hauses. Er beweist auch Plainviews Menschlichkeit, beweist, dass er zu Zuneigung und Reue fähig ist, beweist, dass H. W. für ihn eben nicht lediglich ein «pretty face» ist, das ihm Geschäftsverhandlungen erleichtert. Plainview mag das verwaiste Kleinkind zunächst aus eigennützigen Motiven zu sich genommen haben, wie sehr ihm jedoch der Knabe inzwischen ans Herz gewachsen ist, daran lässt dieser reuevolle Verzweiflungsschrei keinen Zweifel. In ihm entlarvt sich das Pragmatische als Fassade und lässt an jenem finsteren Ort, der Plainviews Seele beheimatet, ein gut verborgenes, kleines, warmes Licht erkennen. Es ist der wunde Punkt. Die Verletzbarkeit durch Liebe. Das, an dessen Auslöschung Plainview ein Leben lang arbeitet, und mit dem zusammen er, als er es endlich zu Ende bringt, verlöscht.

H. W. ist Plainviews Sollbruchstelle. Eine Art Zärtlichkeit kennt der Ölmann nur im Umgang mit seinem Ziehsohn, und der Schmerz über dessen Verlust lässt ihn zwei Mal weinen: Eine einzige kaum bemerkbare Träne – für die Kamera ist es nur ein kurzes Lichtblitzen – fällt aus seinem Auge, bevor er H. W. ohne ein Wort der Erklärung in Fletcher Hamiltons Obhut zurücklässt, der den Jungen in die Stadt begleiten soll; und ein lautes, gen Himmel gerichtetes Heulen entringt sich seinen Eingeweiden in der Finsternis und Einsamkeit einer Nacht, als er im Tagebuch seines Bruders auf die Fotografie eines Kleinkindes stösst.

Zwei weiteren Sequenzen kommt in diesem Kontext Bedeutung zu. In ihnen ergeben innere und äussere Bewegung – die der Figuren und die der Kamera – eine sinnhafte Einheit; sie sind zudem jeweils ursächlich verknüpft mit einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Plainview und Sunday: Als würden sie einander spiegeln, folgt auf die Explosion des Bohrturms (nicht unmittelbar, aber bald darauf) jene Szene, in der Plainview Sunday Ölschlamm zu fressen gibt, und auf die Taufe, in der Sunday Plainview zwingt, das Blut des Lamms zu saufen (freilich metaphorisch), folgt die Rückkehr H. W.s aus der Stadt. Beide Male handelt es sich um Ereignisse, die von der Kamera in der Totale, mittels weitläufiger, parabelartig den Raum durchmessender Fahrt- und Schwenkbewegungen erschlossen werden, die wiederum den Bewegungen der Figuren folgen. Beide Male bewegt sich Plainview auf H. W. zu: Nach der Explosion rennt er zum Bohrturm, um den Verletzten aus der Gefahrenzone zu holen, und als der Rückkehrer aus dem Auto steigt, eilt er raschen Schrittes heran, um ihn zu begrüssen. Beide Male umarmt und hält Daniel das – beim ersten Mal körperlich, beim zweiten Mal seelisch – verwundete Kind; unterschiedlich nah kommt ihm dabei die Kamera. Als Daniel nach der Explosion mit H. W. auf dem Arm zur Kantinenbaracke läuft, bleibt ihm die Kamera dicht auf den Fersen, ja, sie drängt sich an ihn heran, als ob sie seinen Angstschweiss und seine Panik einfangen wollte, und sie vermittelt dadurch die Ausschliesslichkeit von Daniels Sorge, den einen einzigen Gedanken, den er hat: Sein Kind zu retten. Doch als Daniel H. W. bei seiner Rückkehr begrüsst, zeigt ihn Anderson aus der Ferne. Schaut, wie er in die Knie geht und den Jungen umarmt und fest an sich drückt. Dann sind deutlich die Sätze zu vernehmen: «Oh, that does me good. That does me so good.» Eigentlich ist es nicht möglich, aus dieser Entfernung zu hören, was Daniel Planview sagt. Möglicherweise hören wir also, was er denkt. Jedenfalls hören wir, was ihn bewegt. Aus der Distanz. Jener Distanz, die der Mann zwischen sich und seine Gefühle gebracht hat, und die zum Graben wird, der ihn von der Welt und von den Menschen trennt. Schöpfer seiner selbst und an seinem Geschöpf zugrunde gehend.

There Will Be Blood (USA 2007)

Buch/REGIE: Paul Thomas Anderson. Kamera: Robert Elswit. Schnitt: Dylan Tichenor. Ausstattung: Jack Fisk. Musik: Jonny Greenwood. Darsteller: Daniel Day-Lewis (Daniel Plainview), Paul Dano (Eli Sunday), Dillon Freasier (H. W.).

35 mm, Farbe, 158 Minuten, Englisch.

Alexandra Seitz
Filmkritikerin u. a. für ray Filmmagazin, Berliner Zeitung, tip Magazin. Bücher und Buchbeiträge u. a. über Johnny Depp, Spike Lee, Peter Patzak, Brad Pitt, Romy Schneider. Geboren in München, lebt in Berlin.
(Stand: 2011)
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