FRANZISKA HELLER

BEWEGTE UND BEWEGENDE KÖRPER — WARUM IM FILM DER SEX UNTER WASSER AM BESTEN IST

ESSAY

«You make me feel like I’m livin’ a teenage dream ... the way you turn me on ...» Tatsächlich bewegt sich hier ein Teenagertraum auf den Höhepunkt zu: Das Cabrio rast im grellen Sonnenschein auf der Küstenstrasse dahin, Sängerin Katy Perry lässt ihre Haare im Wind wehen. Der Blick öffnet sich auf das Meer ... So beginnt das Video des Popsternchens zu ihrem Song «Teenage Dream», in dem schamlos alle mehr oder weniger pubertätsgebundenen Fantasien von Attraktivität und sexueller Exploitation geplündert werden.1

Schon zu Beginn der zweiten Strophe sieht man dann auch den weiblichen Teenagertraum in seiner vollen Pracht, wenn in fragmentarisierten Einstellungen der muskulöse Adonis-Körper des von Josh Kloss inkarnierten Love-Interests eingeführt wird. Die Tatsache, dass der junge Mann dem Boxsport nachgeht, lässt seine körperlichen Vorzüge umso deutlicher hervortreten. Bei seinem barbusigen Training vollzieht sich der erste Blickkontakt zwischen Katy und dem Jungen.

Es folgen zitathafte Einstellungen, die Coming-of-Age Filme wie Ameri­can Graffiti (George Lucas, USA 1973) oder Footlose (Herbert Ross, USA 1984) in Erinnerung rufen: Bilder von nebeneinander herrasenden Autos leiten hin zu der standesgemässen Teenagerparty am Strand. Dabei entwickelt sich zwischen den exaltiert Tanzenden, deren Bewegungen sich zunehmend mit der Gischt der anbrandenden Wellen vermischen, eine Montage zu der nächtlichen Kopulation im Motel-Zimmer von Katy und ihrem gestählten Lover. Es beschleunigen sich Close-ups auf sinnlich aufbegehrende Gesichter und einzelne Partien sich räkelnder Körper.

Schliesslich kommt der Clip mit der bildhaften Erfüllung des «Teenage Dream» zu seinem Höhepunkt, auf den vorher Montage und Einstellungen sinnlich hochpeitschend hingearbeitet haben. Eine kurze, aber umso intensivere Kulmination: Der Lover wartet im Swimmingpool – und der Zuschauer mit ihm. Die Kamera hängt leicht im Wasser, das Blickfeld wird immer wieder von einzelnen kleinen Wasserbewegungen überspült und zeigt den Männerkörper sowohl über wie unter Wasser. Im Bildhintergrund lässt sich Katy langsam ins Wasser gleiten. Alle Beteiligten – Katy, Lover und Zuschauer – sind nun gleichsam umfangen vom sinnlichen Element und finden sich vereinigt im wellenbewegten Raum. Zusammen mit dem eng umschlungenen Paar sinkt man hinab in die türkisfarbene Tiefe. Dabei drehen die beiden Liebenden sich umeinander ... Durch den umgebenden, sinnlich bewegenden Raum des Wassers wird man als Zuschauer sensuell Teil dieser Intimität.

Insbesondere diese letzten Einstellungen des Clips zitieren ein körperlich bewegendes Stereotyp filmischer Erzählformen. Es geht um die besondere filmische bzw. audiovisuelle Ausdrucksform für die sensuelle menschliche Vereinigung. Sex im Pool, im Meer, im See oder im Fluss: Der sinnliche Höhepunkt menschlicher Begegnung findet im Film erstaunlich oft in dem besonderen Raum des Wassers statt. Die Unterwasserwelt bietet ein fast himmlisches, traumhaftes, eigenes Bewegungsuniversum, das über seine inneren Relationen sexuelle Lust und Begehren filmisch vermittelt und eine kinästhetische Wirkung auf den Zuschauer entfaltet. Katy Perrys Video bedient sich bewusst in Ikonografie, Narration, Dekor, Materialästhetik und Bildformen medialer Klischees, um den «Teenagertraum» möglichst nachhaltig audiovisuell auf allen Ebenen zu vermitteln. So erscheint es nur konsequent, dass der abschliessende Höhepunkt des sexuellen Traums sich die besondere Wirkungsweise der Kombination aus menschlichen Körpern und Wasser zunutze macht.

Der Traum vom Höhepunkt: Where the magic happens

Denkt man länger über die Beliebtheit der filmischen Liebe unter Wasser nach, erinnert man sich wahrscheinlich auch an Beispiele wie The Blue Lagoon (Randal Kleiser, USA 1980) und Color of Night (Richard Rush, USA 1994). Dabei bleibt eben genau die Frage – was macht den filmischen Akt im nassen Element so eindrücklich? Wie entwickelt sich die besondere Magie dieses filmischen Moments?

Zur Beantwortung dieser Frage ist etwa Danny Boyles The Beach (USA/UK 2000) ein exponiertes Beispiel. Zusätzlich interessant ist hier, dass dieser Film – ähnlich wie Katy Perrys Video – pasticheartig intermediale Bezüge herstellt, die insbesondere bei Boyle einen selbstreflexiven Gestus über zeitgenössische Jugendkultur anvisieren. The Beach erzählt von den antizivilisatorischen Sehnsüchten einiger Jugendlicher, die dem Traum vom reinen genuss- und spassorientierten Leben am perfekten Strand nachjagen. Es geht um die ständi­ge Suche nach Befriedigung und Erfüllung. Die Zwiespältigkeit zwischen paradiesischer Erfüllung und ständigen, auf Abwesendes zielenden Begehrlich­keiten findet sich vor allem bei der Hauptfigur Richard (Leonardo DiCaprio). Er lebt in Thailand an dem traumhaften Strand, aber seine Liebe bleibt dennoch unbefriedigt: Sein Schwarm Françoise (Virginie Ledoyen) ist immer noch mit ihrem Freund Etienne (Guillaume Canet) zusammen. Doch eines Abends bittet Françoise ihn zu einem Spaziergang. Richards Sehnsucht wird filmisch vermittelt vor dem Hintergrund der nächtlichen Meeresfläche. Aus Richards Perspektive sieht man Françoises Gesicht vor diesem zauberhaften, sternenähnlichen verklärenden Hintergrund. Überraschend gesteht Françoise in diesem Ambiente, dass sie Richard mag. Dann entdeckt sie lumineszierendes Plankton, das unwirklich unter der dunkelblauen, luziden Wasserfläche leuchtet. Der Ozean verwandelt sich in ein «Sternenmeer» aus Lichteffekten unter dem Wasser, die einen silbrigen Schein unter und über der dunkelblauen Oberfläche ausstrahlen. Die Sequenz wird begleitet von zauberhaften Glockenklängen und dem Lied «Pure Shore» der schmachtenden Girl-Band All Saints: «I’m coming, not drowning, swimming closer to you.»

Françoise wirft sich ins Meer, Richard folgt ihr. Sie tauchen in das Lichtspiel ein. Sie schwimmen beide ins Bild, was die Kamera aus einer leichten Untersicht zeigt. Ihre Körper sind vollkommen eingenommen vom audiovisuellen Meeresraum. Vom Mondlicht breiten sich fächerartig Strahlen aus. Richard und Françoise treiben zur Bildmitte. Sie sind nun mit ihren gesamten Körpern im Bild. Die Körper schwimmen frontal auf die Kamera zu, verschwinden aber dann fast in dem glitzernden Schwarm aus Bläschen in der gleissenden Szenerie. Wie Nymphen finden die silbernen Gestalten zueinander. Dazu sind immer wieder feenhafte Zauberklänge eines Glockenspiels zu hören. Als die beiden sich in einer Umarmung verschlingen, hält die Melodie kurz retardierend inne. Man sieht nun die beiden Liebenden sich um sich selbst drehend nach oben steigen. Sie werden von einem Lichtschweif verfolgt, den sie hinter sich herziehen (Abb. 1–2).

In einer Unterwassertotalen schweben sie unter dem Fächer der Strahlen des Mondscheins ins Licht. Als das Lied wieder energischer einsetzt, tauchen die beiden mit lautem Ausatmen auf. Doch das Auftauchen er­scheint in der Bewegung stilisiert. Es ist verlangsamt durch eine leichte Stop-Motion-Zeitlupe. Ton und Bild stimmen nicht überein. Françoise und Richard beginnen sich in der halbnahen Einstellung auszuziehen. Überlautes Stöhnen und Atmen ist zu hören. Dann folgt eine Totale auf die glitzernde Meeresfläche. Das Bild könnte auch eine Einstellung auf eine wolkenverhangene Mondnacht vom Himmel sein – eine Analogie zum Inhalt: Die beiden sind im (siebten) Himmel.

The Beach erzählt also von den Begierden von Jugendlichen und Twens, die in einer globalisierten Welt nach einer Utopie suchen. Ihre Träume und Sehnsüchte sind durchsetzt von mediatisierten Vorstellungsbildern. So ist die Sexszene zwischen Richard und Françoise als filmischer «Magic Moment» der völligen Enthobenheit inszeniert. Von Anfang an ist Françoise für Richard – und auch für den Zuschauer in diesem Moment – einer himmlischen Erscheinung ähnlich. Als die beiden dann in das Wasser eintauchen, treten sie gemeinsam in einen haptischen Raum ein, die Aussenwelt scheint ausgeschlossen. Die visuelle Konzentration liegt auf den beiden schwimmenden Körpern, die sich in diesem lichterfüllten Raum, durch ihre synchrone, schwimmende Bewegungsform als zusammengehörig definieren. Diese Bewegungen werden dann durch den glitzernden Schweif betont: In einer Aufwärtsdrehung, eingehüllt im tanzenden Licht sind sie vollkommen eins. Die zauberhafte Umarmung ist auch noch auditiv mit den sich ausbreitenden Glockenklängen unterlegt. Das Ausbreiten von «Sternenstaub» assoziiert keine materielle Festigkeit, sondern konnotiert in erster Linie ephemere, sensible Lichteffekte. Die Popmusik unterstützt die Dynamisierung durch ihren Rhythmus und zugleich durch ihre Textebene, die auch das Motiv des Schwimmens abruft. Der Text verweist zusätzlich überdeutlich auf den Annäherungsprozess der beiden: «Coming closer to you.»

Das Motiv des zauberhaften Magic Moments als die Vereinigung zweier jugendlicher Liebender wird so exzessiv ausgespielt. Dies geschieht auf unterschiedlich medial kodierten Ebenen, vor allem durch die Märchenzitate, in denen der Meeresraum formal zum «Himmel» erhoben wird. Das Schwimmen wird zum Fliegen als Bewegungsform der völligen Enthobenheit von irdischem Dasein und Realität. So wird über diese nur noch auf die zwei Körper bezogene und damit vereinigende Bewegungsform filmisch das Sexuelle der Sequenz sinnlich vermittelt – ohne dass der eigentliche sexuelle Akt mimetisch abgebildet werden müsste: Vielleicht mag im Film frei formuliert gelten: The magic happens in the (sensual) movement of the medium ...

Aquatische Homoerotik

Wild Things (John McNaughton, USA 1998) erweitert die filmische Fantasie von Sex im Wasser um mehrere Komponenten und zeigt, dass die dort ausgeführte Beziehung nicht unbedingt heterosexueller Natur sein muss: Der Film von John McNaughton vereinigt in der bekannten und sogar auf dem Filmplakat zitierten Pool-Szene zwei (männliche) Träume: Die beiden Protagonistinnen Suzie und Kelly, gespielt von den damaligen Jungstars Neve Campbell und Denise Richards, geraten im Wasser erst in einen handgreiflichen Streit, bevor es dann zur körperbetonten Versöhnung – immer noch im Pool – kommt. Dabei dient das Wasser als Ort der Auseinandersetzung zunächst als audiovisueller Katalysator der Bewegungsexplosion der aggressiven Frauenkörper. So wirkt das fluide Element immer wieder wahrnehmungskonfigurierend auf mehreren Ebenen: In Unterwasseraufnahmen verunklaren sich die Körperkonturen, die Farben verändern sich nachhaltig. Es entstehen unterschiedliche Bewegungsformen über und unter Wasser, die Wasserfläche wird entscheidend für die Kadrierung des Bildes, und vor allem auch der Ton wechselt hektisch zwischen hallender Klarheit und Dämpfung.

Zunächst ohrfeigt Suzie Kelly, diese schlägt zurück und drängt Suzie ins Wasser, wo sie deren Kopf unter Wasser drückt. Dies sieht man aus der Untersicht. Durch die Dämpfung des Tons wirkt der Unterwasserraum abgeschlossen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass jede Bewegung unter Wasser durch Luftbläschen begleitet wird: Die Situation scheint unentrinnbar. Durch die empfundene Abgeschlossenheit des Raumes steigt der Druck für Suzie. Dies wird kombiniert mit einem Zwischenschnitt über Wasser, der Kellys Kraft zeigt, mit der sie Suzie unter Wasser hält. Gleichzeitig kommt aber schon für den Zuschauer Eros in Bezug auf die Frauenkörper ins Spiel. Die Kadrierung exponiert bewusst Denise Richards wogende Brüste. Die Einstellungen auf Suzie unter Wasser wirken zudem wie ein filmisch angehaltener Atem, der jeden Moment in einer Explosion enden kann.

So entwickelt sich ein ekstatischer Kampf, die Bewegungen unter Wasser werden chaotisch. Überlautes Atmen ist zu hören – besonders, wenn der Unterwasserraum aufgebrochen wird und man als Zuschauer plötzlich wieder über Wasser zwischen den kämpfenden, nassen Frauenkörpern ist. Als Suzie doch noch einmal auftauchen kann und Richtung Pooltreppe zu fliehen versucht, sieht man wieder in Untersicht unter Wasser die in Luftblasen verschlungenen und hektisch tretenden Beine der beiden Mädchen. Schliesslich kommt Suzie erschöpft auf der Treppe zum Liegen, die Kamera zeigt dies halb hoch über der Wasserfläche hängend, was eine seitliche Perspektive auf das nasse, von der Brust gewölbte Hemd von Suzie ermöglicht. Suzie bleibt halb im Wasser liegen, Kelly beugt sich über sie. In Aufsicht ist Suzies Gesicht umgeben von den Spielen des Wassers, den kleinen Wellenbewegungen. Ihr unruhiger, erschöpfter Atem mischt sich mit Schluchzen. Kelly streicht Suzie die nassen Haare aus dem Gesicht. Die beiden beginnen sich gegenseitig über die feuchten Lippen zu streichen und die Finger zu lecken. Suzie scheint ergeben im Wasser unter Kelly zu schweben. Dann zieht Kelly Suzie aus dem Wasser zu sich heran – die beiden küssen sich.

Durch das deutliche, im Profil gezeigte «Heranholen» von Suzies Körper aus dem Wasser hin zu Kelly, was von dem Wasser auditiv tropfend begleitet wird, entsteht der besondere Eindruck der Annäherung. Diese Zusammenführung wird in ihrer Bewegung exponiert und aufgeladen, dadurch dass sie sich sensibel und zugleich singulär im Wasser umgesetzt sieht: Nur in der Ruhe kann man die Sensualität der Situation wahrnehmen. Dies steht natürlich in direktem Zusammenhang mit dem Chaotischen des Kampfes davor, bei dem das Wasser ebenfalls als Katalysator zur Pointierung der Bewegung diente.

Die Szene endet mit dem faszinativ-überraschten Blick von Officer Duquette (Kevin Bacon), der die beiden Mädchen als Verdächtige die ganze Zeit observiert hatte. Er kann die Augen von dem Geschehen nicht lassen: Im Gegenteil, er hält seine Videokamera drauf und zoomt gar auf die beiden küssenden Mädchen. Der Shot vom Display der Kamera bildet den Anschluss auf einen Monitor in einer Polizeiwache, wo das Pool-Video weiter läuft. Ein Kollege von Kevin Bacon schaltet mit einem «Jesus Christ!» den Monitor aus.

Wild Things nutzt die audiovisuellen Möglichkeiten des Wassers, um über Strukturen der Sichtbarkeit und vor allem die Pointierung von Bewegungen die Frauenkörper zu inszenieren und damit ihre Annäherung als Höhepunkt sinnlich aufzuladen. Dabei wird dem Filmzuschauer bewusst nahegelegt, sich der Faszination der Szenerie hinzugeben – nur um diese Erfahrung dann zu brechen: Der Film nimmt medienreflexiv die voyeuristische Ebene selbst auf. Duquette tut das, was man als Zuschauerin oder Zuschauer vielleicht auch bei dem Shot aus seiner entfernten Perspektive unmittelbar tun möchte. Damit ist aber die eigene Faszination an der Szenerie entlarvt – wie auch die eigene Erregung, ausgedrückt in dem Begehren, Sichtbarkeit in diesem Universum der verschwimmen­den Konturen zu erlangen. Auf diese Weise wird über die klischeebehaftete Vorstellung von zwei feuchten Frauenkörpern, über die überdeterminierte Fantasie von aquatischer, weiblicher Homoerotik, ein selbstreflexiver Kommentar vermittelt: der sinnlich-somatische Voyeurismus von Film in seiner nassen Reinform.

Sinnliche (Ver-)Blendung

Was als kollektive Fantasie – von Katy Perry bis Wild Things – anzitiert und genutzt wird, soll mit Julio Medem abschliessend wirkungsästhetisch illustriert werden: Die Frage nämlich, warum ausgerechnet im Film der Sex unter Wasser so sinnlich ist? Im Mittelpunkt der Antwort steht das bewegte Wechselspiel von Wahrnehmbarkeit und Fantasie. Medems pointierte filmische Inszenierung in Lucìa y el sexo (Julio Medem, E/F 2001) synthetisiert und radikalisiert auf der wirkungsästhetischen Ebene die Beobachtungen aus den bisherigen Beispielen. Die titelgebende Episode «el sexo» beginnt wie folgt: Man hört zuerst Atmen. Dann sieht man Lorenzo (Tristan Ulloa) in einem Unterwasserraum schweben; man ist mit ihm im Element. Er blickt nach rechts oben aus dem Bild heraus. Balken aus Licht und Schatten streifen seinen fast weissen Körper in der nächtlichen Unterwasserwelt von unten nach oben. Im Gegenschuss hinauf sieht man in ein helles Gegenlicht, das seine Strahlen über das Bild, wie einen Trichter drehend, fliessend ausbreitet. Dort hinein, vor diese fluide Sonnenerscheinung, schwimmt langsam eine zarte Schattenkontur (Abb. 3–4).

Das Gleiten der Körper, gezeigt aus der Untersicht, wird auf der Ton­ebene überlagert von dem genussvollen, sanften Atmen einer Frau. Sie entschwindet aus dem Bild. Mit einem Jump Cut ist sie dann bei Lorenzo; sie umkreist ihn in einer schwebenden Drehung. Langsame Klaviermusik ist zu hören. An den Konturen vorbei blitzen das Licht und die punktuellen Reflektionen der Luftbläschen auf. In einer schnelleren Abfolge sieht man die beiden Körperschatten in unterschiedlichen Positionen und Einstellungen miteinander im Gegenlicht verschmelzen – zwischen Schatten und Blendung. Durch den Raum des Wassers und die gleitenden Bewegungen der Körper scheinen die eigentlich fragmentierenden Einstellungen zu einer omnipräsenten, auf die Körper bezogenen Bewegung zu verschmelzen.

Als die Körper hochtreiben, befindet sich die Kamera in einer Totalen über dem Meer. Man sieht nur die dunkelblaue Meeresfläche, die irgendwo in dem schwarzblauen Horizont aufgeht. Am linken Bildrand tauchen die beiden Liebenden mit einem leichten Platschen auf. Man hört die Frau herzhaft lachen. In der Mitte des Bildes hängt der runde Vollmond am Himmel, der die Szenerie (künstlich) beleuchtet. Er wirft einen Lichtkorridor auf das Meer. Die verschlungenen Körper sind eins mit dieser Welt, jede ihrer Bewegungen wird übersetzt in silbrige Lichtschweife. Dies setzt sich im Unterwasserraum des Meeres, in den nun wieder geschnitten wird, fort. Erneut sieht man fast nur Schatten, die im Gegenlicht schwimmen. Einzelne Körper(-teile) und -bewegungen sind gar nicht mehr auszumachen. Haare schweben vorbei und transportieren im widerstandslosen Gleiten die Wellenbewegungen des Wassers. Die Körper sind ganz und gar von dem Raum affiziert, nehmen die Wellenbewegungen in sich auf. Sanft werden Schwärme von Luftbläschen erzeugt.

Die konkrete Raumerfahrung des Zuschauers, in die «el sexo» sinnlich transponiert wird, funktioniert auf mehreren Ebenen. Zunächst wird mit der Einstellung auf den frei schwebenden Lorenzo das Gefühl von Schwerelosigkeit etabliert. Dabei bleibt die Kamera aber nah genug bei ihm, um mit ihm in dem eigentlich nicht fest definierten Raum eine Intimität aufzubauen. Dies ist das grundlegende Paradox dieses fluiden Raumes: Zum einen erzählt er eine intime Vereinigung, zum anderen ist der Raum denkbar unbestimmt. Deshalb ist es entscheidend, festzuhalten, dass der Raum der Unterwasserwelt sich durch seine aufeinander bezogenen Bewegungsmodi und -rhythmen (v. a. der Körper) definiert.

Zugleich rahmt das dunkelblaue Element die Körper. Auf diese Weise entsteht das Gefühl des «Eingetaucht-Seins»: Als Zuschauer ist man ganz und gar von der umgebenden Umwelt erfasst. In der ersten Einstellung auf Lorenzo wird dies durch die gleitenden Lichtstrahlen auf seinem Körper deutlich. Damit wird Lorenzos Körper als Projektionsfläche für die Wahrnehmung des Zuschauers gleitend in den Blick genommen, von den wogenden Bewegungen bestimmt. Lorenzo schaut schräg hoch. Durch diesen Blick und die darauf folgende Kameraeinstellung wird der Raum (virtuell) dreidimensional. Auch über ihm ist Wasser – beleuchtet von der «fluiden Sonne», deren Strahlen sich mit und über Wellen ausbreiten. Dieses ondulierende Moment der Sichtbarkeit übersetzt sich in die Montage der Bewegungen der menschlichen Körper. Es ist aber nicht der schwimmende Körper allein, der durch seine Bewegungsform die Wahrnehmung verändert; man sieht nicht die vollständige (zielgerichtete) Bewegung abgebildet. Vielmehr erfährt man die Bewegung filmisch umgesetzt und damit wogend rhythmisiert. Die Kamera geht schwimmend, gleitend in den Bewegungen auf. Auf diese Weise wird Sex nicht in physisch-mechanischen Bewegungen des eigentlichen sexuellen Aktes abgebildet, sondern in einem sinnlichen Raum in einer wogenden Erfahrung vermittelt – wie auch schon angedeutet in den anderen Filmbeispielen.

Zudem transportiert die filmische Vermittlung von Wasser haptische Qualitäten. Diese elementhaften Qualitäten treten hervor im Wechselspiel zwischen dem Wahrnehmungsbild der gleitenden Bewegungsformen und der individuellen Vorstellung von körperlicher Wassererfahrung – ähnlich einer kin­ästhetischen Erinnerung. Das Körperliche arbeitet dem sexuellen und damit erlebnishaften Kontext der Szene zu. Dies wird zusätzlich aufgeladen durch die Kopplung von Atmen mit den schwebenden Bewegungen der nackten Körper.

Neben dem gleitenden Fluss der Montage und der partiellen Bildausschnitte auf die Körper wird auch noch auf der Licht- und Schattenebene mit Sichtbarkeiten gespielt. Lust und sexuelle Erregung übersetzen sich in ephemere Bewegungen, die wiederum in den Luftblasen als Lichtreflexe vermittelt werden und damit für den Zuschauer das Bild um visuelle Reize anreichern. Insbesondere das Element der Blendung und ihr Gegenteil, das Dunkel, übernehmen als tatsächliche, konkrete Erfahrung in der Wahrnehmung des Zuschauers eine entscheidende Rolle. Denn sowohl Gegenlicht wie auch das Dunkel sind Grenz­erfahrungen der filmischen Wahrnehmbarkeit, in denen das Sinnlich-Imaginäre beim Zuschauer aktiviert wird. Insbesondere die Blendung ruft zugleich auch eine körperliche Reaktion (in extremo das Schliessen der Augen) hervor. In der Erfahrung der Blendung durch Gegenlicht wird das Moment des Überschusses, des nicht mehr auszuhaltenden «Zuviel», des nicht mehr zu fassenden Exzesses sinnlich für den Zuschauer spürbar.

Von feuchten Träumen zum filmischen Exzess

Das Sensuelle und besonders Wirksame an der filmischen Liebe unter Wasser sind die speziellen Formen des audiovisuellen Erlebens, in denen sich das sinnliche Sujet vermittelt. Dabei können und werden unterschiedliche Fantasien und erotische Vorstellungen aktiviert. Im Mittelpunkt steht dabei das sensuelle Potenzial des Wassers als bewegter wie bewegender audiovisueller Raum.

Katy Perrys Video kombiniert pasticheartig popkulturelle Zitate, um den sexuellen «Teenage Dream» zu vermitteln. Dabei setzt sie am Ende auf die sinnliche Effektivität der Liebe im Pool. So verbindet der Clip die Komplexe aus kollektiver Fantasie mit einer empfundenen körperlichen Intimität, die auf der Erfahrung des (Unter-)Wasserraums fusst. The Beach treibt die traumhaften Elemente bis zum Exzess. Der Film baut über die Begleitung jeglicher Bewegung mit glitzernden Schweifen einen filmischen Magic Moment auf, der sinnlich den sprichwörtlichen siebten Himmel körperlich erfahrbar macht. Wild Things agiert unromantischer, dafür wesentlich voyeuristischer gegenüber den feuchten Frauenkörpern, die in ihren Bewegungen exponiert und ständig aufeinander bezogen werden. Dabei spielt insbesondere das Verhältnis von Kader und Wasseroberfläche eine besondere Rolle. Die Wasserfläche als Grenze lässt die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen – unter wie über Wasser – in ein spannungsgeladenes Wechselspiel treten. Der Film spielt mit der Faszination von tatsächlich Sichtbarem und individueller sexueller Fantasie. So ist allen Beispielen – besonders formal gebündelt in Lucìa y el sexo – gemein, dass der filmische Unterwasserraum besondere Potenziale eröffnet: Die menschlichen Körper definieren sich nur noch in ihrer (rhythmischen) Bezogenheit aufein­ander. Es wird deutlich, dass die Vereinigung von Liebenden in einem schwerelosen, nicht definierten Raum sich mit dem Moment des Eintauchens in Wasser filmisch intensiv vermitteln lässt und einen wiederkehrenden Topos darstellt. Insbesondere die Spiele mit Sichtbarkeiten und Lichtreflexen können zudem das Imaginäre, Fantasievolle und vor allem auch Fantastische beim Zuschauer aktivieren. Audiovisuell wird es also über das fluide Medium möglich, sinnliche Topoi wie Lust und Sexualität auf der wahrnehmungsstrukturellen Ebene mit dem ephemer Imaginären und Immateriellen des Begehrens zu verbinden: Der audiovisuelle Raum des Wassers erzeugt so immer wieder Spannungsverhältnisse gegenüber dem Wahrnehmbaren, was eine filmische Form des Begehrens erzeugt. Dies geschieht mit allen Mitteln – und dabei muss die Mechanik des biologischen Aktes nicht mimetisch abgebildet sein. Es reicht vollkommen, das Erleben filmisch zu vermitteln: von der wellenbewegten Kamera über gleitende Lichtstrahlen bis hin zu akusmatischen Spielen mit dem Ton. Dadurch wird für diese intensiven Momente ein Raum geschaffen, in dem die Körper nicht mehr herkömmlichen Ausdrucks- und Wahrnehmungsformen gehorchen. So entwickelt sich eine spezifisch filmische Bewegungsform der Sinne, die sich nachhaltig auf den Zuschauer überträgt. Und deshalb ist auch – vielleicht gerade im Film, wo der Zuschauer trocken in seinem Sessel sitzt – der Sex im und unter dem Wasser am besten.

Vgl. Videoclip Katy Perry: Teenage Dream (Yoann Lemoine, USA 2010).

Franziska Heller
*1979, Dr. phil., 2015 Lehrstuhlvertretung von Prof. Dr. Barbara Flückiger am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. 2008-2015 Mitarbeiterin und Habilitandin in verschiedenen, durch die KTI wie den SNF geförderten Projekten zur Theorie und Praxis der Digitalisierung und Medienhistoriographie. Monographien: Filmästhetik des Fluiden. Strömungen des Erzählens von Vigo bis Tarkowskij, von Huston bis Cameron (Wilhelm Fink 2010) und Alfred Hitchcock. Einführung in seine Filme und Filmästhetik (Wilhelm Fink 2015).
(Stand: 2017)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]