Plötzlich ist sie weg. Giulia (Corinna Harfouch) ist gerade unterwegs zur Feier ihres 50. Geburtstags. Da stellt sie fest, dass die Reflexion ihres Gesichtes in einem Busfenster nicht mehr zu erkennen ist. Ein Abstecher in ein paar Läden soll den Frust vergessen lassen. Doch auch dort wird sie nicht wahrgenommen. Bis sie in einem Brillenladen von einem fremden Mann (Bruno Ganz) angesprochen wird. Anstatt zu ihren Freunden ins Restaurant zu eilen, lässt sich Giulia zu einem Drink einladen.
Derweil wartet die Geburtstagsgesellschaft immer ungeduldiger. Im Gespräch witzeln sie über Krampferscheinungen beim Sex, Vergesslichkeit und den schwer verdaubaren geschmolzenen Käse. Im Alterswohnheim feiert unterdessen Léonie (Christine Schorn) ihren 80. Geburtstag. Sie bringt durch ihr unziemliches Verhalten ihre verklemmte Tochter genussvoll in Verlegenheit.
Nach Happy New Year (CH 2008) hat Regisseur Christoph Schaub einen weiteren Episodenfilm gedreht, der in Zürich spielt. Doch das erkennen nur Ortskundige. Giulias Verschwinden spielt in einem in Dunkelheit gehüllten Zürich, in dem alle Menschen Deutsch sprechen. Das liegt daran, dass das ursprünglich für Daniel Schmid verfasste Drehbuch von Schriftsteller Martin Suter stammt. Für Schaub war klar, dass der Text nicht in Mundart übersetzt werden sollte.
Das Drehbuch ist voller schlagfertiger Dialoge und herrlicher Bonmots über das Alter und die Befindlichkeit verschiedener Generationen. Besonders die Freunde von Giulia wissen nicht so recht, ob sie sich mehr über die ersten Altersbeschwerde beklagen sollen oder sich doch eher darüber freuen dürfen, dass die Unerfahrenheit und die Verträumtheit der jungen Jahre weit zurückliegen. Lösungen für das unbeschadete Überstehen des Alterungsprozesses bieten Suter und Schaub nicht. Vielmehr schwebt im Hintergrund «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli als Symbol für das Unerreichbare: unvergängliche Jugend und Schönheit.
Schaub hat den Film mit zwei HD-Kameras gedreht, um «die Geschichte mit Tempo zu erzählen und die Dialoge als spritzigen Schlagabtausch zu gestalten». Durch die reduzierten Schauplätze wirkt die Inszenierung bisweilen zwar wie ein Bühnenstück. Doch die treffenden Dialoge und die spielfreudigen Schauspieler sorgen dafür, dass der Film trotz eingeschränkter Bewegungsfreiheit immer einen lebendigen Eindruck vermittelt. Nachteil der digitalen Kameras: Da viele Szenen mit wenig Licht gedreht wurden, ist das Bild ziemlich düster. Die Bildgestaltung ist aber durch die vielen Spiegel und zahlreiche den Blick verdeckenden Objekte meist reizvoll. Die formalen Schwächen mindern den Genuss dieser bissigen Komödie denn auch kaum.