JÖRG TÜRSCHMANN

NACH FRANCO — FILME DER SPANISCHEN TRANSICIÓN DEMOCRÁTICA (1975–1982)

ESSAY

Die Schwarze Legende

Einige Vorurteile gegenüber Spanien halten sich hartnäckig. Sie helfen, eine komplexe Nationalgeschichte auf wenige Schlagworte einzudampfen. Spanien ist demnach gleichzusetzen mit «Stierkampf», «Urlaub», «Flamenco», «Katholizismus» und davon abgeleitet «Leidenschaft» und «Grausamkeit». Politik könnte dann heissen «Willkür», «Zensur», «Folter». Solche Vorstellungen gehören im Ausland zu einem jahrhundertelang gepflegten Bilderbogen und heissen leyenda negra, Schwarze Legende. Sie entstand laut spanischen Historikern im Ausland und stellt ein Sammelsurium dar, das sich in der Frühen Neuzeit aus kritischen Schriften zur Inquisition und Amerikas Kolonialisierung speiste. Sie hat mittlerweile das nationale Bewusstsein so nachhaltig geprägt, dass sie zu einem Selbstbild geworden ist.1 Über vier Jahrhunderte später wurde dieser Strauss aus Halbwahrheiten und nützlichen Schlagworten vom Diktator Franco dankbar aufgegriffen, um zu behaupten, dass Spanien anders als das übrige Europa sei. Spaniens Sonderrolle dauerte vom Bürgerkrieg (1936–1939) bis zu Francos Tod (1975) und bescherte dem Land die Stellung eines europäischen Hinterbänklers. Entsprechend aufmerksam reagierten daher Kinopublikum, Filmkritiker und -historiker im Ausland immer dann auf einen spanischen Film, wenn ländlicher Despotismus, geheimpolizeiliche Folter oder feuriger Flamenco auf die Leinwand kamen. Aber wie entwickelte sich die spanische Filmproduktion nach Franco? Blieb sie ein Sonderfall Europas?

Der Übergang zur Demokratie, die transición, begann 1975 mit Francos Tod, wird aber wegen der dictablanda, der sanften Diktatur in den frühen 1970er-Jahren, auch ein oder zwei Jahre früher angesetzt. Die Transición endete 1982 mit der Wahl des Sozialisten Felipe González zum Ministerpräsidenten und der Regierungszeit seiner Partei PSOE, der Partido Socialista Obrero Español, die bis 1996 dauerte. In der Filmgeschichtsschreibung stehen solche Filme im Vordergrund, die Bürgerkrieg, Franquismus und die Transición selbst reflektieren. Beachtung findet vor allem Carlos Saura, sowie Victor Erice oder José Luis Borau.2 Gewollt oder nicht tradieren ihre Filme zum Teil die Schwarze Legende, indem sie mitunter durch symbolische, surreale Überhöhung eine beispielhafte Gesamtansicht des Landes liefern.

Das Kino der Transición ist bis heute trotz einiger umfangreicher Publikationen keineswegs erschöpfend erforscht.3 Die Filmgeschichte auf dem Weg in die Demokratie wird in mehrere Phasen unterteilt: «Postfranquismus» (1975–1976), «Übergang zur Demokratie» (1977–1980) und «Ernüchterung» (1980–1982).4 Man geht von 1033 Produktionen und Koproduktionen aus, die in dieser Zeit entstanden sind. Zählt vor allem das Politische, dann schränkt sich das Korpus auf 289 Filme ein.5 Darunter fallen auch solche, bei denen der Lokalpatriotismus ins Spiel kommt. Denn Spaniens Filmgeschichte ist nicht erst seit der Aufteilung in Comunidades Autónomas 1978 eine Geschichte seiner Autonomen Gemeinschaften. Wichtig sind Katalonien und das Baskenland. Denn beide haben Filmemacher hervorgebracht, die gegenwärtig einem grösseren Publikum im In- und Ausland bekannt sind. Für Katalonien sind das Ventura Pons, Bigas Luna, Manuel Huerga, Álex de la Iglesia und Agustí Villaronga, für das Baskenland Montxo Armendáriz, Juanma Bajo Ulloa und Julio Medem, um nur einige zu nennen. Die Filme und ihre Regisseure aus der Zeit der Transición sind wahrscheinlich weniger im Gedächtnis.6 Im Folgenden soll auch auf diese zwei Regionen eingegangen werden, die heute zusammen mit Madrid Spaniens Wirtschaftszentren sind. Ihre Filmgeschichte bietet stellvertretend für andere Landstriche ein differenziertes Bild des politisch ambitionierten Filmschaffens abseits der schwarzen Legende.

Katalonien

Für Katalonien wie für andere Autonome Gemeinschaften galten dieselben Rahmenbedingungen. Das Fernsehen verdrängte das Kino. Seit Beginn der 1970er-Jahre herrschte in Spanien eine Wirtschaftskrise, die die katalanische Filmproduktion schwer traf. Barcelona verlor ein Viertel seiner Kinos, Katalonien insgesamt die Hälfte seiner Abspielstätten. Doch schon 1971 wurde die Assemblea de Catalunya gegründet, die das politische Selbstverständnis massgeblich prägte. 1975 entstand das Institut del Cinema Català (ICC). Es widmete sich der Förderung von Filmen, die auf Katalanisch gedreht wurden. 1977 wurde das Manifiesto del ámbito de cine des Congreso de Cultura Catalana veröffentlicht. 1981 fanden die Conversaciones de cine de Catalunya statt. Der Film war also ein anerkanntes Kulturgut. Allerdings fielen darunter nicht die Produktionen der Firmen Iquino und Balcázar, die Spaghetti-Western, Erotik-Filme und Horrorkomödien auf den Markt brachten. Ein Regisseur und Produzent wie Pedro Masó kommt deshalb nur als Randnotiz in der Filmgeschichte vor. Doch sollten er und andere wenigstens genannt werden, weil sie als einzige an der Ökonomisierung der katalanischen Filmindustrie teilhatten, bis ab 1976 die internationalen Produktionsfirmen aus Barcelona nach Madrid abwanderten und Iquino und andere pleitegingen.

Es bleiben die Filme, die die Vergangenheit aufarbeiteten. Hauptthemen waren in diesem Zusammenhang Sexualität und Familie. Las largas vacaciones del 1936 («Die langen Ferien von 1936», Jaime Camino, 1976) zeigt den Bürgerkrieg in Katalonien. Alícia en la España de las maravillas («Alice im Wunderspanien», Jordi Feliu, 1978) ist eine Adaptation von Lewis Carrolls Vorlage an die Situation in Katalonien unter Francos Diktatur. Literaturverfilmungen waren ein weiterer Weg, die künstlerische Qualität und die Aufmerksamkeit eines grösseren Publikums zu sichern. Vicente Aranda stützte sich auf die Literatur von Juan Marsé und erzählte in La muchacha de las bragas de oro («Das Mädchen mit den goldenen Höschen», 1978) von einem alternden Falangisten, der sich seine eigenen Erinnerungen beim Niederschreiben verklärt, bis seine Nichte sich daran macht, ihn zu verführen. Diesen positiven Beispielen steht eine Reihe anderer gegenüber, die von partiellen politischen Interessen und schlechten Produktionsbedingungen gekennzeichnet waren.

Wegweisend für die jüngere Vergangenheit sind eher die Filme, die sich ungewöhnlicher Stilmittel bedienten und durch die Wahl ihrer Gegenstände provozierten. Francesc Bellmunt gelang dies mit La orgía (1978). In diesem Film treffen sich eine Gruppe Jugendlicher im Haus eines Freundes, um eine Party zu feiern, die in einer Orgie mündet – Gelegenheit für ausschweifende Bilder und humorvolle Details, die Sexualität zum ersten Mal während der Transición in einer nie dagewesen Offenheit auf die Leinwand brachten. Zuerst auf Katalanisch gedreht, später von den Darstellern auf Spanisch synchronisiert, bildete der Film eine positive Seite überbordender Lust ab, die ansonsten in der Schwarzen Legende eine Verbindung mit der Gewalt eingeht. Der erzkatholische, faschistische Geist der Franco-Ära war sicherlich nach wie vor der Auslöser für solche Inszenierungen. Zwar liessen diese Filme auch die Vergangenheit hinter sich und wiesen den Weg in die Zukunft eines spektakulären Kinos, das später Pedro Almodóvar nahezu allein vertreten sollte. Doch lieferte die neue Offenheit der Bilder auch Nahrung für die überkommenen Vorstellungen von Spanien als Land, in dem Lust und Leid eng miteinander einhergehen. Herausragend ist in diesem Zusammenhang Joan Josep Bigas Luna. Er zeigte in seinem zweiten Film Bilbao (1978), der auf dem Festival von Cannes lief, die Leidenschaft eines Psychopathen für eine Prostituierte in den dunklen Hafenvierteln von Barcelona. Bigas Luna gelang das Kunststück, das Genre des Thrillers zu verbinden mit einer persönlichen Handschrift, die Bilbao wie viele andere seiner Filme vom Mainstream absetzte. Düstere, rätselhafte Detailansichten von Körpern und Objekten erzeugten den Eindruck von allgegenwärtiger Gewalt. Dabei streifte er die Grenze zur Pornografie. Bigas Luna bot später den heutigen Stars Javier Bardem und Penélope Cruz – derzeit wohl Spaniens berühmtestes Liebespaar sowohl auf der Leinwand als auch im Privatleben – erste Leinwandauftritte. Beide entwickelten ihr Image massgeblich in seinem grössten Regieerfolg Jamón, jamón (Lust auf Fleisch, 1992). Dort spielt Cruz die zweideutige Rolle einer lasziven Liebhaberin, während Bardem mit einem Freund nackt einen Stierkampf in der Nacht zelebriert, um sich zu stimulieren. Politik und lokale Bezüge treten hier völlig in den Hintergrund zugunsten einer provozierenden Kombination aus archetypischen Bildern kultureller Praktiken. Die bewusste Überzeichnung liess die politisch ambitionierte Filmkritik protestieren, galt vielen spanischen Filmemachern aber als wegweisend für die Zukunft.

Baskenland

Wichtig für das Verständnis der baskischen Filmkultur ist der Streit um die Funktion der beiden Filmfestivals in Bilbao und San Sebastián. In Bilbao entwickelte sich ein Dokumentar- und Kurzfilmfestival. Der Kurzfilm war eine Möglichkeit, den finanziellen Engpässen bei der Produktion zu entkommen. Der Anschein von Objektivität als Rechtfertigung politischer Botschaften verband sich wiederum gut mit dem dokumentarischen Duktus. Das engagierte Kino, das in Bilbao gezeigt und prämiert wurde, war zwar anfällig für ideologische Instrumentalisierung. Es machte aber auch den Dokumentarfilm zur grundlegenden Säule baskischer Filmkultur und das Festival schliesslich zu einem bedeutenden Ereignis im internationalen Festivalkalender. Während die ständigen Auseinandersetzungen um die Leitung dieses Festivals zum Ergebnis eine Besinnung auf die kulturellen und gesellschaftlichen Eigenheiten hatten, brachten ähnliche Streitigkeiten und Wechsel in der Festivalleitung San Sebastián als den exklusiven Ort Spaniens für die Begegnung internationaler Filmschaffender hervor. Die Verleihung der Concha de Oro, der Goldenen Muschel, erlangte ein Prestige, das es dem Wettbewerb gestattete, sich auf einem der vorderen Plätze im internationalen Wettstreit der A-Festivals zu platzieren. Der Spielfilm ist hier heute ohne jegliche Berührungsängste vor kapitalistischen Produktionsstrukturen präsent.

Die Diskussion um die politische Identität des baskischen Kinos verdient etwas mehr Raum: Bereits 1967 wurde der Cine club universitario de Bilbao gegründet. Er veranstaltete kurz vor Francos Tod eine Schau zum Underground-Film und das Jahr darauf die Primeras Jornadas de Cine Vasco, die ersten baskischen Filmtage. Man versuchte unter dem Einfluss der französischen 68er-Bewegung die sprachliche und ästhetische Identität des Kinos im Baskenland zu etablieren und beschimpfte sich aufgrund überzogener politischer und moralischer Ansprüche gegenseitig als «nacionalista» oder «españolista». 1977 entstand die Asociación de Cineastas Vascos, die sich schon ein Jahr später wieder auflöste, nachdem sie vergeblich versucht hatte, die politische Kontrolle über die Festivals von Bilbao und San Sebastián zu erlangen. In diesem Rahmen kamen immer wieder dieselben Diskussionspunkte auf die Tagesordnung, ob nämlich die baskische Sprache mit baskischer Kultur gleichzusetzen und ob der baskische durch den spanischen Film kolonialisiert sei.

Bei der Frage nach einer spezifischen Ästhetik fanden sich viele Stimmen, die meinten, dass das Experimentelle und Dokumentarische gepflegt werden solle. Es lohnt sich, an diesen filmästhetischen Sonderweg zu erinnern, um zu verstehen, warum viel später der international bekannt gewordene Julio Medem Aufmerksamkeit im In- und Ausland erregen konnte mit mystisch verklausulierten Filmen wie Los amantes del círculo polar (Die Liebenden des Polarkreises, 1998), der die Geschichte zweier Liebender erzählt, die sich im Verlauf mehrerer Jahrzehnte immer wieder begegnen, und dann wieder mit dem Dokumentarfilm La pelota vasca. La piel contra la piedra («Das baskische Pelota. Die Haut gegen den Stein», 2003), der Interviews mit Vertretern verschiedener Parteien des Unabhängigkeitskonflikts enthält.

Da das baskische Dokumentar- und Kurzfilmkino so wichtig ist, seien hier einige Beispiele genannt: Antxón Eceiza drehte im Exil Mina, viento de libertad («Mina, Wind der Freiheit», 1976) über den Freiheitskämpfer Francisco Javier Mina, der im 19. Jahrhundert den Absolutismus bekämpfte und nach Mexiko auswanderte. Die Erschiessung Minas diente in diesem Film als Aufhänger, um auf die Erschiessung des ETA-Aktivisten Txiki im Jahr 1975 aufmerksam zu machen. Das Kurz- und Dokumentarfilmkino blieb also immer in der zeitgenössischen Gegenwart verankert. Dies wurde besonders deutlich, als von 1977 bis 1985 die Ikuska entstanden, Nachrichten- und Kulturfilme für das Kino, geleitet von Eceiza und Luis Iriondo, finanziert von der Caja Laboral Popular, der Volksarbeitskammer. Die Ikuska imitierten die katalanischen Noticiari und versuchten vom allmählichen Verschwinden des Nachrichtenfilms NO-DO, des Noticiero documental (1942–1981), zu profitieren. In diesem Rahmen konnten noch unbekannte Regisseure wie Montxo Armendáriz oder Pedro Alea ihre ersten Fingerübungen machen. Die Themen erstreckten sich über die ganze Bandbreite baskischer Kultur in Gegenwart und Vergangenheit. Ausserhalb davon war der Film El proceso de Burgos («Der Prozess von Burgos», Imanol Uribe, 1979) ein wichtiges Ereignis für den Umgang mit den militanten Unabhängigkeitskämpfern des Baskenlandes. Dieser Langfilm zeigte Interviews mit den in Burgos 1970 verurteilten Aktivisten, die gerade durch die Amnestie entlassen worden waren und sich den baskischen Bewegungen Euskadiko Ezkerra oder Herri Batasuna angeschlossen hatten.

Der Spielfilm war in der baskischen Transición kaum anzutreffen. Wieder war es Uribe mit La fuga de Segovia («Die Flucht von Segovia», 1975), der einen wichtigen Beitrag leistete. Der Film wurde auf Spanisch und Baskisch gedreht und erzählt die Flucht einer Gruppe ETA-Angehöriger aus dem Gefängnis von Segovia mithilfe eines Tunnels, den sie gruben. Einige von ihnen berieten den Regisseur bei den Dreharbeiten und traten sogar als Darsteller auf. Der Film trägt starke dokumentarische Züge und löste 1981 heftige Diskussionen beim Festival von San Sebastián aus. Nachdem das Baskenland 1979 den Status einer Autonomen Gemeinschaft bekommen hatte und 1980 der PNV die erste baskische Regierung bildete, wurde von dieser der Film 7 calles («7 Strassen», Juan Ortuosto und Javier Rebollo, 1981) gefördert. Auf Spanisch in Bilbao gedreht mit einigen Dialogen auf Baskisch, wurden sieben Erzählungen über sieben Akteure an sieben Tagen miteinander verwoben, darunter eine frustrierte Theaterschauspielerin, ein Boxer mit seinem Kätzchen, eine Gruppe von Filmemachern beim Drehen eines Dokumentarfilms über soziale Randgruppen, zwei in dasselbe Mädchen verliebte Freunde. Der Film wurde ein kommerzieller Misserfolg. Symbolisch eingerahmt wurde die baskische Transición von dem Spielfilm Agur Everest («Auf Wiedersehen, Everest», Fernando Larruquert und José I. Lorente, 1981), der die beiden baskischen Mount-Everest-Expeditionen zum Gegenstand hat, die 1974 missglückte und1980 erfolgreich war.

Auslandserfolge

Die Transición entwickelte sich aus dem aperturismo, der Öffnung des Landes seit Mitte der 1960er-Jahre. Der Minister für Information und Tourismus, Manuel Fraga Iribarne, war massgeblich verantwortlich für Spaniens Ruf als Land der langen Strände und Bettenburgen. Das spanische Filmpublikum feierte diese Entwicklung auf seine Weise. Der Schauspieler Alfredo Landa wurde zum Star und begründete mit seinen Komödien eine regelrechte Welle namens Landismo. Das berühmteste Beispiel aus dieser Serie ist No desearás al vecino del quinto («Du wirst nicht den Nachbarn im Fünften begehren», Tito Fernández, 1970). Diese sorglosen und teilweise sexistischen Blödeleien waren auch Dokumente eines neuen städtischen Alltags und der Urlaubswelt und daher völlig ungeeignet, im Ausland die Schwarze Legende zu pflegen. Sie galten der aufklärerischen Filmkritik allenfalls als bedenkliche Affirmation des Franquismus.

Der spanische Film trat mit den Erfolgen von Pedro Almodóvar in eine neue Phase ein. Doch lief dieser Einschnitt nicht ohne Brückenschläge zwischen altem Sozialkino und neuem schrillen Look. Almodóvars erster Langfilm Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón («Pepi, Luci, Bom und andere Mädchen aus dem Haufen», 1980) führte Carmen Maura als wiederkehrende Hauptdarstellerin in seinen Filmen ein. Carlos Saura wählte sie später gerade wegen ihres grellen Images für seinen aufwendigen Bürgerkriegsfilm ¡Ay, Carmela! (Ay, Carmela! – Lied der Freiheit, 1990). Eine schwule Liebesbeziehung wie in Almodóvars La ley del deseo (Gesetz der Begierde, 1987) wurde bereits zuvor von Eloy de la Iglesia in Placeres ocultos («Dunkle Vergnügungen», 1977) wegweisend auf die Leinwand gebracht, damals noch mit grosser Ernsthaftigkeit unter dem sozialpolitischen Aspekt unterschiedlicher Gesellschaftsklassen.

Die Kontinuitäten liegen also mitunter quer zu den üblichen Kategorien. Die Abwendung von der grossen Geschichte lag selbst bei den Starautoren des Kinos in der Luft. Das «blutige» Kino Spaniens, wie Marsha Kinder die filmische Tradition der Schwarzen Legende nennt, und die als Stereotyp verständlichen «Passionsspiele» andalusischer Tanzkultur gingen bereits während der Transición Hand in Hand. 1975, im Jahr von Francos Tod, feierte Saura mit Cría cuervos (Züchte Raben) seinen bis dahin grössten Erfolg. Düstere Vergangenheitsbewältigung trifft hier auf kapitalistische Popkultur. In einem dunklen Haus erlebt die kleine Ana, wie die Ehe ihrer Eltern in die Brüche geht, weil der Vater eine Geliebte hat und die Mutter todkrank ist. In dem Film ist der international bekannte Schlager Porque te vas von Jeannette zu hören, zu dem Geraldine Chaplin tanzt sowie die damals neunjährige Ana Torrent, die später in Alejandro Amenábars Debütfilm Tesis (Tesis – der Snuff-Film, 1996) erstmals wieder ein breiteres ausländisches Publikum finden wird. Hier scheint die Schwarze Legende überdeutlich präsent. Eine Filmstudentin entdeckt bei Recherchen für ihre Abschlussarbeit über Gewalt im Film im Keller der Universität Snuff-Videos, die ein Professor mit einem Studenten gedreht hat und deren Opfer die Kommilitoninnen der Heldin sind.

Dass Geraldine Chaplin, Sauras langjährige Film- und Lebenspartnerin, auch als Tänzerin arbeitete, mag für Sauras Hinwendung zum Tanzfilm bedeutsam sein. Jedoch ist sie nicht in seinem grössten kommerziellen Erfolg Carmen (1982) zu sehen. Saura kombinierte hier seine übliche verschachtelte Erzählweise mit der Erwartungshaltung des internationalen Publikums und konnte von den neuen Körperdiskursen des postmodernen Feminismus profitieren. Erstaunlich ist dabei die Kontinuität von barocken Spiegelformationen aus der Blütezeit spanischer Weltmachtkultur im 16. und 17. Jahrhundert über den Surrealismus bis hin zum postmodernen Kino. Saura adaptierte Mérimées Erzählung bzw. Bizets Oper, indem er in einer Tanz-Schule die Arbeiten zur Inszenierung der Oper zeigt, die viele Flamenco-Einlagen enthält. Die Hauptrolle im Film und in den Proben und eben in der Inszenierung übernimmt eine ungebändigte Carmen, in die sich der Regisseur der Oper, der auch ihr Tanzlehrer ist, verliebt. Durch die Überlagerung der verschiedenen Handlungsebenen bleibt unklar, ob er sie am Ende tötet oder ob sein Angriff zum Spiel im Spiel gehört. Leidenschaft und Grausamkeit sind also wiederum die Zutaten für einen der grössten internationalen Erfolge des spanischen Kinos in dieser Zeit überhaupt.

Zwischen diesen beiden Filmen produzierte Elías Querejeta eine Reihe von Filmen für Saura in einer alten Tradition: Die psychoanalytische und surrealistische Bilderverrätselung, die Luis Buñuel in den 1920ern eröffnet hatte, war hier ein passender Hintergrund für eine Gesellschaftskritik, die sich eng an das symbolisch überhöhte Individuum hielt. Sauras Filme, die die psychischen Inhibitionen ihrer Protagonisten auch als Sinnbild der Filmzensur lesbar machten, waren trotz dieses Interpretationsangebotes als offizielles Aushängeschild Spaniens auf Filmfestivals im Ausland zugelassen. Mit dieser Grosszügigkeit warben die spanischen Kulturpolitiker zusätzlich für ihr Land. Los furtivos (Wilderer) war jedoch der erste Film, der von der Zensur noch vor ihrer Abschaffung 1977 ohne Zulassung gezeigt wurde. Regisseur José Luis Borau vermutete, dass der Film auf den Festivals von Cannes und Berlin aufgrund einer Intervention der Kulturbehörden dennoch nicht angenommen wurde.7 Los furtivos erzählt die inzestuöse Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Sohn, dessen Braut die Mutter verdrängt, worauf diese die jüngere Nebenbuhlerin tötet und anschliessend von ihrem Sohn ermordet wird. Diese schroffe Gewalt entzündet sich in einem idyllischen, aber einsamen Landstrich und dementiert Francos Bild von Spanien als einem «Garten». Trotz seiner Anknüpfung an ein gängiges Spanien-Bild, das hemmungslose Gewalt und Leidenschaft ausstellt, blieb der Erfolg dieses Films weit hinter dem von Sauras Filmen zurück. Neben Sauras Filmen ist als eine weitere Querejeta-Produktion Victor Erices El espíritu de la colmena (Der Geist des Bienenstocks, 1971) erwähnenswert. Die Hauptfigur, ein kleines Mädchen, wiederum dargestellt von Ana Torrent, verarbeitet ihre Eindrücke nach dem Bürgerkrieg mithilfe der Bilder aus James Whales’ Frankenstein-Verfilmung (1931). Ihr Vater kümmert sich ausschliesslich um seinen Bienenstock, während die Mutter ihrem Geliebten Briefe schreibt, die dieser nicht beantwortet. Die Normalität nach dem Krieg ist eine trügerische, denn die Vergangenheit ist keineswegs aufgearbeitet.

Staatliche Filmpolitik nach der Transición

Die Reaktion der sozialistischen Regierung, die 1982 ihr Amt antrat und damit das Ende der Transición markierte, bestand wiederum in einer staatlichen Filmpolitik. Die Regisseurin Pilar Miró drehte zuvor El crimen de Cuenca («Das Verbrechen von Cuenca», 1979), der noch 1980 beschlagnahmt wurde, weil er die Guardia Civil kritisierte. Der Film schilderte die Atmosphäre in einem Dorf der Region Cuenca in den 1910er-Jahren während einer Verbrechensaufklärung, bei der die Guardia Civil die Verdächtigen folterte. Die expliziten Gewaltszenen sind nicht allein wegen ihres spekulativen Schauwerts eingefügt, sondern zugunsten einer historisch getreuen Abbildung des Geschehens, um nicht einfach die Schwarze Legende zu bedienen. Das Verbrechen von Cuenca war der einzige Film, der in der Demokratie nach der Abschaffung der Zensur 1977 verboten wurde. Die Uraufführung fand erst 1981 unter dem kurzen Titel S statt, was den grossen Erfolg beim Publikum nicht verhinderte. Miró wurde 1982 Generalbeauftragte für die Filmwirtschaft und erhob Einfuhrbeschränkungen für ausländische Filme. Sie schuf eine Subventionspolitik, die Prestigeobjekte mit hochkulturellem Anspruch unterstützte.

Vor diesem Hintergrund entstanden die Filme von Mario Camus La colmena (Der Bienenkorb, 1982) und Los santos inocentes (Die heiligen Narren, 1984) sowie El tiempo del silencio (Die Zeit der Stille, 1986) von Vicente Aranda in Zusammenarbeit mit den bekannten Schriftstellern Camilo José Cela, Miguel Delibes und Luis Martín Santos. In Los santos inocentes wird eine archaische Gutsherrenwelt in der Estremadura gezeigt, in der ungachtet aller Gesetze Ausbeutung und schreiendes Unrecht an den Bediensteten verübt wird. Der geistig zurückgebliebene Azarías bringt schliesslich seinen Herren um, der zuvor aus Wut darüber, dass er bei der Taubenjagd erfolglos war, die Krähe erschiesst, die Azarías gezähmt hatte. Auf dem Festival in Cannes löste die an dem Gutsherren verübte Lynchjustiz unterschiedliche Reaktionen aus, obwohl es im ersten Moment dem Film gelang, das Publikum so aufzuwühlen, dass es beim Mord klatschte. Als prestigeträchtige Literaturverfilmungen fanden solche Produktionen viel Beachtung im Ausland und wurden z. B. in Deutschland in den Lehrstoff der Schulen aufgenommen.8 Sie erzeugten bis zu den Filmen von Almodóvar die nachhaltigste Reaktion im deutschsprachigen Raum, wohl auch weil die Bilder des Franquismus als solche in der Tradition der Schwarzen Legende verstanden werden konnten.

Jüngere Beispiele wie Soldados de Salamina («Soldaten von Salamina», 2002; David Trueba) boten später ein differenzierteres Bild der Vergangenheit, in diesem Fall der Bürgerkriegsparteien. Obwohl nach dem gleichnamigen Roman des international bekannten Autors Javier Cercas gedreht, wurde der Film nur noch von einem Fachpublikum im Ausland wahrgenommen. Letztlich konnte Pilar Miró dem Kinosterben mit ihrer Strategie keinen Einhalt gebieten. Erst die Abwendung von der Geschichte bei den Regisseuren Almodóvar, Álex de la Iglesia oder Alejandro Amenábar füllte seit Anfang der 1980er-Jahre wieder vereinzelt die Kinosäle. Die Filmkritik brauchte jedoch länger als das Publikum, um zu begreifen, dass die grosse Zeit des historisch-politischen Kinos vorüber war und schrille Genre-Parodien sowie die provozierende Darstellung von Gewalt und Sex von nun an den Erfolg des spanischen Films ausmachen würden. Interpretiert wurden diese Spektakel anfänglich im Sinne der alten Tradition der Fremdbilder: Die Spanier hätten eben nach dem Ende der Diktatur einen Nachholbedarf und seien dabei dem Kommerz in die Falle gegangen.

Dagmar Schmelzer, «La violencia enfocada: Tres visiones cinematográficas españolas», in: Burkhard Pohl/ Jörg Türschmann (Hg.), Miradas glocales. Cine español en el cambio de milenio, Frankfurt am Main/ Madrid 2007, S. 73–87, dort: S. 73–75.

Marsha Kinder, «Spanien nach Franco», in: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.), Geschichte des internationalen Films, Stuttgart/ Weimar 1998, S. 549–555; Marsha Kinder, Blood Cinema: The Reconstruction of National Identity in Spain, Berkeley/ London 1993.

John Hopewell, Out of the Past: Spanish Cinema after Franco, London 1986; Filmoteca de la Generalitat Valenciana (Hg.), El cine y la transición política española, Valencia 1986; Gerard Imbert, Los discursos del cambio: Imágenes e imaginarios en la España de la transición, Madrid 1990; José María Caparrós Lera, El cine español de la democracia: De la muerte de Franco al ‹cambio› socialista (1975–1989), Barcelona 1992; Manuel Trenzado Romero, Cultura de masas y cambio político: El cine español de la transición, Madrid 1999; Javier Hernández Ruiz / Pablo Pérez Rubio, Voces en la niebla: El cine durante la Transición española (1973–1982), Madrid 2004; Cuadernos de la Academia 13/14 (2004), «El cine durante la Transición demócratica (1974–1983)». Eine gute kurze Übersicht bietet: Jean-Claude Seguin, Historia del cine español, Madrid (3. Auflage) 1995, S. 67–75 (auch auf Französisch).

Trenzado Romero (wie Anm. 3), S. 299–324.

Trenzado Romero (wie Anm. 3), S. 310.

Xavier Ripoll, «Catalunya», und Santiago de Pablo, «País Vasco», in: José María Caparrós Lera (Hg.), Cine español. Una historia por autonomías, Barcelona, Bd. I, 1996, S. 211–244, dort: S. 232–­236, bzw. Bd. II, 1998, S. 195–235, dort: S. 215–222.

Luis Martínez de Mingo, José Luis Borau, Madrid 1997, S. 77.

Jörg Türschmann
Professor für Medien- und Literaturwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Wien. Arbeitet zu Film und Fernsehen in Spanien und Frankreich. Publikation zum spa­nischen Kino (hg. mit Burkhard Pohl): Miradas glocales. Cine español en el cambio de milenio (Frankfurt am Main/Madrid 2007).
(Stand: 2010)
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