DENIS RABAGLIA

MISSING (COSTA-GAVRAS, USA 1982)

MOMENTAUFNAHME

Ich war gerade dabei, erwachsen zu werden, als ich entdeckte, dass das Kino nicht nur ein Medium des Vergnügens ist. Missing von Costa-Gavras zeigte mir, dass Filme auch dazu dienen können, Un­recht anzuprangern. Die Irrfahrt von Jack Lemmon – in der Rolle des rechtschaffenen amerikanischen Familienvaters auf der Suche nach seinem Sohn – durch Pinochets Chile, das fortschreitende Zerbröckeln seiner Überzeugungen im Angesicht der Willkür, seine Hilflosigkeit vor dem Massengrab im Fussballstadion: Gefühle und Bilder wie diese kannte ich bis dahin nicht aus dem Kino. Sie schärften meinen Blick für die Fähigkeit des Films, die Welt auf unterschiedlichste Art zu verurteilen, sei es massvoll oder übertrieben. Missing führte mir vor, wie das Schicksal selbst des bescheidensten und ruhigsten Mannes sich mit dem der Diktatur kreuzen kann. Wie Jack Lemmon wurde auch ich, der Heranwachsende, ein Weltbürger.

(aus dem Französischen von Philipp Brunner)

Denis Rabaglia
*1966, Italo-Schweizer. Regisseur von zwei Komödien à la française – Grossesse nerveuse (1993, Max-Ophüls-Preis 1994) und Pas de panique (2006) – und von zwei dramatischen Komödien à l’italienne–Azzurro (2000, Schweizer Filmpreis für den besten Spielfilm 2001) und Marcello Marcello (2008). Azzurro ist der erfolgreichste Spielfilm eines Westschweizer Regisseurs seit 25 Jahren.
(Stand: 2010)
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