Ich war gerade dabei, erwachsen zu werden, als ich entdeckte, dass das Kino nicht nur ein Medium des Vergnügens ist. Missing von Costa-Gavras zeigte mir, dass Filme auch dazu dienen können, Unrecht anzuprangern. Die Irrfahrt von Jack Lemmon – in der Rolle des rechtschaffenen amerikanischen Familienvaters auf der Suche nach seinem Sohn – durch Pinochets Chile, das fortschreitende Zerbröckeln seiner Überzeugungen im Angesicht der Willkür, seine Hilflosigkeit vor dem Massengrab im Fussballstadion: Gefühle und Bilder wie diese kannte ich bis dahin nicht aus dem Kino. Sie schärften meinen Blick für die Fähigkeit des Films, die Welt auf unterschiedlichste Art zu verurteilen, sei es massvoll oder übertrieben. Missing führte mir vor, wie das Schicksal selbst des bescheidensten und ruhigsten Mannes sich mit dem der Diktatur kreuzen kann. Wie Jack Lemmon wurde auch ich, der Heranwachsende, ein Weltbürger.
(aus dem Französischen von Philipp Brunner)