CHRISTIAN JUNGEN

NEBENROLLE WELTVERBESSERER — WIE HOLLYWOOD DAS STARSYSTEM NEU PRÄGT

ESSAY

Angelina Jolie besucht Flüchtlinge in Irak, Tschetschenien und Pakistan und fordert am Festival von Cannes den Sicherheitsrat der UNO auf, Resolutionen gegen die Kriegsherren dieser Länder zu verabschieden. George Clooney bereist den bürgerkriegserschütterten Sudan und verlangt vom Westen Hubschrauber und wirtschaftliche Sanktionen gegen das sudanesische Regime. Cameron Diaz schliesslich bereist Naturreservate in Nepal, Costa Rica und Tansania, um auf bedrohte Tierarten und die Folgen der Wasserverschwendung aufmerksam zu machen. Alle drei Stars sprachen sich überdies gegen die Aussenpolitik von US-Präsident George W. Bush aus und unterstützten 2008 die Präsidentschaftskandidatur von US-Senator Barack Obama. Jolie, Clooney und Diaz sind keine Einzelfälle: Auch Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Matt Damon, Ben Affleck, Sharon Stone, Nicolas Cage, Susan Sarandon, Tim Robbins oder Sean Penn, um nur einige weitere der bekanntesten zu nennen, werden als politisch engagierte Stars wahrgenommen wie einst die Anti-Vietnamkriegsgeneration mit Francis Ford Coppola, Jane Fonda, Martin Scorsese, Warren Beatty, Dennis Hopper, Jack Nicholson oder Peter Fonda in den späten 1960ern und den 1970ern. Der Unterschied allerdings ist, dass die Stars heute nicht Teil einer jugendlichen Gegenkultur sind, die unabhängige Filme realisiert und auf Universitätsgeländen politische Brandreden hält. Sie sind vielmehr arrivierte Aushängeschilder von Hollywoods glamourös inszenierter Mainstreamkultur und versuchen, mit dem dort erworbenen Kapital einen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten.

Warum tun sie das? Was verbindet sie? Warum hat Hollywood gerade in den letzten Jahren eine neue Generation politisch engagierter Stars hervorgebracht? Und wie verträgt sich dieses Engagement mit den Zielen der Traumfabrik? An den Beispielen von Jolie, Clooney und Diaz soll hier das Profil einer politischen Generation von Filmstars und ihrer Methoden entworfen werden. Vorab gilt es allerdings, eine grundlegende Frage zu klären. Was ist eigentlich ein Star und warum haben diese Schauspieler so viel Geld, Macht und Einfluss?

Grundsätzlich gibt es zwei Definitionen von Star – eine soziologische und eine ökonomische. Laut Ersterer ist ein Star ein Schauspieler, über dessen Privatleben ein öffentlicher Diskurs herrscht. Seit den späten 1910er-Jahren versorgten die Studios die Medien mit Informationen über das Privatleben der Schauspieler. Sie gaben preis, welche Modemarken sie trugen, mit welchen Seifen sie sich wuschen oder mit wem sie ins Restaurant oder ins Bett gingen. Dadurch wurde, anfänglich über studioeigene Magazine, eine Starpublizistik geschaffen, zu deren Bewirtschaftung die Studios eigene Publicityabteilungen aufbauten, deren Hauptaufgabe darin bestand, sicherzustellen, dass in Rundfunk und Presse ausgelotet wurde, «wie die Stars wirklich sind». Im klassischen Studio- und Starsystem (1920–1955) lautete das Erfolgsrezept, einem Star ein stabiles Image zu verpassen. Erreicht wurde dies über eine Typisierung mittels kohärenter Rollenvergabe – James Stewart etwa war der aufrichtige Herr Jedermann, Errol Flynn der grosse Abenteurer, Mae West die Inkarnation der Femme fatale – und der Kongruenz zwischen Leinwandimage, dem sogenannt innerfilmischen Image, und dem privaten Image, dem sogenannt ausserfilmischen Image. Die Kontrolle über die beiden lag bei den Studios, welche die Stars mit Siebenjahreskontrakten ausstatteten und mit Tagessold entlöhnten. Kein Star durfte sich ohne Absprache mit dem Studio öffentlich äussern.

Wirkungstheoretisch betrachtet sind Stars Personen mit Produkt- und Verweischarakter, deren Präsenz konsumiert wird und die im Kreislauf von Produktion, Distribution und Konsum dazu dienen, Aufmerksamkeit auf bestimmte Angebote zu lenken. Vor allem aber fungieren sie im Marketing als Mittel der Produktdifferenzierung, weil allein ihre Namen bestimmte Erlebnisse in Aussicht stellen. Wenn sich die Leute für einen Schauspieler beziehungsweise für sein Image interessieren, gehen sie ins Kino und sorgen dafür, dass der Film Kasse macht. Hier setzt die ökonomische Definition an. Sie besagt, dass ein Star ein Schauspieler ist, der kraft seines Namens dafür sorgt, dass ein Film seine Kosten wieder einspielt. In Hollywoods Jargon spricht man von bankable stars, weil sie gewährleisten, dass die Investoren (früher meist Banken) den Studios Produktionskredite gewähren, da sie sicher sein können, ihr Geld zurückzuerhalten. Hollywoodfilme sind seit den frühen 1920er-Jahren star driven und die Stars sind – neben der Grösse des nordamerikanischen Heimmarktes (USA und Kanada), der die Amortisation selbst teurer Produktionen erlaubt, und dem klassischen Erzählstil, der konsumfreudige Mittelschichten anspricht – einer der drei Grundpfeiler, auf dem die amerikanische Dominanz des weltweiten Kinogeschäfts beruht. Die Stars verkörpern die Ideale, Sehnsüchte und Träume der Mittelschicht. Obwohl die Stars jüngst wegen der technologischen Entwicklung, deren Stars die Spezialeffekte sind, an Bedeutung verloren haben, bleiben sie ein wichtiges Verkaufsargument. Sie garantieren, dass ein Film am Startwochenende erfolgreich anläuft und weiter im Programm verbleibt.

Um solch zugkräftige Namen handelt es sich auch bei der neuen Generation politisch engagierter Stars. Die meisten von ihnen schafften in den 1990ern den Durchbruch und gewannen mit kommerziellen Produktionen eine anfänglich vor allem aus Teenagern bestehende Fangemeinde: Clooney als Kinderarzt in der Krankenhaus-TV-Serie Emergency Room (USA 1994–2009), Diaz mit Komödien wie My Best Friend’s Wedding (P. J. Hogan, USA 1997), There’s Something About Mary (Bobby und Peter Farrelly, USA 1998) oder Very Bad Things (Peter Berg, USA 1998) und Angelina Jolie mit dem Drama Girl, Interrupted (James Mangold, USA 1999) und der Gameverfilmung Lara Croft: Tomb Raider (Simon West, USA 2001). Sie avancierten zu schwerreichen Berühmtheiten, die zunehmend darunter litten, dass die Medien ihr Privatleben ausleuchteten. Jahrelang drehte sich alles um sie: ihr Aussehen, ihre Partner, ihre Mode, ihre Diäten, ihre Geheimnisse. Nun, da sie sich in Bezug auf ihre Karriere nichts mehr beweisen mussten, finanziell unabhängig waren und viel reisen konnten, wollten sie ihre Bekanntheit nutzen und auch einmal etwas für andere tun. Zu diesem Zweck gründeten sie gemeinnützige Stiftungen, die den durchaus willkommenen Nebeneffekt zeitigen, dass sich mit ihnen Steuern sparen lassen.

Was aber gab den Ausschlag für ihr politisches Engagement? Angelina Jolie erklärte dazu:

Dieses Bewusstsein für die Schieflagen der Welt hat sich bei mir erst allmählich entwickelt. Je häufiger ich zu Drehorten rund um die Welt reiste, desto stärker wurde mir klar, wie wenig ich wusste. Das Schlüsselerlebnis hatte ich in Kambodscha, wo ich 2000 Lara Croft: Tomb Raider drehte. Es ist ein Land mit vielen Flüchtlingen, die Bilder haben mich nicht mehr losgelassen. Ich bin später dorthin zurückgekehrt und habe meinen Sohn Maddox dort adoptiert. Ich nahm dann Kontakt zum UN-Flüchtlingshilfswerk auf, informierte mich über deren Arbeit, weil ich in den US-Medien kaum Informationen über diese Konflikte fand. Also habe ich sie mir selbst verschafft, auf meinen Reisen. Flüchtlinge sind ausgeliefert, sie haben keine Lobby, es sind oft misshandelte Frauen und Kinder, Folteropfer. Wenn du so etwas einmal gesehen hast, immer wieder siehst, kannst du gar nicht anders, als dich politisch zu engagieren. Weil du willst, dass das aufhört. Und dann stehst du eben irgendwann vor dem US-Kongress und hältst Reden.

«Du brauchst einen Schlag ins Gesicht», Frankfurter Rundschau, 1. Juli 2008.

Ein Jahr nach den Dreharbeiten wurde Jolie 2002 Botschafterin für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und besuchte Flüchtlingslager in Sierra Leone, im Kongo, im Kosovo oder im Sudan. Auf ihren Reisen habe sie immer mehr Misstrauen gegenüber Amerika gespürt und mit eigenen Augen die verheerenden Auswirkungen von Bushs Aussenpolitik gesehen, erklärte Jolie im selben Interview.

Vergleicht man die Äusserungen der verschiedenen Stars, kristallisieren sich drei Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre Politisierung heraus. Erstens, die Globalisierung Hollywoods. Bis Anfang der 1990er-Jahre produzierten die Studios ihre Blockbuster in erster Linie für den amerikanischen Heimmarkt und werteten sie zeitverschoben auf anderen Kontinenten aus. Doch weil die internationalen Märkte immer wichtiger wurden und Hollywood 1994 erstmals mehr Geld ausserhalb Nordamerikas verdiente als in den USA und Kanada, dem sogenannten domestic market, wurden immer mehr Blockbuster ausserhalb der USA gedreht, vor allem in kostengünstigen Entwicklungsländern wie Kambodscha oder (damals) Ungarn und Tschechien. Das Reisen gehörte für diese Generation viel stärker zum Berufsalltag als bei ihren Vorgängern und öffnete vielen von ihnen die Augen für geopolitische Zusammenhänge. Zweitens spielte die von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägte Aussenpolitik von George W. Bush (2000–2008) nach der Zäsur vom 11. September 2001 eine wichtige Rolle. Lange galten Michael Moore, Susan Sarandon und ihr Ehemann Tim Robbins in der Traumfabrik als einsame Nestbeschmutzer, doch nun erhoben plötzlich weitere Stars ihre Stimme gegen Washingtons Krieg gegen den Terror und die Aushöhlung der Bürgerrechte. Dies brauchte zumindest in der ersten Phase Mut, noch im November 2001 trafen sich Vertreter der Major Studios in Beverly Hills mit Bush-Berater Karl Rove, um zu klären, wie man den Krieg gegen den Terror propagandistisch sekundieren könnte. Grossproduktionen wie Black Hawk Down (Ridley Scott, USA 2001) oder später World Trade Center (Oliver Stone, USA 2006) zelebrierten einen «United-We-Stand»-Patriotismus. Kritische Werke wie The Quiet American (Phillip Noyce, D/USA/GB/AUS/F 2002) über die zweifelhafte Rolle der USA im Saigon der Fünfzigerjahre wurden auf Eis gelegt. Das politische Klima ist laut dem Star-Forscher Richard Dyer von grosser Bedeutung, weil die Stars – zugleich «of ideology» und «about ideology» – immer aus einem bestimmten Kontext hervorgehen, diesen als Typen zugleich aber auch reflektieren. Brachte die linke Gegenkultur der Siebziger Stars wie den gängigen Schönheitsidealen widersprechenden Dustin Hoffman oder die italienischstämmigen Al Pacino und Robert de Niro hervor, die herumtreibende Antihelden verkörperten, so wurde das Reagan-Amerika der Achtziger von Selfmade-Men wie Sylvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger geprägt, die in ihren Filmen zupackten und die Welt im Alleingang retteten. Die neuen Politstars von heute sind glamourmüde, europafreundlich – und vor allem finanziell unabhängig und mächtig in Hollywood, weshalb sie es sich leisten können, ihre Stimme zu erheben.

Der dritte Punkt, den Jolie erwähnt, ist fehlende mediale Aufklärung. In einer Zeit, in welcher das junge Publikum kaum noch Zeitung liest, Nachrichtensendungen (vorab in den USA) zu Unterhaltungsshows oder pathetisch-patriotischen Kriegsfeiern verkommen und traditionelle Autoritäten wie Lehrer oder Pfarrer an Einfluss verlieren, erscheinen Stars als neue Leitbilder, welche geopolitische Zusammenhänge aufzeigen. Dafür nutzen sie vor allem jene Medienkanäle, über welche ihre Blockbuster beworben werden. Die Stars zirkulieren nun als politische Akteure in der Ökonomie der Aufmerksamkeit, in welcher laut dem Medienphilosophen Georg Franck das Einkommen an Beachtung wichtiger ist als das Einkommen an Geld. Sie zweigen einen Teil ihres eigenen Aufmerksamkeitskapitals ab und investieren es dort, wo die Scheinwerfer ohne ihre Präsenz nie hinleuchten würden. Allerdings führt das «Tanzen auf zwei Hochzeiten» (Filmstar/politischer Aufklärer) oft zu Problemen mit den Studios, deren primäre Aufgabe lautet, mit Filmproduktionen möglichst viel Geld zu verdienen.

Im Mai 2008 feierte Kung Fu Panda (Mark Osborne/John Stevenson, USA 2008) am Festival von Cannes Weltpremiere. Der Animationsfilm, in welchem Jolie einer Tigerin die Stimme leiht, erzählt die Geschichte des jungen Pan­da­bärs Po, der im Suppenladen seines Vaters arbeitet und eines Tages von einem Weisen zum obersten Krieger des Orients designiert wird. Doch statt zu trainieren, schlägt sich das Phlegma den Bauch mit Nudelsuppe voll. Erst als die Meistertigerin ihm einen Schrecken einjagt, entwickelt sich der Faulpelz mithilfe seines Mentors Shifu zur bärenstarken Bestie. Die uninspirierte Geschichte schreibt im Subtext den Kids vor, sich ähnlich wie Po, mehr zu bewegen.

Das Dreamworks Studio hat diesen nach dem simplen «You can get it if you really want»-Muster gestrickten Familienfilm mit Blick auf die Olympischen Sommerspiele 2008 von Beijing produziert, in der Hoffnung, damit den chinesischen Milliardenmarkt zu erobern. An einer Mini-Pressekonferenz in Cannes beantworteten Angelina Jolie und Jeffrey Katzenberg, der Vorsitzende der Dreamworks Animationsabteilung, die Fragen von rund 25 Journalisten. Nach einigen unverfänglichen Fragen zum roten Teppich wollte jemand von Jolie wissen, ob sie einen (damals heiss debattierten) Boykott der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele begrüsse? Die Diva antwortete wie folgt:

Ich bin gespalten. Es ist wichtig, die Menschenrechtsverletzungen in China und die Korruption der chinesischen Regierung anzuprangern. Aber ich denke, man sollte nicht nur auf China schauen, sondern auf die Regierungen aller Länder. [...] Man hört viel über das Verhältnis von China und Darfur, deshalb finde ich, Amerika und die anderen Länder des UNO-Sicherheitsrates sollten internationale Haftbefehle konsequenter umsetzen und mehr für Darfur tun. Gerade wenn ich die Menschenrechtssituation in Tibet betrachte, mache ich mir grosse Sorgen und bin gar nicht einverstanden mit der [chinesischen] Regierung.1

Insgesamt referierte Jolie während 10 Minuten des 22 Minuten dauernden Rendez-vous über Politik. Die US-Regierung und andere Grossmächte würden lediglich deshalb keinen politischen Druck auf China ausüben, weil sie mit dem Land Ölgeschäfte abwickelten, kritisierte sie. Als Jolie auch noch über ihren Besuch im Irak berichtete, gab der sichtlich verärgerte Katzenberg dem Moderator ein Zeichen, er solle politische Themen unterbinden – vergeblich. Als Nächstes wollte ein Filmkritiker wissen, warum Jolie vor einigen Jahren nach Tschetschenien gereist war. «Das ist eine intelligente Frage, die ich sehr gerne beantworte», sagte Jolie. Hier fiel ihr Katzenberg ins Wort: «Ich bin nicht so glücklich über deine Grosszügigkeit, über politische Themen zu sprechen.» Jolie liess sich aber nicht beirren und berichtete, was sie als Friedensbotschafterin der UNHCR in tschetschenischen Flüchtlingslagern erlebt hatte. Dabei vergass sie nicht, auf die Jolie-Pitt Foundation hinzuweisen, die Flüchtlingen in Not hilft. Katzenberg war sichtlich genervt.

Die Episode stellt keinen Einzelfall dar, im Jahr zuvor nutzten George Clooney, Brad Pitt, Matt Damon und Don Cheadle in Cannes die offizielle Pressekonferenz für Ocean’s Thirteen (Steven Soderbergh, USA 2007), um über Darfur zu sprechen und Werbung für ihr gemeinsam gegründetes Hilfswerk Not on Our Watch zu machen. Jolies Auftritt steht exemplarisch für Hollywoods Problem mit den politisch engagierten Stars. Für Dreamworks war der Verlauf der Mini-Pressekonferenz gefährlich. Jolie sollte als Starpersona eine Brücke zwischen Film und Publikum bauen. Kung Fu Panda ist ein Animationsfilm, der sich an ein eher wertkonservatives Familienpublikum richtet. Anstatt ausführlich über ihre Figur oder über ihr Familienleben mit Brad Pitt und den Kindern zu sprechen, referierte die hochschwangere Jolie inbrünstig über die Geopolitik von George W. Bush, die Rolle des Sicherheitsrates der UNO, die Kriegsgräuel in Irak und Tschetschenien sowie die Unterdrückung der Tibeter durch China – Themen, die nichts mit dem Film zu tun haben und eher im Auslandteil von renommierten Zeitungen denn in People-Spalten verhandelt werden. Bei Fragen zu ihrem Privatleben gab sie hingegen kurze, ausweichende Antworten.

Dieses Interview dürfte einen grossen Teil des Zielpublikums überfordert haben und gefährdete weiter eine strategische Zielsetzung des Studios: die Eroberung des Wachstumsmarktes China. An der Veranstaltung waren zwei asiatische Journalisten anwesend. Jolies Bemerkungen zu Tibet fanden jedoch, soweit dies eine summarische Internetrecherche zeigte, keinen Niederschlag in chinesischen Medien. Hätte Jolie diese Aussagen allerdings an der offiziellen Pressekonferenz gemacht, wären die Schlagzeilen unmittelbar um die Welt gegangen.

Welche weitreichenden Folgen ein politisches Statement in Cannes haben kann, erfuhr im selben Jahr Sharon Stone. Sie sagte einem Reporter auf dem roten Teppich, das Erdbeben, welches wenige Tage zuvor in der chinesischen Provinz Sichuan 80 000 Todesopfer gefordert hatte, sei vielleicht die Folge von schlechtem Karma, weil China die Tibeter unterdrücke. Damit löste die Buddhistin im Reich der Mitte einen Sturm der Entrüstung aus: Die grossen Kinoketten des Landes sprachen einen Bann gegen ihre Filme aus und Chris­tian Dior musste Werbungen mit Stone aus China zurückziehen.

Die Episode mit Jolie verdeutlicht weiter, wie machtlos die Studios der politischen Propaganda der Stars gegenüberstehen. Der Zürcher Anwalt Adriano Viganò, der von 1994 bis 1996 Vice President of International Marketing bei Buena Vista International in Los Angeles war, erklärt, es sei damals laufend passiert, dass Stars mit politischen Äusserungen einem Film geschadet hätten. Man könne dann allenfalls via Agenten intervenieren oder ihm künftig keine Aufträge mehr erteilen. Anwaltlichen Druck aufzusetzen sei nicht ratsam. Meist sitzen sie ohnehin am längeren Hebel.

Was hätte Katzenberg also tun sollen? Bricht er das Interview ab, wird er zum Buhmann und liefert den Medien, die laut dem Soziologen Niklas Luhmann systembedingt «Störung der Ruhe» der «Ruhe» vorziehen müssen, eine brisante Story: Katzenberg demütigt seinen Star! Eine weitere Möglichkeit wäre, die zu verhandelnden Inhalte vertraglich zu bestimmen, das funktioniert nach Angaben von Studio Executives und Produzenten aber nicht, weil der Star am längeren Hebel sitzt. Dies bringen die Verträge der A-List-Stars zum Ausdruck. Sie lesen sich wie Kataloge, welche die weit reichenden Rechte des Stars auflisten, der jedes Detail (Kleidung, Hotels, Essen, Limousinen usw.) genehmigen muss, während der Produzent vor allem mit Verpflichtungen befrachtet wird. Die Verträge widerspiegeln das Machtverhältnis innerhalb einer Produktion, ist doch der Star der Garant, dass ein Film erfolgreich startet, oft selbst dann, wenn die Kritiken negativ sind.

Anders als Clooney und Diaz polarisiert Jolie stark und wird von vielen nicht ernst genommen. Clooney hingegen gilt als ehrliche Haut, dem man seinen Einsatz zugunsten Afrikas abnimmt und Diaz, die eher selten auf den Radar der Leitmedien gelangt, geniesst mit ihrem Einsatz zugunsten der Umwelt grosse Akzeptanz. Wo liegen die Unterschiede? Sie rühren vom unterschiedlichen Stil her, den die Stars pflegen. Jolie bedient sich eines Highbrow-Stils, Clooney eines Middlebrow- und Diaz eines Lowbrow-Registers. Bei den drei Ausdrücken handelt es sich um soziologische Kategorien, mit denen in den USA seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Rezipienten von Kulturgütern nach sozialem Status und sozialer Klasse unterschieden werden. Postuliert und allgemein etabliert wurden sie spätestens 1949 in einem Essay des Magazins Life, das einen Hier­archieschlüssel zum Verständnis der amerikanischen Mainstreamkultur lieferte.3 Highbrow ist demnach synonym für elitär oder intellektuell und trifft auf Rezipienten von gehobener Kunst zu, im Bereich des Kinos etwa auf Liebhaber des europäischen Autorenkinos eines Antonioni oder Godard. Als Highbrow-Filmpreis gilt die Palme d’Or des Festivals von Cannes. Typische Highbrow-Leitmedien sind die New York Times, die Washington Post oder der New Yorker. Middlebrow ist ein Synonym für gehobene Unterhaltung, etwa die Filme eines Steven Spielberg, wobei das für Highbrow-Connaisseure einen pejorativen Beigeschmack hat. Ein Middlebrow-Filmpreis ist etwa der Golden Globe, typische Middlebrow-Medien sind die Zeitungen USA Today, San Francisco Chronicle oder das Magazin Time. Lowbrow schliesslich steht für anspruchslose Unterhaltung, welche niedere Instinkte anspricht und keinerlei Reflexion auslöst, zum Beispiel Komödien mit Eddie Murphy oder Actionfilme mit Vin Diesel. Ein Lowbrow-Preis ist etwa der MTV-Award, als Lowbrow-Medien gelten Klatschpostillen wie People oder In-Touch.

Jolie gibt sich bei ihren Auftritten für politische Zwecke meist elitär. Sie tritt mit einem offiziellen Titel auf, als Sonderbotschafterin für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge, hält sich an Zahlen, Fakten und nennt die Namen von Entscheidungsträgern in Politik und Armee. Viele hat sie auf ihrer humanitären Mission persönlich getroffen, etwa Pakistans damaligen Präsidenten Pervez Musharraf und Premierminister Shaukat Aziz im Mai 2005 oder den Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak, General David Petraeus. Jolie nimmt regelmässig an den Feierlichkeiten zum Weltflüchtlingstag in Washington D. C. teil und war mehrfach Gastrednerin am Weltwirtschaftsforum in Davos. Zweimal hat sie Leitartikel für die Washington Post verfasst, zur humanitären Katastrophe der Flüchtlinge im Sudan und im Irak. In beiden Kriegsgebieten hat sie sich vor Ort ein Bild der Lage gemacht. Jolie plädiert mit politischen Ar­gumenten für ein stärkeres Engagement der Vereinigten Staaten in den Krisengebieten:

Die heutige humanitäre Krise in Irak und die potenziellen Konsequenzen für die Sicherheit unserer Nation sind gross. Können es sich die Vereinigten Staaten leisten, zu spekulieren, dass vier Millionen arme und vertriebene Leute im Herzen des Nahen Osten in ihrer Verzweiflung nicht gewalttätig werden und die Region in weiteres Chaos stürzen? Was wir uns leisten können, ist meiner Meinung nach, die jüngsten Fortschritte, die erzielt wurden, zu sichern. Wir sollten unsere finanzielle und materielle Hilfe aufstocken. Das UNHCR hat für dieses Jahr 261 Millionen Dollar für die Unterstützung der Flüchtlinge und der im eigenen Land Vertriebenen beantragt. Das ist kein kleiner Betrag, aber es weniger als die USA an einem einzelnen Tag für den Krieg im Irak ausgeben.

«Staying to Help in Iraq», The Washington Post, 28. Februar 2008.

Der mit vielen Fakten unterfütterte Frontbericht richtete sich klar an das politische Establishment der Hauptstadt. Im Verlaufe ihres philanthropischen Engagements hat Jolie den Fokus zunehmend weg von der Breitenwirksamkeit hin auf die politischen Entscheidungsträger verlegt, kämpft aber noch immer mit Akzeptanzproblemen bei der Intelligenzija. So machte sich etwa die New York Times in einem Bericht vom WEF 2005 in Davos unter dem Titel «Can Angelina Jolie Really Save the World?» darüber lustig, wie die Schauspielerin aus dem Reich der Limousinen und roten Teppiche sich für Menschenrechte einsetzt.4 Jolies Crux ist, dass ihr innerfilmisches und ihr neues ausserfilmisches Image nicht korrespondieren, sie gewissermassen mit gespaltener Zunge spricht. Der breiten Masse ist die Diva als Actionschauspielerin ein Begriff, deren schärfste Waffe ihre sexuellen Reize sind. Jolie hat zwar mitunter in engagierten Werken mitgespielt, etwa in Clint Eastwoods Kindsentführungsdrama Changeling (USA 2008), aber ihren Ruhm verdankt sie Actionreissern wie Tomb Raider und Mr. & Mrs. Smith (Doug Liman, USA 2005). Diese Genrewerke taugen nicht dazu, ihr humanitäres Engagement zu beglaubigen, im Gegenteil. So spielte Jolie im brutalen Actionfilm Wanted (Timur Bekmambetov, USA/D 2008) die Trainerin einer Bruderschaft, die nach dem Ehrenkodex «Töte einen, rette Tausend» handelt. Sie bildet einen introvertierten Jungen, dem ein Nebenbuhler die Freundin ausgespannt hat, zum Berufskiller aus. Die Comicverfilmung transportiert explizit die Botschaft, man könne die Kontrolle über sein Leben nur mit einer Waffe erlangen – indem man unliebsame Kontrahenten über den Haufen schiesst. Dass Jolie ihre Reize ausgerechnet für phallischen Waffenkult einsetzt, unterminiert ihre Glaubwürdigkeit als UNHCR-Friedensbotschafterin. Sie er­scheint zunehmend als postpubertäres Janus-Gesicht, das beliebig zwischen gewaltgeiler Sexbombe in Actionstreifen und friedliebender Mutter Teresa mit blauem Unicef-Schleier in Krisengebieten changiert.

Irritierend ist auch, wie Jolie egozentrisch ihre kinderreiche Beziehung mit Brad Pitt für Solidaritätsbekundungen mit der Dritten Welt instrumentalisiert. Eine besonders umstrittene Aktion war die Niederkunft ihrer ersten (gemeinsamen) Tochter Shiloh in Namibia, wo Jolie 2002 das Kriegsdrama Beyond Borders (USA/D) von Regisseur Martin Campbell drehte. Die Stars flogen im Frühjahr 2006 für die Geburt in den Südwesten Afrikas, wo das Kind in einer Klinik zwischen Walfisch-Bay und Swakopmund zur Welt kam. Jolie und Pitt wollten dies als Geste zugunsten Afrikas verstanden wissen. Um dies zu unterstreichen, verkauften sie die ersten Bilder ihres Babys für geschätzte 4,1 Millionen Dollar an das US-Magazin People, wobei sie den Deal an zahlreiche redaktionelle Auflagen knüpften: Keine negative Berichterstattung mehr über ihre Familie, keine Verwendung des Begriffs «Brangelina», mehrere Artikel über ihre humanitären Aktionen.5 Wie alle Reichen, die sich karitativ betätigen, verstrickten sich Jolie und Pitt in Widersprüche und ernteten viel Kritik: Einheimische mussten schikanöse Hausdurchsuchungen und Personenkontrollen über sich ergehen lassen, Journalisten benötigten plötzlich ein Visum für Namibia und erhielten dieses nur, wenn sie eine schriftliche Erlaubnis zur Berichterstattung von Pitt und Jolie vorweisen konnten, vier Fotografen wurden des Landes verwiesen. Laut der namibischen Menschenrechtsorganisation NSHR wurden Menschenrechte und Pressefreiheit mit Füssen getreten. Zudem stellt sich die Frage, ob es nicht solidarischer gewesen wäre, Jolie hätte unter normalen lokalen Umständen entbunden statt in einer Luxusklinik. Durch Adoptionen und Geburt-Events erweckt sie eher den Anschein, als werkelte sie am Mythos des universellen Weltverbesserers, zu deren Spezies auch Madonna und U2-Sänger Bono Vox zählen.

In der Wahrnehmung der Massen hat ihr Image allerdings nicht gelitten, wie eine Erhebung der Firma Marketing Evaluations ergab: Als Jolie den Oscar für Girl, Interrupted (James Mangold, D/USA 1999) gewann, gaben lediglich 13 Prozent der Befragten an, sie sympathisch zu finden (der Durchschnitt für Schauspielerinnen liegt bei 18 Prozent), nach der Namibia-Episode kletterte die Zustimmung auf 24 Prozent. Jolie ist heute einer der berühmtesten Menschen überhaupt; sie führte die jüngste Forbes-Liste der einflussreichsten Berühmtheiten an. Kein Wunder, setzt Hollywood weiter auf das Massenmagnet.

Kürzlich kolportierte die People-Presse, Jolie bereite sich auf eine politische Karriere in Washington vor. Dafür gab es Spott, das war bei Ronald Reagan und Arnold Schwarzenegger nicht anders. Man sollte Jolie allen Vorbehalten zum Trotz nicht unterschätzen.

Auch George Clooney ist in den Medien omnipräsent. Sein politisches Haupt­anliegen ist es, auf den Völkermord in Darfur aufmerksam zu machen. In der westsudanesischen Provinz hat die Regierung mit Bombenangriffen und Bodenoffensiven die Aufstände zweier schwarzafrikanischer Völkergruppen unterdrückt, welche der Regierung vorwarfen, die Region zu vernachlässigen. Bei den von arabischen Milizen durchgeführten Massakern wurden seit 2003 über 400 000 Menschen getötet und über 2,7 Millionen vertrieben, die Vereinten Nationen stuften den Bürgerkrieg als «schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt ein». Wie wurde Clooney auf diesen Genozid aufmerksam? Laut eigenen Angaben hat er während der Oscarkampagne für Syriana (Stephen Gaghan, USA 2005) und Good Night, and Good Luck (George Clooney, USA/GB/F/J 2005) die Hintergrundartikel von Nicholas Kristof in der New York Times gelesen, in denen der Pulitzerpreisträger darauf hinwies, dass der Westen den Konflikt ignoriere. Clooney bekam ein schlechtes Gewissen, weil sich in seinem Leben viel um die eigene Eitelkeit gedreht habe. «Ich hatte ein gutes Jahr und dachte es wäre nun an der Zeit, mit meiner Celebrity-Kreditkarte etwas zur Linderung des Problems in Darfur zu tun», erklärte Clooney 2006 auf CNN.

Wie Jolie will Clooney über seine Person Aufmerksamkeit auf Bedürftige lenken. Er tut dies aber auf verständlichere Weise. Clooney, der Middlebrow-Held des Bildungsbürgertums und der weissen Mittelschichten, setzt stärker auf Bildmedien. So hat er vom gemeinsamen Besuch mit seinem Vater im Tschad 2006 ein Videotagebuch erstellt, das auf YouTube und Websites wie www.in­dependenttravelwriter.com zu sehen war. Clooney erklärt aus dem Off die Ursachen des Konflikts und lässt Opfer zu Wort kommen. Als ihm der Sudan das Visum für weitere Einreisen verweigerte, ernannte ihn die UNO zum Friedensbotschafter und stattete ihn mit einem Diplomatenpass aus. Clooney reiste mit diesem auch nach China und Ägypten, zwei Handelspartner Sudans, wo er Regierungsvertreter bat, grösseren Druck auf die sudanesische Regierung zur Einhaltung der Menschenrechte auszuüben. Im Anschluss an seine Reisen berichtete Clooney im Stil eines Kriegsreporters auf Nachrichtensendern wie CNN oder BBC von seiner Mission. Er betonte, es gehe in erster Linie darum, diplomatischen Druck auf Sudan und China auszuüben, welche das Verbrecherregime des Landes schützen, weil es ihnen Öl liefere. Wie Jolie verfasste auch Clooney Zeitungsartikel, allerdings nicht für die Washington Post, sondern für die deutsche Boulevardzeitung Bild. Darin forderte er Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, Hubschrauber und Blauhelmsoldaten nach Afrika zu entsenden. «Ich möchte versuchen, eine sehr komplizierte Geschichte zu vereinfachen. Sie runterbrechen in ‹ja› und ‹nein›. Gut und schlecht. Richtig gegen falsch. Immerhin geht es um Völkermord». So begann Clooney seinen Artikel, in dem es am Ende hiess:

Als ich im vergangenen Jahr ein Flüchtlingslager im Sudan besuchte, kam ein kleines Mädchen zu mir und zog an meinem Finger. Sie fragte, wann ich mit Hilfe zu­rückkommen würde. Ich sagte zu dem Übersetzer: ‹Bald, sagen sie ihr, bald›. Sie zog nochmals an meinem Finger und antwortete: ‹Das sagt ihr immer.›

«Du blickst in den Himmel und betest um Kampfjets», George Clooney, in Bild, 31. Mai 2007.

Clooney nutzt Middle- und Lowbrow-Medien, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Für sein Engagement erhält der Hollywood-Beau viel Lob, das Nachrichtenmagazin Time adelte ihn in einer Titelgeschichte zum «Last Movie Star».6 Sein humanitärer Einsatz erscheint auch deshalb glaubwürdig, weil Clooney schon seit längerer Zeit in kritischen Filmen spielte, etwa dem Antikriegsfilm Three Kings (David O. Russell, USA 1999) oder dem Nahost-Politthriller Syriana. Ähnlich wie Sean Penn, Susan Sarandon und Tim Robbins, die engagierte Filme wie das Anti-Todesstrafe-Drama Dead Man Walking (Tim Robbins, GB/USA 1995) realisierten, wird Clooney als politischer Akteur ernst genommen. Clooney setzt sich innerhalb von Hollywoods nivellierendem Studiosystem in ver­schiedenen Positionen dafür ein, dass kritische Filme überhaupt entstehen. Mit Good Night, and Good Luck inszenierte der Sohn eines Fernsehjournalisten gleich selber ein schwarz-weiss gedrehtes Drama über den Fernsehreporter Edward R. Murrow, der in den 1950er-Jahren dem Kommunistenjäger Joseph Mc­Carthy Paroli bot. Der Film macht insbesondere Clooneys aufklärerischen Gestus glaubhaft, der immer auch ein Plädoyer für unabhängigen Journalismus ist.

Auch Cameron Diaz erntet mit ihrem Engagement für Umweltschutz viel Lob. Die als Komödiennudel und Beachgirl bekannte Kalifornierin richtet sich mit ihren Aktivitäten an ein Lowbrow-Publikum. So produzierte und präsentierte sie auf dem Musiksender MTV kurze Zeit die Show Trippin, für die sie zusammen mit anderen Teenageridolen bedrohte Naturparks bereiste, um Jugendliche für Themen wie Grundwasserverschleiss oder Erderwärmung zu sensibilisieren. Für eine Folge der Sendung flog Diaz mit Jessica Alba nach Honduras, wo die beiden im Taucheranzug ein Riff besuchten, bei dem es wegen der Überfischung kaum noch Fische gab. Um den Kontrast zu einer intakten Unterwasserwelt zu zeigen, tauchten die Schauspielerinnen anschliessend zu einem gesunden Riff, bei dem es von farbigen Fischen und Pflanzen wimmelte. Dass es Diaz um Umweltschutz geht, merkt man erst auf den zweiten Blick. In den Clips werden die Stars mit Zooms auf ihre Bikini oder ihre Hintern als Beachgirls inszeniert, die sich mit muskelgestählten, langhaarigen Machotypen umgeben. Die Szenerie könnte aus einer Strandkomödie stammen. Die Botschaft von Cameron Diaz lautet schliesslich: «Protecting the environment is very very sexy!» Im gleichen Tonfall ist auch die Trippin-Folge gehalten, in der Diaz mit Drew Barrymore und dem Profiskateboarder Eric Coston in die Wüste von Chile zum Sandboarding jettet. Der «Holy shit, is this awesome»-Klamauk dient dem Zweck, en passant die Botschaft zu verbreiten, dass die Erde wegen des Wasserverbrauchs allmählich zur Wüste verkommt. Intellektuelle mögen angesichts der Oberflächlichkeit den Kopf schütteln, Tatsache bleibt, dass Diaz mit ihrer Sendung Jugendliche erreicht, darunter viele Afroamerikaner und Hispanics, die keine Zeitungen lesen, Nachrichten schauen und wenig bis gar nichts von der Umweltproblematik wissen.

Diaz arbeitete aber auch eng mit Al Gore zusammen, mit dem sie die Werbetrommel für Live-Earth-Konzerte rührte. Überdies produzierte sie den Clip Cameron Diaz Saves the World!, in dem sie Jugendliche, Hausfrauen und Passanten auf der Strasse zu ihrem Wasserkonsum befragt, bei Wissenschaftlern Tipps zum Energiesparen einholt und diese für den kleinen Mann von der Strasse verständlich macht. Weitaus am meisten Menschen erreichte Diaz aber mit Auftritten im Talkshow-Circuit. Bei Jay Leno etwa sprach sie über ihr Verhalten auf dem stillen Örtchen. Ungeniert warb sie für weniger Spülen, mit dem auf (auf Englisch) eingängigen Slogan «If it’s yellow leave it mellow, if it’s brown flush it down – (sinngemäss) wenn es gelb ist, lass es sein, wenn es dunkel ist, spül es runter». Weitere Tipps von Diaz lauteten: Aluminium und Glas recyceln, Licht ausmachen, wenn man einen Raum verlässt, Sparglühbirnen kaufen. Diaz’ Engagement ist wirkungsvoll, weil es einleuchtend und zielpublikumsgerecht adressiert ist. Schliesslich ist ihre Sorge um die Natur biografisch beglaubigt: Diaz wuchs als Tochter eines Pipeline-Arbeiters in Long Beach, Kalifornien, auf, und wurde früh Asthmatikerin, weil der Ölkonzern Unocal giftigen Müll aus der Raffinerie bei ihr um die Ecke lagerte. Auch wenn sie selber viel fliegt, unternimmt sie eigenen Angaben zu Folge alles, um die Emissionen ihres Lebensstils tief zu halten: Sie leistet freiwillige CO2-Abgaben auf Flüge und fährt ein kleines Hybridauto. Wenn man die Millionen von Zuschauern addiert, die sie allein mit ihrer MTV-Serie und dem Auftritt bei Jay Leno erreichte, dann erscheint der Dokumentarfilm An Inconvenient Truth (David Guggenheim, USA 2006) mit Al Gore als das Werk mit dem schlimmsten Castingfehler der Filmgeschichte.

Das politische Engagement ist heute zu einer prägenden Facette der Starimages geworden. Aus Sicht der Hollywoodstudios sind die engagierten Schauspieler allerdings ein zweischneidiges Schwert. Clooney, Jolie, aber auch Sean Penn und Michael Moore wurden in den letzten Jahren auf europäischen Filmfestivals wie Helden des «anderen», couragierten Amerika gefeiert, denen mit jedem Satz gegen die Aussenpolitik von George W. Bush Applaus aus offener Szene sicher war: Die Feinde unseres Feindes sind unsere Freunde, so der alte antiamerikanische Reflex. In den USA dagegen, die unter Präsident Bush stark polarisiert wurden, stiessen ihre Reden vielen sauer auf – Tausende von Boykottaufrufen im Internet zeugen davon. Der konservative Politkommentator Bill O’Reilly schlug daraus in seiner wochentäglichen Show The O’Reilly Factor, der Flagschiffsendung des konservativen US-Networks Fox News (eine der meistgeschauten Shows der USA), Kapital. Er profilierte sich dort als scharfzüngiger Kritiker Clooneys. Er warf dem im vermeintlichen Dolce-far-niente-Europa lebenden Beau vor, sein Engagement für Darfur sei umgekehrter Rassismus, weil er sich nicht darum schere, wie viele Araber von Saddam Hussein getötet wurden.

Clooneys Engagement konnte durchaus innenpolitischen Schaden verursachen. Deshalb blieb der Star, der sich von Beginn weg klar für eine Präsidentschafts-Kandidatur von Barack Obama stark machte, während dessen Kampagne im Hintergrund, wo er aber fleissig Geld für ihn sammelte. Clooney: «Als Celebrity kann man in der Öffentlichkeit für einen Präsidentschaftskandidaten auch kontraproduktiv sein. Das habe ich erlebt, als mein Vater für den Kongress kandidiert hat. Im mittleren Westen beeindruckt die Unterstützung aus Hollywood niemanden, ganz im Gegenteil. Mein Vater hat nicht gewonnen, man lehnte ihn ab und schenkte ihm kein Vertrauen – und zwar meinetwegen.»7 Eine politische Retourkutsche provozierte auch Matt Damon, als er frotzelte, Sarah Palin als Vizepräsidentin gäbe den Stoff für einen schlechten Disney-Film mit dem Titel The Hockey Mom her. Der konservative Blogger Dirty Harry brachte die Befindlichkeit vieler Amerikaner auf den Punkt, als er schrieb:

Viele Amerikaner vertrauen Hollywood nicht mehr länger, weil es unsere Überzeugungen und Werte beschimpft. [...] Sogar Amerikaner, die mit DiCaprio und Clooney sympathisieren, wollen sich keine Predigten zur Umwelt anhören von Stars, die in Privatjets herumfliegen und in grossen Villen residieren. Wir wollen unsere Filmstars lieben, aber die heutige Gilde ist einfach nicht liebenswürdig. Wir wollen zu unseren Stars emporsehen, doch weder im realen Leben noch im Kino erlauben sie uns dies noch.8

Es ist für Hollywood jedes Mal eine heikle Frage, ob man politisch aktive Stars engagieren soll. Ist es besser, Jolie als Sprecherin für Kung Fu Panda zu haben, die auch negative Schlagzeilen generieren kann? Oder ist es besser, ein unpolitisches all American girl wie Reese Witherspoon zu engagieren, die als Sprecherin in Monsters vs Aliens (Rob Letterman, Conrad Vernon, USA 2009) weniger, aber dafür keine negativen Schlagzeilen lieferte? An die Kandare nehmen lassen sich die Stars jedenfalls nicht. Sie sind keine direkten Angestellte des Studios, sondern selbständige Unternehmer. Die meisten besitzen eigene Produktionsfirmen, George Clooney etwa Smoke House, Brad Pitt Plan B Entertainment oder Tom Cruise Cruise-Wagner Productions. Mit diesen Firmen lassen sie sich über Talentagenturen wie Creative Artists Agency (CAA) an Studios und Produzenten vermitteln, wobei sie jeweils einen Tross an eigenen Mitarbeitern zu den Dreharbeiten mitbringen. Da die Stars dafür sorgen, dass die Leute ihre Filme anschauen, wurden ihre Saläre massiv erhöht. Tom Hanks war der erste, der 1994 eine Gage von 20 Millionen Dollar bekam für Forrest Gump (Robert Zemeckis, USA); dem 20er-Klub traten bald auch Tom Cruise, Jim Carrey, Mel Gibson, Arnold Schwarzenegger, John Travolta, Eddie Murphy und, als erste Frau, Julia Roberts bei. Bis etwa 2005 konnten sie dank immer höheren Beteiligungen am Kinoeinspielergebnis, den Fernsehlizenzen und am DVD-Verkauf ihre Verdienste steigern. Rekordhalter ist Tom Cruise, der mit Mission: Impossible II (John Woo, USA 2000) 92 Millionen verdiente, wobei er bei dem Film auch als Produzent fungierte.9

Lohnen sich solch exorbitante Saläre überhaupt, wenn ein Star lieber über Darfur statt Kung Fu Panda referiert? Immer häufiger lautet die Antwort der Studios heute: nein. 2006 entschied Paramount Pictures, nach 14 Jahren den Vertrag mit seinem Aushängeschild Tom Cruise (dem kommerziell erfolgreichsten Star der Filmgeschichte) nicht mehr zu verlängern, weil er mit seiner Propaganda für Scientology viele Fans vergraulte. Mission: Impossible III (J.J. Abrams, USA 2006) spielte weltweit nur 398 Millionen Dollar ein – 200 weniger als kalkuliert. Sumner Redstone, der Inhaber von Paramounts Mutter­kon­zern Viacom, meinte, Cruise’ Scientology-Gehabe habe «150 Millionen Dollar an Einnahmen gekostet.» Die Entmachtung von Cruise darf insofern als Ende einer Epoche gelten, als das Studio den Grund offen kommunizierte, was unüblich war. Damit schuf Paramount einen Präzedenzfall, der in Hollywoods Um­gang mit Stars einen Paradigmenwechsel brachte. So lehnte es Disney ab, Julia Roberts 20 Millionen für The Proposal (Anne Fletcher, USA 2009) zu zahlen. Die Schauspielerin warf das Handtuch und Sandra Bullock stieg für weniger ein – der Film avancierte zur erfolgreichsten romantischen Sommerkomödie aller Zeiten. Im Weiteren ersetzten die Studios die first-dollar-gross-deals, bei denen die Stars mit bis zu zehn Prozent am Kassenumsatz beteiligt wurden, durch netprofit-deals. Bei diesen profitiert ein Star erst, wenn die Kosten für Pro­duktion und Marketing amortisiert sind. Mit den neuen Verträgen sollen die Stars in die Pflicht genommen werden, in erster Linie für den Erfolg eines Films zu arbeiten. Viele politisch engagierte Stars, etwa George Clooney, arbeiten nun nach dem «einen für euch, einen für mich»-Prinzip: Sie machen eine kommer­zielle Kiste für ein Studio, etwa Ocean’s Twelve (Steven Soderbergh USA 2004), dann einen engagierten unabhängigen Film wie Good Night, and Good Luck, dann wieder Ocean’s Thirteen usw.

Die politisch aktiven Schauspieler prägen Hollywood seit der Zäsur des 11. Septembers 2001 auf zwei Ebenen. Die Filmwirtschaft, Amerikas umsatzstärkste Exportindustrie, ist die einzige der grossen Exportindustrien der Vereinigten Staaten, die als liberal gilt. Die Ölkonzerne, die Waffenindustrie sowie die Flugindustrie stehen auf republikanischer Seite. Gleichzeitig sorgen die Stars dafür, dass in der Traumfabrik, deren Filme künstlerisch und inhaltlich mehrheitlich konservativ sind, immer wieder couragierte Politfilme entstehen, neben der bereits erwähnten etwa auch Lord of War (Andrew Niccol, USA/F 2005), Jarhead (Sam Mendes, D/USA 2005), Blood Diamond (Edward Zwick, USA/D 2006), Lions for Lambs (Robert Redford, USA 2007), In the Valley of Elah (Paul Haggis, USA 2007), Brokeback Mountain (Ang Lee, USA/CDN 2005), Crash (Paul Haggis, USA/D 2004) oder Milk (Gus Van Sant, USA 2008). Diese Werke hinterfragen die Kriegspolitik der USA, thematisieren Menschenrechte und stehen ein für die Anliegen von Drittweltländern. Die Massierung solch politischer Werke führt dazu, dass man die laufende Epoche als eine Art neues New Holly­wood wahrnimmt.

Mini Press Conference für Kung Fu Panda vom 18. Mai im Hotel Carlton in Cannes.

Für diesen Aufsatz wurde mir von einem Hollywood-Produzenten eine Kopie von einem Vertrag mit einem Hollywoodstar zur Verfügung gestellt. Aus rechtlichen Gründen darf ich daraus nicht zitieren.

«High-Brow, Low-Brow, Middle-Brow». Life, 11. April 1949, 99–101.

Timothy L. O’Brien, «Can Angelina Jolie Really Save the World?», New York Times, 30. Januar 2005.

«Angelina Jolie’s Carfully Orchestrated Image», New York Times, 21. November 2008.

«George Clooney: The Last Movie Star». Time, 20. Februar 2008.

«Warum George Clooney an Barack Obama glaubt». Die Welt, 22. März 2008.

Zit. aus: Patrik Goldstein, «Are Hollywood’s politics killing the movie business?» Los Angeles Times, 14. Oktober 2008.

Für eine detaillierte Aufschlüsselung seines Back-end-Deals s. Jay Epstein (2005), «Tom Cruise Inc.: The numbers behind his celebrity», http://www.slate.com/id/2121617/ [zu­letzt besucht am 12. Oktober 2009]

Literatur

Suman Basuroy, Subimal Chatterjee, David Ravid, «How Critical Are Critical Reviews? The Box Office Effects of Film Critics, Star-Power, and Budgets», in: Journal of Marketing, 2003, Vol. 67, Nr. 4, S. 103–117.

Richard Dyer, Stars, London 2004 [1979].

Werner Faulstich, Helmut Korte, Helmut (Hg.), Der Star: Geschichte, Rezeption, Bedeutung, München 1997.

Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München 1998.

Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 2004.

Christian Jungen
*1973, Dr. phil., ist Filmkritiker der NZZ am Sonntag und Autor des Buches Hollywood in Cannes: Die Geschichte einer Hassliebe, 1939–2008 sowie verschiedener Aufsätze zu Filmmarketing. Führte selber Interviews mit Angelina Jolie, George Clooney und Cameron Diaz. Lebt in Zürich.
(Stand: 2010)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]