Der Helikopter kreist mit geräuschvollem Schwurbeln über einem Sporn im Gebirge: die Kleine Scheidegg im Berner Oberland. Mit Blick auf das klassische Alpenpanorama Eiger, Mönch und Jungfrau hat hier eines der wichtigsten Sport-Events der Skiwelt seinen Ausgangspunkt – das Lauberhornrennen. Wohlbekannt sind die TV-Übertragungen von den rasanten Abfahrten durch den Schnee, dem Knirschen der Skier auf der vereisten Unterlage, den euphorischen Kommentatoren. Diese verbalisieren, was von Auge nicht erkennbar ist: die Steckbriefe der Fahrer (die mit ihren Ganzkörperanzügen alle gleich aussehen); die «verflixten» Stellen wie Hundschopf, Brüggli-S, Haneggschuss – zu unterscheiden nur dank minim wechselnder Hintergründe – oder die Hundertstel- bis Tausendstelsekunden, welche die Rennen entscheiden. Das Lauberhorn, diese «Königin der Skiabfahrten», steht im Zentrum von Daniel Zimmermanns sechsminütigem Kurzfilm – mit einem kleinen, aber gewichtigen Unterschied: Der Schnee fehlt.
«Nur die Kunst vermag es, die Welt immer wieder neu zu sehen», zitiert der Regisseur Paul Valéry – und tatsächlich bietet Lauberhornrennen im Sommer eine verschmitzte und perfekte Inszenierung einer «verkehrten» Sicht auf die Welt: Der Helikopter dreht seine Runden über dem unansehnlichen Braun-Grün der Alpwiesen statt über der Schneelandschaft. Bei den Einblendungen zu den Rennbedingungen fallen die 23 bis 27 Grad Aussentemperatur auf, und die authentischen TV-Sprecher (Matthias Hüppi und Bernhard Russi) kündigen als Fahrer den erfolgreichen «achtfachen Weltcupsieger Daniel Zimmermann» an.
Der 42-jährige Regisseur ist Mixed-Media-Künstler und arbeitet bei seinen Inszenierungen vorzugsweise mit Holzleisten. So auch für seinen Lauberhornrennen im Sommer, für den er rund 10 000 Leisten als Schienen ins Gras platzierte und die Strecke als schmale Laufspur auslegte, die sich wie Land Art durch die Gegend schlängelt. In rasendem Tempo nehmen wir dann mit ihm die legendäre Strecke unter die «Bretter». Anstatt der Bilder von vorbeiflitzenden Schneeborden sehen wir jedoch im Zeitraffer Aufnahmen von kahlen Weiden, durchbrechen Stacheldraht und Viehzäune, fahren an staunenden Kühen vorbei quer durchs «Seeli» und nehmen Wiesenvorsprünge im Flug. Der Jargon der Sprecher ist dem «Winterrennen» entlehnt, schmiegt sich aber mit wunderbar schräger Ironie an die Bilder des «Sommerrennens». So erreichen wir unter dem Jubel der Zuschauer das Ziel-S, und das mit einer neuen Bestzeit!
Mit viel Augenzwinkern lässt Lauberhornrennen im Sommer an verschiedenen Enden weiterdenken: etwa über Natur und Skizirkus, über Klimaveränderung, über Sinn und Unsinn von Hochleistungssport oder die Ödnis gleichbleibender Sportparcours, die immer wieder neu medial aufbereitet werden. Das alles bringt Lauberhornrennen im Sommer auf den Punkt – witzig und eindrücklich, ohne dabei die Leistung der Sportler zu schmälern. Ein filmisch-künstlerisches Kleinod, das 2008 als Bester Kurzfilm für den Schweizer Filmpreis nominiert war.