Der Westschweizer Dokumentarfilmer Fernand Melgar hat für La forteresse 60 Tage lang mit einer «carte blanche» des Bundesamtes für Migration im Empfangs- und Verfahrenszentrum in Vallorbe gedreht. Das ist so lange wie ein Asylbewerber wartet, bis entschieden wird, ob auf sein Gesuch eingetreten wird. Aus den Drehtagen, die sich über die Feiertage 2007/2008 hinzogen, hat Melgar ein Destillat von Geschichten gezogen, welche direkt aus dem Leben gegriffen sind. Ganz nah bleibt der Filmemacher bei seinen Figuren, ob bei den Betreuern, den Leuten vom Sicherheitsdienst oder den asylsuchenden Männern, Frauen und Kindern, die im waadtländischen Vallorbe auf einen für sie lebenswichtigen Entscheid warten.
Dieser Blick hinter die Mauern des nüchternen Asylbewerber-Auffanglagers – eines von fünf in der Schweiz – ist so eindrücklich, weil der Dokumentarfilm erzählt, ohne zu urteilen. La forteresse portiert keine vorgefassten Meinungen, zeichnet keine Schwarzweissbilder und präsentiert keine einfachen Lösungen, der Film versucht vielmehr das Asylverfahren mit all seinen Widersprüchen und Schwierigkeiten zu zeigen, die ihm eigen sind. Man hat Mitleid mit den erwachsenen Männern, welche von den Sicherheitsleuten wie Schulbuben gescholten werden, wenn sie abends nicht rechtzeitig in ihr tristes Halbgefängnis zurückkehren. Von den Betreuern klingen die Drohungen noch perfider: «Alkohol hilft Dir bei Deinem Verfahren nicht.» Das ist entwürdigend. Dabei kann man gut verstehen, dass diese Leute hie und da ihre Sorgen wegtrinken möchten, wenn man den Geschichten zuhört, die sie zu erzählen haben: von gewaltsam getrennten Familien über schlimme Misshandlungen bis zu Kannibalismus auf Schlepperbooten. In den Interviews fliessen viele Tränen, und man fragt sich, ob die Beamten und Übersetzer nach der Arbeit jeweils gut schlafen können.
Ihr Job ist in erster Linie, die Geschichten der Asylsuchenden auf ihre Kohärenz und Glaubwürdigkeit zu prüfen. Dabei sind sie mit vielen unglaublich heftigen Schicksalen, verschiedenen Sprachen und sehr unterschiedlichen Kulturen konfrontiert. Beim gemeinsamen Kaffee meint denn im Film auch einmal der eine, er verbringe den Morgen im Kosovo, während der andere nach Kamerun reist. Als Zuschauer ist man dankbar, dass diese Leute ihre Arbeit so ernst nehmen, wenn manchmal vielleicht auch zu ernst. Wie zum Beispiel der Leiter, der viel zu viel Zeit im Zentrum verbringt und auch mal private Termine absagt, um dann – zwar mit bester Absicht, aber völlig hilflos – einer lauten afrikanischen Messe beizuwohnen.
Schon mehrere Werke des Westschweizer Dokumentarfilmers Fernand Melgar sorgten für Aufsehen, unter anderem Exit, le droit de mourir (CH 2005), ein Film über die gleichnamige Sterbehilfeorganisation, der 2006 mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet wurde. Auch sein neuestes Werk La forteresse stiess auf Begeisterung von Kritik, Publikum und Festivaljurys. In Locarno gewann er den Goldenen Leoparden in der Kategorie «Cinéastes du présent». Gewürdigt wurde damit ein äusserst authentisch wirkender Dokumentarfilm, der so glaubwürdig ist, dass ihn Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf allen zeigen will, die im Flüchtlingswesen beschäftigt sind. La forteresse bietet eine Bestandesaufnahmen dessen, was hinter den hohen Mauern des Auffangzentrums im beschaulichen Vallorbe geschieht, und erzählt auch die Geschichten derer, die man gelangweilt am kleinen Bahnhof herumhängen sieht, weil sie zum Warten verurteilt sind.