Der Mann mit Bart und lockigem Haar, der an einem heissen Sommertag in die psychiatrische Klinik eingeliefert wird, hat Narben auf den Handinnenflächen. Er heisst Antonio und schlägt sich als Amateurboxer durchs Leben. Am Abend zuvor hatte er bei einem Kampf einen Schlag auf den Kopf bekommen und daraufhin vom Ring aus die göttliche Botschaft der Liebe verkündet. Bei Tag und in nüchternem Zustand möchte er den Vorfall als Missverständnis abtun, er kann aber nicht verhindern, dass ihn die Ärzte sieben Tage zur Beobachtung dabehalten.
Die Theatergruppe der Anstalt probt gerade zu dieser Zeit die Passionsgeschichte. Und wie der Neuankömmling am Leiter der Truppe vorbeikommt, erkennt dieser in Antonio den «wahren Messias» und teilt ihm deshalb gleich die Hauptrolle zu. Antonio ziert sich und bestreitet beharrlich, für irgendetwas auserwählt zu sein. Die Insassen beginnen mit «Wundern» Überzeugungsarbeit zu leisten und inszenieren auch neben der Bühne aus dem Leben Christi. Man freundet sich an, und die verrückten Patienten werden zu Antonios stetigen Begleitern. Jünger wollen sie aber keine sein, sondern seine Band – sie nennen sich «Die Sedierten». So unerschütterlich wird Antonio als Befreier verehrt, bis er schliesslich zum Glauben findet.
Was würde wohl passieren, wenn heutzutage einer aus dem Nichts auftauchte und als Erlöser erkannt würde? Diese Frage umkreist das Ensemble um Regisseur Stefan Jäger in Boxing Jesus. Ein «Messias in der Irrenanstalt» ist daraus geworden, ein Stück, in dem sowohl biblische Inhalte wie auch die Legendenbildung auf verschiedenen Ebenen ironisch gebrochen werden.
Die Geschehnisse nehmen in ihrem Szenario auch nicht exakt den gleichen Lauf wie in der Bibel, und der Regisseur wechselt gewitzt zwischen historischer Überlieferung, Theaterinszenierung und der Filmwirklichkeit.
Eine nachträglich abgehaltene Gruppentherapie bildet den narrativen Rahmen des Films. Die Patienten rekonstruieren Antonios Geschichte aus ihrer Erinnerung und mischen dabei subjektive Wahrnehmung, Projektionen und Flunkerei wild durcheinander. Bei Uneinigkeit über entscheidende Details wird abgestimmt, etwa über die Frage, ob Jesus einen Bart gehabt hat oder nicht (er hat). Überhaupt agiert, fantasiert und reimt das Ensemble der anarchistischen «Pazzi» herzerwärmend schelmisch und hinterlistig. Mit Klarsicht und einem (selbst)ironischen Umgang mit der göttlichen Heilslehre und christlichen Symbolen bringen sie die strenge, hierarchische Institution ins Wanken. Und bei aller Leichtigkeit und kühnem Humor werden in Boxing Jesus die Behandlungsmethoden der (italienischen) Psychiatrie unmissverständlich kritisiert.
Das «italienische Feelgoodmovie» des Schweizer Regisseurs Stefan Jäger (Hello Goodbye, Birthday) besticht durch atmosphärische Bilder und schöne Musik. Streckenweise verliert sich jedoch die Handlung in der Improvisation auf Nebenschauplätzen und einige Rollen (und ausgerechnet jene von Bibiana Beglau und Stefan Gubser) wirken eher überinszeniert. Die klingenden Namen haben sich denn auch nicht auf die Zuschauerzahlen ausgewirkt: Boxing Jesus kämpfte auf dem Filmmarkt nur im Fliegengewicht.