LAURA DANIEL

FLOH! (CHRISTINE WIEDERKEHR)

SELECTION CINEMA

Antje hat sich dazu bereit erklärt, als Leihmutter für 40’000 Euro das «Wunderkind» eines Ehepaars auszutragen. Für das Baby wurde im Labor das perfekte Genmaterial zusammengestellt: Es soll hochbegabt, schön und frei von Erbkrankheiten sein. Antje, die gemäss dieser Tochter, die uns als Voice-over durch das rasante Kurz-Roadmovie führen wird, nicht unbedingt mit viel Verstand, dafür aber mit Glück gesegnet ist, entscheidet sich im letzen Moment um. Sie «entführt» das Baby im Bauch, ohne auf die bereits ausgezahlte Hälfte des Geldes zu verzichten. Irgendwo unterwegs auf ihrer Reise, die sie durch halb Europa führt, bringt sie ein Mädchen zur Welt, das sie Floh nennt. Da Antje mittlerweile ihr gesamtes Geld für Schuhe ausgegeben hat, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen, um anfallende Kosten, wie zum Beispiel die Abschleppgebühr für das Parkieren im Halteverbot, zu begleichen. Im Einkaufszentrum, wo Antje putzt, findet sie nicht nur ein weiteres Paar Schuhe, sondern auch einen Freund: den Kinderanimator und Clown Eduard.

Mittelsmann Henry, der durch das Abhandenkommen des Babys nicht nur um Kopf und Kragen zu fürchten hat – der Film vermittelt uns dies deutlich mit eingeschobenen Sequenzen von blutigen kugelförmigen Objekten, bei denen es sich vermutlich um Geschlechtsteile handelt –, findet Antje schneller, als ihr lieb ist. Denn für Henry heisst kassieren auch liefern, deshalb wird Antje samt Baby mitgenommen. Gottseidank hat der geistesgegenwärtige Eduard Floh im letzen Moment gegen ein anderes Kind eingetauscht. Als Henry den Schwindel bemerkt – bei dem Baby handelt es sich um einen Jungen, was beim ersten Windelwechseln augenfällig als Unterschied sichtbar wird –, sind Antje und Floh mit seinem Auto bereits über alle Berge. Da Antje dem Nummernschild-Orakel folgt, d. h. sie fährt immer in das Land, aus dem ihr aktuell geklautes Nummernschild stammt, führt sie Henrys monegassisches Kennzeichen dieses Mal sogar ans Meer.

Floh! ist Christine Wiederkehrs Abschlussfilm an der Hochschule für Kunst und Gestaltung Zürich. Umso beachtlicher ist es, dass der Film nebst witziger Einfälle eine eigenständige Gestaltung und Erzählform aufweist, die ebenso kreativ wie funktional sind. Von der Ausstattung über die Musikwahl, Dramaturgie und die Gestaltung der Charaktere ist er rundum gelungen. Besonders locker kommt die Voice-over daher, die gerade für einen Erstlingsfilm gewiss einige Tücken bergen würde. Mit Lavinia Wilson und Sebastian Blomberg konnte Wiederkehr bekannte Gesichter verpflichten, die wesentlich zum Gelingen dieses Kurzfilms beitragen. Von drei nominierten Filmen der Hochschule für Gestaltung (ausserdem: Hunde von Matthias Huser, Frohe Ostern von Ulrich Schaffner) gewann Floh! den mit 10’000 Euro dotierten First Steps Award 2005 in der Kategorie Kurzfilm bis 25 Minuten. Wir sind gespannt, was uns Christine Wiederkehr in ihrem ersten Langspielfilm bieten wird.

Laura Daniel
geb. 1978, studiert an der Universität Zürich Germanistik, Film­wissenschaft und Philosophie sowie klassischen Gesang, zeitgenössische Musik und Jazz. Mitglied der CINEM A-Redaktion seit 2002. Lebt in Zürich. Daniel Däuber, geb. 1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, u.a. für die Schweizer Filmzeitschriften Zoom und Film geschrieben, arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2018)
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