DORIS SENN

HERR WÜRFEL (RAFAEL SOMMERHALDER)

SELECTION CINEMA

Herr Würfel liebt Entscheidungen. Deshalb nimmt er sich auch für jede einzelne die entsprechende Zeit – sei es, dass es sich um die Farbe der Krawatte, um die Wahl zwischen Erdbeeroder Brombeerkonfitüre oder die Temperatur des Badewassers handelt. Doch was, wenn eines schönen Morgens ein Konzertflügel aus heiterem Himmel fällt und genau eine einzige Sekunde lang Zeit bleibt, um zu reagieren?

Rafael Sommerhalder erzählt in knapp acht Minuten die skurrile kleine Geschichte im Limbus zwischen Ja und Nein, zwischen Vor und Zurück, zwischen Kopf und Bauch. Er schafft es, in flottem Tempo die Exposition des Fait divers zu erzählen, in die Vergangenheit zurückzublenden, wo die Abneigung Herrn Würfels für Bauchentscheide begründet liegt, wieder in die Gegenwart einzuschlaufen und den entscheidenden Moment mit viel Verzögerungseffekt und Suspense zum Höhepunkt aufzubauen. Dabei gehen auch kleine Nebenschauplätze nicht vergessen: etwa wenn die Dauer einer Entscheidung mit dem viermaligen Blühen und Entlauben eines Baums dargestellt wird, eine Schnecke während Herrn Würfels Werweissen durchs Gras jagt oder der Wechsel vom Nein zum Ja in den bildfüllenden Ampelfarben signalisiert wird.

Herr Würfel entstand in 2-D-Computeranimation – wie schon Sommerhalders vorangehender Ely & Nepomuk (2000), der Abschlussfilm seiner Regieausbildung an der ÉCAL in Lausanne. In schnörkelloser Ästhetik und klarem grafischem Stil stellt er in Herr Würfel die Figuren, Objekte und Symbole immer wieder vor einfarbigem Hintergrund frei und erzählt die Geschichte anschaulich, mit Witz und einem Faible für Spannung. Herr Würfel wurde an den Solothurner Filmtagen mit dem Nachwuchspreis von Suissimage ausgezeichnet.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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