DORIS SENN

KATZENBALL (VERONIKA MINDER)

SELECTION CINEMA

In ihrem Dokumentarfilm Katzenball nimmt sich Veronika Minder der bislang verborgenen Geschichte weiblicher Homosexualität in der Schweiz an und zeigt anhand von fünf Frauen verschiedener Generationen, wie tief greifend sich das Leben von Lesben in den letzten 60 Jahren verändert hat.

Die Älteste der Befragten ist die 1912 geborene Johanna Berends, die zweimal verheiratet war, bevor sie sich in den Fünfzigern unsterblich in eine Frau verliebte. Erwähnte sie (in jüngeren Jahren) ihr Begehren – etwa ihrem Mann oder ihrer heimlich verehrten Arbeitskollegin gegenüber –, wurde sie schlicht nicht ernst genommen, ja man amüsierte sich ob ihrem «Sinn für Humor». Liva Tresch – 1933 geboren – entdeckte ebenfalls in den Fünfzigern ihr «Schwulsein» und musste zuerst nicht nur die eigenen Vorurteile gegenüber homosexuellen Männern loswerden, sondern auch gegenüber sich selbst: Was konnte es Schlimmeres geben in der konservativen Schweiz der Nachkriegszeit, als – wie im Fall Treschs – unehelich zu sein, unangepasst und dann auch noch «schwul»? Zu ihrem Glück hatte sich in der Schweiz bereits während der Kriegszeit eine verdeckte, doch tolerierte homosexuelle «Szene» herausgebildet, die als Zufluchtsmöglichkeit für Gleichgesinnte im In- und Ausland fungierte. Tresch wurde mit ihrer Fotokamera zur offiziellen Chronistin dieser lesbisch-schwulen «Familie» und ihrer legendären Festlichkeiten. Ihre Aufnahmen sind faszinierende Zeugnisse der damaligen Subkultur.

Ausserhalb dieses lesbischen «Milieus» bewegte sich Ursula Rodel (1945 geboren), die als Designerin für die Avantgarde der Film- und Modebranche arbeitete. Weder sie noch die etwas jüngere Heidi Oberli konnten diesem Leben im Verborgenen etwas abgewinnen. Die Nach-68er-Generation setzte sich entsprechend für eine Öffnung und für gesellschaftliche Akzeptanz ein: Oberli engagierte sich nicht nur in der Frauenbewegung der Siebzigerjahre – sie setzte sich auch in der frisch gebackenen Lesbenbewegung ein. Die Früchte aus diesem politischen Engagement kann die junge Generation nun ernten, wie sich am Beispiel der 25-jährigen Studentin Samira Zingaro zeigt, die heute selbstbewusst und offen ihre Liebe zu Frauen lebt.

Mit ihren Erzählungen werfen die Befragten Schlaglichter auf ihre jeweilige Zeit und deren gesellschaftspolitische Umstände. Daneben glänzt Katzenball durch einen virtuosen Umgang mit Archivmaterial: seien es Fotografien, die die Anfänge der Frauenbewegung dokumentieren, Ausschnitte aus der Zeit des frühen Films, in denen der Rollentausch zelebriert wird (Asta Nielsen in einer Hosenrolle als Hamlet oder Marlene Dietrich in Morocco), launige Häppchen aus den guten alten Schweizer Filmen (in denen Margrit Rainer ihrem Ehegespons sagt, wo’s langgeht) oder skurrile Ausschnitte aus den ersten Produktionen des Schweizer Fernsehens, in denen das konservative Gesellschaftsbild der Sechzigerjahre Urständ feiert. Diese mit gehörigem Drive arrangierten Bilder verleihen dem Film vor allem im ersten Teil viel Schwung und einen amüsanten Touch. Mit seinen exemplarischen Porträts öffnet Katzenball nicht nur ein Fenster zu einer bisher unsichtbaren Historie, sondern skizziert auch den historisch-sozialen Wandel der Schweiz.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]