LAURA DANIEL

CHYENNE (ALEXANDER MEIER)

SELECTION CINEMA

Irgendwo auf dem Rasen einer trostlosen Vorstadt-Wohnsiedlung langweilt sich ein junges Mädchen an einem verhangenen Nachmittag, bis sie plötzlich auf einen krächzenden Raben aufmerksam wird. Fasziniert von dem grossen schwarzen Vogel, dem etwas Unheimliches anhaftet, versucht sie sich ihm zu nähern. Die anfängliche Bewunderung und Furcht weicht kämpferischem Ehrgeiz. Doch nicht nur das Mädchen startet zum Angriff, auch der Rabe setzt sich in einem unbeobachteten Moment in Bewegung, und zwar in Richtung des Mädchens. Die beiden Protagonisten treten in einen gleichermassen heftigen wie seltsamen Widerstreit. Auch wenn das Mädchen den Raben gar zeitweise zu packen vermag, wer der Sieger dieses ungewöhnlichen Duells ist, bleibt unklar.

Wie bereits in den ersten beiden Kurzfilmen des HGKZ-Abgängers Alexander Meier ist das Thema von Chyenne ein Ereignis, das auf den ersten Blick nichts Erzählenswertes in sich birgt, wenn ihm auch etwas Absurdes anhaftet. War in Poochi (2002) ein seltsames Insekt der Stein des Anstosses, so greift Meier hier zum filmisch vorbelasteten Raben – man denke dabei nur an The Birds (Alfred Hitchcock, USA 1963) – und versucht erneut, das Verhältnis von Mensch und Tier in ein neues Licht zu rücken. Das zunächst banale Ereignis – Mädchen trifft Rabe – entpuppt sich als veritabler Vorort-Western. Spannend, innovativ und handwerklich brillant umgesetzt, vermag Chyenne das Publikum mühelos zu fesseln.

Chyenne zeichnet sich aus durch eine superbe Tonspur, die ihm auch eine lobende Erwähnung anlässlich des KlangMusikPreises des Filmfests Dresden 2005 einbrachte, und durch eine geschliffene Bildsprache. Kameraführung und visuelle Gestaltung lassen nichts zu wünschen übrig. Bild und Ton unterstützen die originelle Story optimal. Chyenne wurde an zahlreichen Festivals im Inund Ausland gezeigt und anlässlich der Solothurner Filmtage 2005 mit dem Preis für den besten Schweizer Kurzfilm ausgezeichnet. Er gewann ausserdem den Zürcher Filmpreis 2005, und am Filmfestival Locarno wurde Chyenne 2004 der Pardino d’oro, ein Preis der SRG SSR idée suisse, verliehen.

Laura Daniel
geb. 1978, studiert an der Universität Zürich Germanistik, Film­wissenschaft und Philosophie sowie klassischen Gesang, zeitgenössische Musik und Jazz. Mitglied der CINEM A-Redaktion seit 2002. Lebt in Zürich. Daniel Däuber, geb. 1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, u.a. für die Schweizer Filmzeitschriften Zoom und Film geschrieben, arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2018)
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