LAURA DANIEL

POLDEK (CLAUDIUS GENTINETTA)

SELECTION CINEMA

Poldek, so nennt sich der als Taufpate für den Film fungierende Hund, ist der treue Begleiter einer armen, alten Frau. Gemeinsam bewohnen sie ein Zimmerchen inmitten einer slawisch anmutenden Kleinstadt, in der jegliche Anzeichen von Wohlstand zu fehlen scheinen und wo nebst gelegentlichen Radrennen und dem allabendlichen Besäufnis der Stadtbewohner nicht viel los ist. Der rote Faden und gleichzeitig ein repetitives Element der Geschichte bestehen darin, dass die Alte täglich das Haus verlässt, um in actionreichen Streifzügen durch die Stadt für sich – vor allem aber für Poldek – etwas Essbares aufzutreiben. Der hungrige Hund vertreibt sich die Zeit bis zur Fütterung mit herzzerreissendem Jaulen im Hinterhof, sehr zum Missfallen der AnwohnerInnen, die ihrem Ärger schon mal freien Lauf lassen und deren Hälse und Köpfe dabei, höchst massstabsungetreu, ins Unermessliche zu wachsen drohen.

Sehr unterschiedlich sind die im besten Falle essbaren Fundstücke der Alten, es kann schon mal vorkommen, dass die Quartierkatze oder ein auf der Strasse gefundener Mensch dran glauben muss und zu Hackfleisch verarbeitet wird, womit wir bereits bei der makaberen Seite der kleinen, feinen Geschichte wären.

In jahrelanger Arbeit steckte Claudius Gentinetta sein ganzes zeichnerisches Können in den zehnminütigen Animationsfilm Poldek. Dabei trug Gentinetta Tusche auf Trickfilmfolie auf, die er im Negativverfahren mit einer selbst entwickelten Kratztechnik bearbeitete und nachträglich kolorierte. Von grosser Sorgfalt und Gespür für Farben und Licht zeugen denn auch die aufwändigen Bilder, die sich durch eine ungeheure Detaildichte und das Spiel mit Perspektiven auszeichnen. So scheint es aus der Vogelperspektive, als könne Poldek, der sich im Hinterhof auf die Hinterbeine stellt, die Dächer der umliegenden Häuser überblicken. Überhaupt besteht ein Reiz des Films darin, dass die oft gewählte Vogelperspektive verschiedene Schauplätze zugleich anbietet. Wir sehen also sowohl die alte Dame auf Futtersuche als auch den hungergeplagten Hund im Innenhof sowie das die angegebene Ortsgeschwindigkeit klar missachtende Auto, das jede Sekunde um die nächste Häuserecke zu schiessen droht und damit auch das Leben der Alten gefährdet – Suspense in Reinform also.

Inspiration für Poldek fand Claudius Gentinetta 1995/96 im Verlauf seines dreizehnmonatigen Stipendiataufenthalts in Krakau, wo er selbst in einem bescheidenen Hinterhofzimmer hauste und auf den real existierenden Protagonisten traf: Dessen Heulen ist nun auf der Tonspur zu hören. Wie seine bereits mehrfach preisgekrönten früheren Werke Wohlstandskühe (1993) und Amok (1997) wurde auch sein neustes Werk ausgezeichnet, diesmal mit dem Nachwuchspreis der Kulturstiftung der SSA und der Suissimage an den 39. Solothurner Filmtagen.

Laura Daniel
geb. 1978, studiert an der Universität Zürich Germanistik, Film­wissenschaft und Philosophie sowie klassischen Gesang, zeitgenössische Musik und Jazz. Mitglied der CINEM A-Redaktion seit 2002. Lebt in Zürich. Daniel Däuber, geb. 1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, u.a. für die Schweizer Filmzeitschriften Zoom und Film geschrieben, arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2018)
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