LAURA DANIEL

GALERIES (DAVID EPINEY)

SELECTION CINEMA

Etwas verloren steht er da, der junge Mann, der irgendwie nicht wirklich zu wissen scheint, weshalb er sich in diesem riesigen Kaufhaus befindet. Eigentlich ist alles hier schrecklich: die einlullende Easy-Listening-Musik, die vielen Stimmen, Menschen im Kaufrausch, voller Frustration.

Der Ort erinnert an ein grosses Pariser Kaufhaus im Stile der Galeries Lafayette oder des noch älteren Bon Marché. Es ist wohl auch deren Luxus und die Eleganz, die den Mann gleichzeitig überfordern wie faszinieren. Ziellos streift er durch die verschiedenen Abteilungen, doch überall dasselbe Szenario: anschauen, auswählen, anprobieren, kaufen. Zwar versucht er sich dem Kaufrausch hinzugeben und kann dem Ganzen ein paar positive, geradezu erheiternde Momente abgewinnen, die kindliche Neugier in ihm zu wecken scheinen. Plötzlich verspürt er eine gewisse Nervosität, er hat genug, er möchte raus, ihm ist heiss, er findet den Ausgang nicht, und dann sehen auf einmal auch noch alle aus wie er! Er flüchtet sich ins Treppenhaus, steigt immer weiter, bis er endlich die Dachterrasse erreicht, wo ihn die ersehnte Ruhe erwartet und er endlich durchatmen beziehungsweise eine rauchen kann.

Leider ist er nicht der Einzige, der den Weg nach oben gefunden hat. Er stürzt zum Ausgang und trifft irgendwo auf dem Weg nach draussen auf – seine Frau. Ihr Gesichtsausdruck ähnelt dem einer verärgerten Mutter, deren Kind wieder etwas ausgefressen hat. Kaum hat er sie gesehen, kehrt seine ursprüngliche Lethargie zurück, er lässt die Schultern hängen und nimmt ihr die Einkaufstüten ab, dann schlurft er ihr nach – in Richtung Ausgang.

Galeries ist nach Les bains (2000) David Epineys zweiter Animationsfilm, der nach seiner Uraufführung in Solothurn bereits an mehreren internationalen Festivals gezeigt wurde. Der spitzbübische Charme des Fünfminüters hat dem ungewöhnlichen Szenario sicher einiges zu verdanken. Die Bewegungen werden so genau wiedergegeben, als hätte man Menschen beim Einkaufen gefilmt und dann mit Farbstift über den Filmstreifen gezeichnet. Dies trägt viel dazu bei, dass man dem Protagonisten wenigstens einen Teil seines Horrors abnimmt: Wer kennt es nicht, das leidige Drängeln auf der Rolltreppe, die Schweissausbrüche in der Kabine und die aufsteigenden misanthropischen Regungen. Die gut beobachtete Alltäglichkeit täuscht an manchen Stellen aber nicht über eine gewisse Willkür in dramaturgischer Hinsicht hinweg. Auf den nächsten Film Epineys kann man dennoch gespannt sein.

Laura Daniel
geb. 1978, studiert an der Universität Zürich Germanistik, Film­wissenschaft und Philosophie sowie klassischen Gesang, zeitgenössische Musik und Jazz. Mitglied der CINEM A-Redaktion seit 2002. Lebt in Zürich. Daniel Däuber, geb. 1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, u.a. für die Schweizer Filmzeitschriften Zoom und Film geschrieben, arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2018)
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