LAURA DANIEL

DOWNTOWN SWITZERLAND (CHRISTIAN DAVI, STEFAN HAUPT, KASPAR KASICS, FREDI M. MURERCHRISTIAN DAVI, STEFAN HAUPT, KASPAR KASICS, FREDI M)

SELECTION CINEMA

Von den meisten Zürchern geliebt und der übrigen Schweiz gehasst, verkörpert Zürich, das nebst Genf als einzige «richtige» Grossstadt der Schweiz gehandelt wird, tatsächlich einen Schmelztiegel, wie er in allen grossstädtischen Downtown-Bezirken zu finden ist. Nirgendwo sonst prallt die urschweizerische Gemütlichkeit so auf Trendsettertum und Hektik.

Davi, Haupt, Kasics und Murer zogen aus, um in Zürich eine repräsentative Spannbreite schweizerischer Befindlichkeit zu erforschen. Das Autorenkollektiv möchte ihren Film als Reaktion auf den politischen Wechsel im Bundesrat verstanden wissen. Zu Wort kommen «Büssler» – es gibt schliesslich «Büssler», «Trämmler» und «VBZler» –, SVP-Parteitags-RednerInnen – da wäre insbesondere die Jung-SVP zu nennen, an deren geradezu literarischen Ergüssen man sich ergötzen kann –, Bauherren, Vertreter der IBM, Fussballer und Trainer des African Football Club in Zürich, Asylsuchende, Mitbegründerinnen der Gruppe Zoff!, diverse politisch exponierte Persönlichkeiten, Künstler und Wahlzürcher verschiedenster Couleur. Relativ wertfrei werden die Aussagen der Porträtierten nebeneinander gestellt. Im Vordergrund steht die persönliche, menschliche Begegnung und der subjektive Eindruck der in Zürich Lebenden, wobei diese Kurzporträts von feinem Humor und gut beobachteter Situationskomik leben. Unvergessen bleiben Szenen wie jene, in der SVP-Gemeinderat Mauro Tuena auf zwei Zürcherinnen im Teenageralter trifft, denen er das von der SVP gebrauchte Sinnbild des Steuerzahlers als «gerupftes Huhn» zu erklären versucht, diese ihm aber trocken entgegnen: «Aber mer fühled eus gar ned wie grupfti Hüener!» In seinem unermüdlichen Engagement für die «jungen Menschen» trifft er bei einer Podiumsdiskussion auf einen Gymnasiasten, der ihm vorhält, seine Partei verhalte sich mit den geforderten Steuersenkungen schlichtweg asozial. Fast tut einem Tuena leid, wenn er anschliessend im Auto zugeben muss: «Gege so Lüüt hesch eifach kei Chance.»

Schön auch die Szene mit Susan Kish vom Think Tank First Tuesday, die meint, in Zürich leben sei «like living in Disneyland – it’s gorgeous!», dem aber hinzufügt, dass die Verbindung von Isolation (sprich Nichtzugehörigkeit zur EU), dem Denken, dass man das Recht auf einen Sonderstatus habe und der Überzeugung, dass alles, was in der Schweiz geschieht, a priori gut ist, durchaus eine «dangerous combination» ist.

Äusserungen des Regiekollektivs zeugen vom Wunsch nach der Wahrnehmung des Films als einheitliches Ganzes. Darüber hinaus ist ihnen sicher gelungen, ein ehrliches Zeitdokument zu schaffen. Man verlässt den Film nicht unbedingt klüger, fühlt sich im einen oder anderen bestätigt; dass der Film sein Publikum aufrütteln wird, bleibt leider zu bezweifeln.

Ein tragikomisches Element dominiert in gewissen Szenen, so dass einem das Lachen bisweilen im Hals stecken bleibt, wie etwa bei der bereits erwähnten Jung-SVP oder bei einem Intermezzo auf dem Paradeplatz, als eine ältere Frau von einer Mittfünfzigerin angefaucht wird: «Gönd Sie doch hei! Sie sind doch scho alt! Was wänd ihr dumme Wiiber denn no? Ich chönnt jedi Einzelni vo dene verschüsse!» – Hoppla! Auch das ist also Zürich.

Laura Daniel
geb. 1978, studiert an der Universität Zürich Germanistik, Film­wissenschaft und Philosophie sowie klassischen Gesang, zeitgenössische Musik und Jazz. Mitglied der CINEM A-Redaktion seit 2002. Lebt in Zürich. Daniel Däuber, geb. 1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, u.a. für die Schweizer Filmzeitschriften Zoom und Film geschrieben, arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2018)
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