Ein ehemaliges Kloster im thurgauischen Kalchrain beherbergt mitten in einer ländlichen Idylle eine Arbeitserziehungsanstalt (AEA) für junge Kriminelle, in die auch das Projekt «Suchtgruppe», kurz PSG, eingegliedert ist. Die mindestens dreimonatige Therapie hat zum Ziel, abhängige, straffällige Jugendliche auf ein drogen- und deliktfreies Leben ausserhalb der Anstalt vorzubereiten. Rund um die Uhr kümmert sich ein fünfköpfiges Betreuungsteam um die sieben Adoleszenten, die von einer auffällig ähnlichen kriminellen Karriere berichten: Diebstähle, Erpressung wie auch Gewaltdelikte und Drogenkonsum gehörten zum Alltag der jungen Männer.
Besonders aufmerksam begleitet der Dokumentarfilmer Lukas Schmid die Geschichte des 18-jährigen Robert Rappacinski. Rappa, wie ihn seine Altersgenossen zu nennen pflegen, ist drogenabhängig und versucht mit zwanghaftem Lügen die Therapiephase durchzustehen. In unzähligen, äusserst intensiven Gruppendiskussionen mit den Betreuern und den weiteren sechs Jugendlichen wird Rappa jedoch stets mit der Wahrheit konfrontiert. Schmids Kamera nähert sich ihm, wie auch den übrigen Jugendlichen, auf ausgesprochen sachte, rücksichtsvolle Weise und frei jeglicher Wertung. Das Vertrauen der Anstaltsbewohner ist dem jungen Dokumentarfilmer so sicher; es grenzt gar an Komplizenschaft. Wie in dem Falle, als er Martin in den bewilligten achtstündigen Urlaub nach Winterthur begleitet und beim Reinschmuggeln halluzinogener Pilze, versteckt zwischen den Salamischeiben eines unauffälligen Sandwichs, in die Erziehungsanstalt filmt.
Die Kamera – bei konfrontativen Gesprächen stets auf den Gesichtern verharrend – fängt Augenblicke zwischen trister Resignation und vehementer Auflehnung ein. Wie zum Beispiel, als Marco bei Rappas Einweisung in das Isolationszimmer die Frage stellt, wozu eine solche Strafe gut sein soll. Frustrierend die Antwort: Das Betreuungsteam habe das nicht entschieden; es sei einfach so – zu den verärgerten und hilflosen Gesichtern der Jugendlichen gesellen sich diejenigen der Betreuer, irritiert und ratlos.
Als roter Faden der handwerklich soliden und eindrücklichen Dokumentation dient Rappas Geschichte; seine Person bestreitet sowohl die Anfangsals auch Endszene. Einem eindeutigen Schluss aber verweigert sich Die zweite Phase: Nach der dreimonatigen Therapie muss Robert Rappacinski vor prüfender Anstaltsleitung gestehen: «Ich muess ... ich bliib nomol drü Mönät.» Mit diesem Satz, faktisch das Schlusswort, knüpft Schmid geschickt an den Anfang an. Dieses Ende stimmt nachdenklich – man verweilt in Gedanken bei Robert und den andern Anstaltsbewohnern.
Lukas Schmid gelingt es mit seinem ersten langen Dokumentarfilm (und zugleich Vordiplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg), nicht nur den Alltag von sieben ehemals kriminellen Jugendlichen in einer Erziehungsanstalt einzufangen, sondern zugleich die entwicklungspsychologischen Herausforderungen dieses Alters, wie Identitätssuche, Behaupten der eigenen Persönlichkeit, Lust an Grenzerfahrungen, Sozialisation und Integration, zu dokumentieren.