FLAVIA GIORGETTA

CYRILL TRIFFT (STEFAN JÄGER)

SELECTION CINEMA

Cyrill ist 35, neugierig und weltoffen, manchmal gestresst, oft strahlend, und Cyrill hat Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt. Diese Behinderung wird in den von Cyrill geführten Interviews nicht ausgeschlachtet, sondern erlaubt im Gegenteil subtile Einsichten in die Persönlichkeiten der Befragten. Manchmal betreten, manchmal übertrieben zuvorkommend, aber erstaunlich oft völlig natürlich gehen die Prominenten mit Cyrill um, einem Interviewer, der kein Blatt vor den Mund nimmt und gerade durch seine fehlende Ehrfurcht erfrischend wirkt. Der Langspielfilm basiert auf vier für SF DRS realisierten Interviews, denen der Regisseur Stefan Jäger zwei neue hinzufügt hat.

Cyrill trifft die Alte Dame der Schauspielkunst Anne-Marie Blanc, die ihm von der um einiges ruhigeren Vergangenheit vorschwärmt. Die Ruhe, die der Einsiedler Abt Martin Werlen im Gespräch ausstrahlt, wirkt sich beim Rundgang durch die Bibliothek mit ihren Schätzen auch auf Cyrill aus, er scheint weniger quirlig und mehr in sich gewandt. Moritz Leuenberger zeigt ihm das Bundeshaus, doch Cyrill interessiert sich mehr für den Kopierer als für den damaligen Bundespräsidenten. Leuenberger wirkt fahrig und immer ungeduldiger im Gespräch, als Einziger der Befragten scheint er im Korsett seiner Rolle gefangen zu bleiben. Dies macht deutlich, was die Stärke der Treffen zwischen Leuten, die täglich im Scheinwerferlicht stehen, und dem geistig behinderten Cyrill ausmacht: Mit neuen Fragen und einer anderen Sichtweise konfrontiert, öffnen sich die Schweizer Berühmtheiten mehr als sonst, auch wenn Cyrill mit seinen Fragen manchmal aufs Glatteis schlittert. Martin Schenkel freut sich über die Ablenkung während der langen Wartezeiten zwischen seinen Aufnahmen für Lüthi und Blanc, doch die Frage nach seiner Krankheit ist ihm zu intim. Kurz nach Kinostart von Cyrill trifft starb der Schauspieler und Sänger viel zu jung.

Die grösste Nähe entsteht – so zumindest der Eindruck auf der Leinwand – zwischen Cyrill und Reto Pavoni. Der Eishockey-Goalie ging mit Cyrill in den Kindergarten, hatte danach aber keinen Kontakt mehr zu ihm. Beim Wiedersehen erinnern sie sich an gemeinsame Busfahrten, und Pavoni nimmt Cyrill mit in den ungeliebten Fitnessraum, wo sich beide abstrampeln. Im Gespräch stets unbefangen, antwortet Pavoni nicht nur, sondern interessiert sich seinerseits für Cyrill.

Nachdem das Ausgangsmaterial für die Fernsehfassungen neu gesichtet worden war, wurde der Kinofilm assoziativ geschnitten, was manchmal stimmige Übergänge schafft, zum Teil die Interviews aber unnötig unterbricht.

Zusammengehalten werden die Teile durch Cyrills Reise durch die Schweiz (an der Expo trifft er die Clownin Gardi Hutter), die ihn schliesslich aufs Rütli führt. Doch diese Interview-Zusammenstellung zeigt weniger ein Bild der Schweiz als ein allgemeines Bild der Menschheit und Menschlichkeit. Seine Erfahrung bei der Theatergruppe Hora manifestiert sich in Cyrills Talent, sich zu inszenieren, und doch bleibt bei ihm immer seine wahre (Frage-) Absicht sichtbar, und er vertuscht oftmals auch nicht Ungeduld und Irritation, was glücklicherweise nicht aus dem Film geschnitten wurde. Man wünschte sich öfters solch hartnäckige, solch menschliche Interviewer.

Flavia Giorgetta
geb. 1973, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Lebt in Zürich und arbeitet als wissenschaftlich-päda­gogische Assistentin im Studienbereich Film an der HGK Zürich. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2001.
(Stand: 2018)
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