Martha Argerich ist Pianistin mit Haut und Haaren. Die Argentinierin, die 1965 in Warschau den «Chopin Concours» gewann und so eine beeindruckende Weltkarriere startete, unterhält sich nachts in einer Hotellobby mit Regisseur Georges Gachot. Die hochbegabte und international geachtete Künstlerin gilt als impulsiv, schwierig im Umgang und exzentrisch – dem in Zürich lebenden Filmmacher jedoch hat sie vertraut und eine filmische Begegnung zugelassen.
Durch die einstündige Dokumentation führt das Interview beziehungsweise der durch wenige Fragen unterbrochene Monolog. Argerich erzählt aus ihrer Kindheit, spricht über ihren Lehrer, den Wiener Friedrich Gulda, dem sie mit 13 Jahren nach Europa folgte. Er habe den grössten Einfluss auf ihre Person ausgeübt, stellt die Künstlerin rückblickend fest; ihre Faszination für den Österreicher ist nach wie vor ungebrochen. Ihm habe sie auch die Entdeckung des musikalischen Humors zu verdanken: Gulda habe nämlich dieses in der klassischen Musik allzu oft vernachlässigte Element, das in zahlreichen Kompositionen unentdeckt schlummert, zu wecken gewusst.
Konsequent aber weigert sich Martha Argerich, über Privates zu reden. Es sei grässlich, bemerkt sie am Anfang des «Nachtgesprächs» über eine «Big Brother»-Sendung am TV, wie man erpicht sei, das eigene Privatleben in aller Öffentlichkeit einfach so auszubreiten. Darauf verzichte sie gerne.
Dennoch mangelt es dem Dokumentarfilm keineswegs an Intimität. Die reduzierten filmischen Mittel verleihen den Aufnahmen gar einen unmittelbaren, persönlichen Zugang. In Gedanken bei «ihren» Komponisten redet die Pianistin wie über echte Beziehungen. Es geht um Liebe, Sympathie, gar Eifersucht. Beethoven, Chopin, Debussy, Ravel und Bach stehen ihr emotional sehr nahe. Als seien sie Freunde, ja gar Liebhaber, spricht die Künstlerin über ihre Temperamente, über ihren Geschmack. Prokofjew zum Beispiel meine es gut mit ihr, er habe ihr auch nie einen Streich gespielt. Mit Schumann aber, habe sie das Gefühl, verbinde sie noch mehr – Argerich denkt laut über Seelenverwandtschaft nach.
Die Kamera begleitet die Pianistin zuhause beim Proben, im Konzertsaal und in der Tonhalle Zürich. Konzertmitschnitte sowie Tonaufnahmen aus dem Archiv ergänzen und vervollständigen das Porträt der Künstlerin, das behutsam ihr sprunghaftes und spontanes Erzählen gliedert. Ausgezeichnet geschnitten und stimmig aufgebaut, eröffnet der Dokumentarfilm nicht nur die künstlerischen Dimensionen der Martha Argerich, sondern vermag es, sich der geheimnisvollen Künstlerin auch persönlich zu nähern.
Martha Argerich – Conversation nocturne gehen Porträts über die Komponisten Rodion Shchedrin, Claude Debussy oder die Mezzosopranistin Grace Bumbry voraus. Georges Gachots Filmschaffen hat sich seiner Leidenschaft, der klassischen Musik, verschrieben. Mit grosser Affinität gelingt es ihm, klassische Musik und die MusikerInnen, die sich dieser Musik verpflichtet haben, in Bilder zu übersetzen.