FLAVIA GIORGETTA

LES VOLTIGEURS (ISABELLE FAVEZ)

SELECTION CINEMA

Es sei eine Mühsal mit den Trickfilmen, sagt Isabelle Favez in einem Interview auf der HGKZ-DVD Jubläum – Jubilee. Der Staub, der immer wieder Platz zwischen Folie und Glas findet, die ewige Zeichnerei: Bis wenige Kader aufgenommen werden können, vergeht eine Ewigkeit. Anderseits müsse sie nicht bangen, dass Schauspieler nicht kommen, und mit deren Marotten muss sich Favez auch nicht abfinden. Diese zeichnet sie ihren Figuren ein. Ein bisschen spinnen sie schon, die Vögel auf den Telefonleitungen, die Trapezkünstler eben. Der Film beginnt mit dem Blick aus der Unschärfe auf das drohende Unheil: die Katze, die tagein, tagaus dem Gezwitscher lauschen und auf ihre Beute warten wird. Über ihr feiern die Vögel Hochzeit, und auf das frisch vermählte Paar regnet es Raupen. Die grösste bildet die Hochzeitstorte, welche die Liebenden noch genüsslich picken. Doch ihre Sicht auf Raupen als blosse Kalorienlieferanten ändert sich, als der Storch ihr Liebesnest überfliegt, ohne ein Ei abzusetzen. In eben diesem Nest findet das Paar als Kuckucksei eine Raupe, die es flugs adoptiert. Auch wenn die Gemeinde sich von den Raupeneltern abwendet und der Storch schliesslich doch seine Rollerblades bremst und ein Ei offeriert: Das Findelkind wird zum Wunschkind und von den Vogeleltern gegen alle verteidigt. Dennoch schnappt sich einer die Raupe. Als die Vögel beginnen mit ihr «Fangen» zu spielen, kommt auch die Katze endlich zum lang ersehnten Mahl. Als die mittlerweile fette Raupe einem neuen Paar als Torte dienen soll, entpuppt sie sich als Schmetterling und entschwebt.

In satten Farben und präzisen Strichen zeichnet Isabelle Favez eine tierisch menschliche Geschichte vom Fressen und Gefressenwerden, dem Ausbrechen aus diesem Zyklus und dessen Konsequenzen. Die Unverhofftheit und Schönheit des Schmetterlings rechtfertigen den Einsatz des aussergewöhnlichen Paars für die Raupe, die ihnen normalerweise als Nahrung dienen würde, auch wenn sie am Schluss selbst dran glauben müssen. Die Natur kann grausam sein, aber auch überraschend. Dass Les voltigeurs ein leichter Film ist, verdankt er neben seiner Farbenpracht und den typisierten Figuren der französischen Band Bratsch: Mit den präzisen Geräuschen von Peter Bräker versteht sie es, die Stimmungen zu verstärken und den Tieren Stimmen zu verleihen. Die Vogelgemeinde motzt dissonant über ihre zwei abweichenden Mitglieder, und auch wenn tragische Stellen durch langsame, melancholische Klarinettenklänge betont werden, findet die Musik am Schluss wieder zu einem gewissen Tempo und zu der Leichtigkeit, die letzten Endes und trotz aller (Natur-)Widrigkeiten in Les voltigeurs auch ein Vogelleben auszumachen scheint.

Flavia Giorgetta
geb. 1973, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Volkswirtschaftslehre. Lebt in Zürich und arbeitet als wissenschaftlich-päda­gogische Assistentin im Studienbereich Film an der HGK Zürich. Mitglied der CINEMA-Redaktion seit 2001.
(Stand: 2018)
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