DANIEL DÄUBER

RICCO (MIKE WILDBOLZ)

SELECTION CINEMA

Ricco ist, wie es im Untertitel heisst, das Porträt des Malers Erich Wassmer, eines eher unbe­kannten Schweizer Künstlers. Mike Wildbolz zeichnet in seiner Dokumentation anhand von Interviews, Bildbetrachtungen und Briefen den Weg dieses Abenteurers und Sonderlings chro­nologisch nach. Geboren 1915 in Basel und auf­gewachsen im Schloss Bremgarten, istWassmer die Welt der Künstler von Anfang an vertraut. Zu den Freunden der Familie - der Vater ist Kunstmäzen - gehören etwa der Schriftsteller Hermann Hesse und der Komponist Othmar Schoeck.

Schon früh zieht es Erich Wassmer, genannt Ricco, zur Malerei. Er studiert in München und Paris, geht bei Cuno Amiet in die Lehre. Was auf ihn eine grosse Faszination ausübt, sind die See, die Sehnsucht nach unerforschten Ländern und verlorenen Paradiesen. Daher rührt auch das Symbol des Ankers, das er sich eintätowie­ren lässt. In den Vierzigerjahren überquert er auf einem Frachter die Weltmeere. Vor allem Tahiti mit seiner Idylle hat es dem Schweizer angetan, der aus der kleinbürgerlichen Engstir­nigkeit flüchten will. Szenen des unberührten Insellebens gehören fortan zu seinen bevor­zugten Motiven. In den Fünfzigerjahren, als er sich im Schloss Bompré nahe Vichy niederlässt, entstehen vor allem Bilder zu literarischen Themen. 1963 wird ihm seine Liebe zu Jünglin­gen zum Verhängnis. Die französische Polizei stösst in seinem Atelier auf Aktfotos von Jun­gen, die ihm als Arbeitsgrundlage für seine Gemälde dienten. Wegen Verstosses gegen die Moral wird er ins Gefängnis gesperrt. Die Haftzeit wird ihm schwer zu schaffen machen. Er wird krank und stirbt mit 57 Jahren.

Der in diesem Jahr verstorbene Dokumentarfilmer Mike Wildbolz (Ryhiner’s Business, 1998) zeichnet ein formal konventionelles Porträt des Künstlers und lässt ihn auf ver­schiedene Weise lebendig werden: Zum einen kommen Familienangehörige, Freunde, Kunst­händler, Bedienstete und männliche Musen zu Wort. Dabei ist vor allem Thema, wie wichtig dem Ästheten Wassmer alles Schöne war, das er nicht zuletzt auch in seiner Liebe zu Heran­wachsenden suchte. Immer wieder gleitet die Kamera aber auch über seine Bilder, bleibt bei Details stehen und öffnet sich wieder zur Tota­len. Der Schriftsteller Christoph Geiser bietet hierzu Lesarten an. Ausserdem reiste der Re­gisseur an diejenigen Orte, wo Wassmer seine Motive fand - ein lyrisches Element als Gegen­gewicht zu den gesprochenen Passagen. Da­neben finden sich schliesslich Auszüge aus Briefen Wassmers. Dies alles ergibt einerseits ein vielschichtiges Bild des Künstlers, muss sich aber andererseits den Vorwurf einer gewissen Beliebigkeit und Zufälligkeit gefallen lassen. Eine thematische Gewichtung, wie sie sich etwa in Wassmers unterdrückter Homosexualität an­geboten hätte, ist nicht erkennbar. In diesem Sinn wäre der Dokumentation eine gewisse Straffung bestimmt entgegengekommen.

Daniel Däuber
*1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, unter anderem für die Schweizer Filmzeitschreiften Zoom und Film geschrieben und arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2011)
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