Wir wissen wenig vom zeitgenössischen algerischen Drama: Der Bürgerkrieg hat bisher hinter verschlossenen Türen stattgefunden - ein Krieg ohne Bilder, aus religiösen wie politisehen Gründen. Wenn nicht der Schweizer Fotograf Michael von Graffenried wäre, der seit über elf Jahren regelmässig nach Algerien reist. Von Graffenried hinterging die Kamerascheu der Algerier, indem er mit einer auf Brusthöhe montierten, alten Panoramakamera unbemerkt Land und Leute fotografierte oder ihnen ihre Bilder «stahl», wie er es selbst nennt. Seine aussergewöhnlichen Schwarzweissfotografien aus dem abgeschotteten Land erregten Aufsehen, wurden weltweit publiziert, in diversen Ausstellungen gefeiert und erstmals im Buch Algerien, der unheimliche Krieg (1998) zusammengetragen. Nicht der Nachrichtenwert steht für von Graffenried im Vordergrund - er interessiert sich für den Alltag im von Terror und Armut geprägten Land.
Für den Dokumentarfilm Guerre sans images hat der algerisch-schweizerische Filmemacher Mohammed Soudani, der 1998 für seinen ersten Spielfilm Waalo Kendo den Schweizer Filmpreis erhielt, den Fotografen nach Algerien begleitet. Von Graffenrieds Fotoband gab die Reiseroute vor. Die Fotografierten, die nichts von der Existenz der Bilder wussten, sollen damit konfrontiert werden. Also sehen wir, wie von Graffenried die «Objekte» seiner bis zu zehn Jahre alten Bilder aufsucht, um ihnen nun auch eine Stimme zu geben. Auf ihrer Reise quer durch Algerien reden der Filmemacher und der Fotograf mit Militärs, mit verschleierten Frauen, islamischen Fundamentalisten sowie Feministinnen und lassen sich erzählen, wie es ihnen in den letzten Jahren ergangen ist. Die Betroffenen reagieren überrascht, zum Teil gleichgültig, manche aber auch wütend. Viele schätzen, dass ihr Elend durch die Bilder auch im Ausland für Aufmerksamkeit sorgte. Doch einige werfen dem Fotografen vor, bloss einseitig die stereotypen Kriegs- bildcr zu reproduzieren, die der Westen sehen will, anstatt das andere, weltoffene Algerien zu zeigen, das es auch gibt.
Guerre sans images will nicht nur das Land im schmutzigen Krieg porträtieren, sondern gleichzeitig das eigene fotografische und filmische Schaffen hinterfragen. Man sieht zwar von Graffenried auf den Sofas der Abgebildeten sitzen, spürt aber wenig von der «Co-Produktion» zwischen dem Fotografen und seinen Motiven, von der er gerne spricht. Allerdings lässt er sich ansonsten kaum zu Statements vor der Kamera bewegen. Soudanis Dokumentarfilm fokussiert weder Algerien noch die Diskussion um das Recht des Blickes, die sich hier aufdrängen würde. Bisweilen lässt sich der Filmemacher sogar dazu hinreissen, die ästhetischen Schwarzweissbilder von Graffenrieds mit eigenen farbigen Landschaftsaufnahmen zu konkurrenzieren. Leider bleibt manch spannendes und wichtiges Thema bloss angedeutet und trägt dadurch wenig zum Verständnis Algeriens oder zum besseren Begreifen des Schaffens von Graffenrieds bei.