«I guess I’m scared of my former homeland - now the enemy of my present one.» So lauten die abschliessenden Worte in Samirs Film, geäussert von Sami Michael, einem der fünf Protagonisten in Forget Baghdad. Samir erzählt die Lebensgeschichte des Bestsellerautors Sami Michael, des reichen Bauunternehmers Moussa Houry, des Schriftstellers Samir Naquash, derjenigen des arabische Literatur lehrenden Shimon Balas sowie Ella Habiba Shohats, die an der New Yorker Universität Soziologie und Filmgeschichte lehrt. Samir befragt sie zu ihrer Identität vor dem Hintergrund der Nahostpolitik und illustriert ihre Geschichte mit Hilfe von Filmausschnitten und Fernschnachrichtenmaterial. Seine eigene Geschichte dient dabei als roter Faden.
Ausgangspunkt ist die Frage, wie es ist, die Seite zu wechseln, plötzlich gezwungen zu sein, in einem Land zu leben, dass dem Herkunftsland feindlich gegenübersteht. Wie Samirs Vater, der den Irak mit seiner Familie in den Sechzigerjahren verlassen musste, waren oder sind die vier interviewten Männer alle Mitglieder der kommunistischen Partei. Auf Grund des arabischen Nationalismus im Irak der Fünfzigerjahre sowie der Politik Israels, möglichst viele Juden aus der ganzen Welt «nach Hause» zu holen, sahen sie sich gezwungen, den Irak zu verlassen. In den Gesprächen mit Samir reflektieren sie die Beweggründe für ihre Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei ebenso wie ihre Gefühle bezüglich Emigration und Assimilierung in Israel.
Der Film gewinnt eine zusätzliche Ebene durch die Auseinandersetzung Samirs mit den Stereotypen der Darstellung von Juden und Arabern und die analytische und autoreflexive Auseinandersetzung mit Ella Shohat, die eine andere Generation der Mizrahim, der arabischen Juden, repräsentiert. In ihrem viel diskutierten Werk Israeli Cinema: East/West and the Politics of Representation (1989) zeigte sie anhand der israelischen Filmgeschichte die Diskriminierung auf, der die Mizrahim von Seiten der europäischstämmigen Gründergeneration Israels ausgesetzt waren und sind. Sie beleuchtet eindrücklich, weshalb über die Leidensgeschichte ihres Volkes, unter anderem vor dem Hintergrund des Holocausts, bis anhin geschwiegen wurde.
Über Parallelen der israelischen Secondos zu seiner eigenen Existenz als Secondo in der Schweiz stellt Samir damit auch einen Bezug zu seinem früheren Filmschaffen her. In der für ihn typischen Montage- und Splitscreen-Technik sowie grafischen Hilfsmitteln, mit denen er die inhaltliche Vielschichtigkeit auch visuell umsetzt, knüpft Forget Baghdad an Babylon 2 (1993) an - Samir präsentiert hier (s)eine gereifte Vision davon, was es heisst, zwischen verschiedenen Heimaten zu stehen, innerhalb eines weiteren Kontexts als demjenigen der Schweiz.
Dem leicht didaktischen Ton seines früheren Films ist der Mut zur Meinungspluralität unter den Porträtierten gewichen. Sein Film präsentiert sich als visuell und inhaltlich anspruchsvoller Exkurs in die Geschichte der Mizrahim und überzeugt durch sein konsequentes und intelligentes Konzept sowie seine interessante Machart.