Epoca - The Making of History geht der Frage nach, wie aus einzelnen, bruchstückhaft erinnerten historischen Ereignissen rückblickend «Geschichte» wird. Andreas Hoessli und Isabella Huser haben zu diesem Zweck collageartig Bildmaterial miteinander verbunden, das sich thematisch ebenso wie von seiner Machart her in drei Gruppen unterteilen lässt: Erstens schwarzweissc Filmsequenzen, die aus russischen und amerikanischen Archiven stammen und bisher noch nie öffentlich zu sehen waren. Dabei handelt es sich um Aufnahmen, die im Zuge der stalinistischen Schauprozesse in sowjetischen Gerichtssälen entstanden sind, und um Muster, also noch ungeschnittene Szenen eines amerikanischen Regierungsprojekts, in dem die beteiligten Wissenschaftler Einstein und Oppenheimer die Entwicklung der Atombombe dokumentieren sollten. Zweitens mit einer DV-Kamera festgehaltene Interviews, die Hoessli und Huser während ihrer ausgedehnten Recherchen in Osteuropa mit einem ehemaligen amerikanischen Überläufer, einem polnischen Geheimdienstmann und zwei Teilnehmern des ersten Balkankrieges geführt haben. Und drittens Alltagsimpressionen aus dem postsozialistischen Osteuropa der Neunzigerjahre.
Jede dieser drei Gruppen von Bildern eröffnet einen eigenen Blick auf das gemeinsame Thema und betont jeweils einen anderen Aspekt desselben. So rücken die amerikanischen Archivaufnahmen die «grossen Persönlichkeiten» der Weltgeschichte in den Vordergrund, während die Interviews den «kleinen», in der Regel anonym bleibenden Akteuren historischer Prozesse Gehör verschaffen, wobei das Gespräch mit dem amerikanischen Überläufer in seiner Aussagekraft und Wirkung gegenüber dem mit dem kroatischen Offizier - einem ehemaligen Journalisten - und dem Heckenschützen merklich abfällt. Machen die Passagen mit dem amerikanischen Material, in denen Hoessli und Huser mehrere Takes derselben Einstellung aneinander reihen, auf verblüffend einfache Weise deutlich, in welchem Mass Geschichte das Produkt einer Inszenierung ist, zeigen die Interviews vor allem die traumatischen Folgen, die Geschichtsprozesse für die Beteiligten mitunter haben - die Sequenzen, in denen der kroatische Offizier und der Heckenschütze von den Alpträumen erzählen, die sie seit dem Ende des Bürgerkrieges verfolgen, gehören zu den stärksten des ganzen Films.
Auf den ersten Blick scheinen sich dagegen die osteuropäischen Alltagsimprcssionen - Landschaften, Details, Bilder aus einem Konservatorium und einer Irrenanstalt - nicht ganz so schlüssig ins Konzept zu fügen. Gerade durch ihre stark fotografische Qualität bilden diese ruhigen Aufnahmen, die mitunter wie Standbilder wirken, jedoch eine Art geschichtslosen Gegenpol zu dem übrigen, mit viel historischer Bedeutung aufgeladenen Bildmaterial.
Erwartungsgemäss liefert Epoca auf die grosse Frage nach dem Entstehen von Geschichte keine abschliessende Antwort. Als Essay hat der Film seine Stärke darin, dass er mit den ihm eigenen Mitteln erfahrbar macht, wie sehr jedes Geschichtsbild Ergebnis eines nachträglichen Arrangements von Dokumenten und damit notwendig ein Stück Fiktion ist.