RETO BAUMANN

MECHANISCHE LEIDENSCHAFTEN — DER AUTORENNSPORT IM FILM

ESSAY

Jackie Stewart sagte, als er erklärte, warum die meisten Rennfahrer, wie auch er selbst, konservativ wählen: «Um einen Rennwagen zu steuern, muss man konservativ sein.

Man kann kein Radikaler sein, keiner, der zur Spontaneität oder Begeisterung neigt.»1

«Der Mut, etwas wirklich Gefährliches zu tun, erfordert einen gewissen Mangel an Fantasie.»

Yves Montand als Jean-Pierre Sarti in Grand Prix (John Frankenheimer, USA 1966)

«A story of heroes: The men. The women. The machines. The movie. - Some will panic. Some will die. One will win.» So lautete Anfang der Siebzigerjahre eine der Taglines zu Le Mans (Lee H. Katzin, USA 1971); auf dem entspre­chenden Plakat thront gross im Zentrum der Kopf von Steve McQueen, um ihn herum gruppiert: Frauen. Maschinen. Dazu das eingefrorene Attraktionsbild einer überhitzten, ausser Kontrolle geratenen und im wahrsten Sinn explosiven Situation. Sport, Eros und Tod2 - die hier präsente Verquickung ist ebenso typisch für den Autorennsportfilm wie die skizzierten Polaritäten: Mann ver­sus Frau, Mensch versus Maschine, Beherrschung versus Kontrollverlust, Sieg versus Niederlage, Leben versus Tod. Wobei das eine nie ohne das andere zu denken ist, wie ein weiteres Kinoplakat, jenes zu Red Line 7000 (Howard Hawks, USA 1965), illustriert: Eine Frau und ein Mann liegen eng umschlun­gen da, gebettet auf der Grossaufnahme eines Drehzahlmessers; aus ihrem Décolleté springen die Rennautos heraus, rasen in Zweierreihen, sich überstür­zend, ineinander gekeilt, verklammert vorbei an zwei weiteren sich umarmen­den Paaren. Zum Ausdruck kommt hier - neben dem Aspekt des Seriellen - die Ambivalenz, zur gleichen Zeit ein und dasselbe zu lieben wie zu hassen.

Die beiden Beispiele geben konkrete Hinweise darauf, was den Film am Auto­rennsport primär interessiert: Da wäre zum einen - und dies scheint für das Medium motion picture schon fast naturgemäss gegeben - der Sensations-Charakter, das (bewegte) Spektakel des Autorennsports; daneben dessen Verspre­chen auf eine episch-mythische Erzählung, und schliesslich ebenso - und nicht zuletzt - dessen Ästhetik des «Cool»3, die den Eskapismus, das Fliehen vor Dingen und Menschen verklärt: «When you’re racing, it’s life», erklärt proto- typisch Steve McQueen als Porsche-Pilot Michael Delaney in Le Mans, «any­thing that happens before or after is just waiting.» Rennen heisst Leben, der Rest ist Warten. Das Einfrieren von Dynamik ist in diesem Weltbild gleich­bedeutend mit dem Erstarren des Selbst in Melancholie. Der Rastlose braucht das Rennen, die Herausforderung. Hier erst, wo er seine Unruhe mit einer Pro­these abtragen kann, verwandelt sich Trennungsenergie in Beschleunigungs- kraft. Doch der Rausch fordert wie jede andere Sucht nach immer mehr. Das Fahren ist etwas Physisches, etwas, «wovon man gepackt wird», wie Jean­Louis (Trintignant) in Claude Lelouchs Un homme et une femme (F 1966) sagt, «etwas, das man am ganzen Körper spürt». Etwas also, das sich erst mal einer rationalen Erklärung entzieht; etwas, das mit Emotion zu tun hat. Und das auf einer inhaltlichen Ebene gerne hinter platten Aussagen wie «Ich will Action» (Greased, Lightning, Michael Schultz, USA 1977) oder «Ich lebe gern gefähr­lich» (Speedway, Norman Taurog, USA 1968) verschwindet, weil es offenbar schwer zu benennen ist. Was in Henry Hathaways The Racers (USA 1955) auch so thematisiert wird, wenn die von Dolores Del Rio verkörperte, schon routi­nierte Rennfahrerehefrau auf die Frage einer noch jungen Schicksalsgenossin nach dem Warum bemerkt: «Warum klettern sie auf Berge, warum wollen sie zum Mond fliegen, warum müssen sie ein Rennen zu Ende fahren, auch wenn sie genau wissen, dass sic es nicht gewinnen können? Sie kennen selber keine Antwort, Schätzchen.»

So unbefriedigend die Erklärung des Rennsports durch den genuin männ­lichen Eroberungsdrang, die Lust auf ein Leben am Limit und die Suche nach den persönlichen Grenzen sein mag, so macht sie doch deutlich, dass Rasen erst mal Absage an die soziale Umwelt heisst. Dem «autistischen Grundzug des Sportwagens»4 entspricht dabei das Bild des einsamen, gut aussehenden, fast cowboyhaften Helden, der Sätze sagt wie «Niemand fährt mich»5 - John Cas­savetes alias Johnny North in The Killers (Don Siegel, USA 1964) -, sobald sich jemand anderer hinters Steuer klemmen will, wo doch schon er, der Champ, im Wagen sitzt. Zwar ist der Rennfahrer nicht so beladen mit Geschichte wie ein Westerner, randvoll mit «Psychologie» ist aber auch er - und wird bisweilen zur allegorischen Figur. Denn auch der Rennfahrer vereinigt historische und mythologische Heldengestalten in sich - er ist der Mensch, dem allzu oft Über­menschliches aufgegeben ist, der aber zugleich ein «normaler» Mensch sein will, niemand Besonderer. Einer, der lebt wie alle anderen, bloss gefährlicher und glanzvoller. Doch der Rennfahrer ist dabei kein Mittler zwischen zwei Welten, und er dringt auch nicht in unbekannte Territorien vor, vielmehr tut er - ganz im Sinne einer Zwangshandlung - immer wieder von Neuem das, was er schon kennt, Runde für Runde und ganz für sich allein. Und hier sind wir auch schon ziemlich weit vom (traditionellen) Western entfernt, dessen Utopie der Traum von der Gemeinschaft durch den Heldenmut der Einzelnen ist. Kameradschaft, o.k. - der Begriff Gemeinschaft aber existiert nicht im Wortschatz des Auto­rennfahrers, zumal nicht des amerikanischen, wo ein Stock-Car-Team lange gerade mal aus Fahrer und Mechaniker bestanden hat. Zudem ist der Western zwar der Ahne des Roadmovies, doch in diesem Text soll es nur um jene Filme gehen, in denen Autos kompetitiv im Kreis fahren6: keine Verfolgungsjagden über die Hügel von San Francisco, keine Wettrennen quer durch Amerika, keine Spass-Rallye in Monte Carlo und Umland und keine Geraden beschreibende Duelle zwischen Jugendlichen, die fast immer im Tod enden (müssen). Es soll um die geschlossene Welt des Rennzirkus gehen, ganz im Geist des Fahrer- Champions in Stolen Hours (Daniel M. Petrie, USA 1963), der sagt: «Rennen fahre ich auf der Rennbahn, nicht hier auf der Strasse, wo jeder Schnösel denkt, er sei Stirling Moss.»7 Das heisst, es herrschen andere Regeln im Rennbetrieb als im alltäglichen Leben, und deshalb ziehen jene, die Spass am Rasen haben, zugleich aber einen durchaus aristokratischen Sinn für die Kompetition unter Gleichgesinnten, die Arena der Strasse vor. Zumindest die Engländer. Denn in Amerika ist es bisweilen so, dass Leute auf der Rennbahn ihren Job mit dersel­ben Befriedigung verrichten wie zuvor auf Holperwegen und Highways. Nur wird ihnen nun, da sie Regeln einhalten, zugejubelt - für dieselbe Arbeit, für die sie «draussen» mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. So haben gleich in drei Filmen - Hell on Wheels (Will Zens, USA 1967), The Last American Hero (Lamont Johnson, USA 1973) und Greased Lightning - die Helden ihre fahrerischen Fähigkeiten als moonshiner erworben, als Fahrer von Transpor­tern mit illegal gebranntem Hochprozentigem, wobei die beiden Letzteren auf dem Leben realer Menschen beruhen, den Stock-Car-Champions Junior Jack­son und Wendeil Scott.

Doch auch in diesen Tellerwäscher-Geschichten von erzieherischem Wert gilt letztlich, dass der Film-Autorennfahrer ein Professional ist8, der im Kräfte­verhältnis von Arbeit, Erotik und Gefahr seine Bestätigung findet. Kein ver­kleideter Übermensch, sondern jemand, der pragmatisch an der Lösung von Aufgaben interessiert ist, die ihm Spass machen und die seine Freiheit nicht beschneiden. Kein Mann, der sich Vorräte anlegt, sondern ein Einzelgänger, weder gottesfürchtig noch patriotisch gesinnt, der an nichts glaubt als an seine eigenen Fähigkeiten. Für die Zeit, die ein Job in Anspruch nimmt, tut er sich mit Gleichgesinnten zusammen. Freundschaft und Loyalität sind dabei die höchsten Werte. Sie werden aber nicht sentimental beschworen, vielmehr nüch­tern praktiziert. Dabei kennt der Rennfahrer keine Ziele jenseits der unmittel­bar sichtbaren. Professionalismus ist weniger eine Beschreibung seines Cha­rakters als vor allem eine Chiffre für die Art seines Vorgehens.

Dazu passt, dass der Rennfahrer in den meisten Autorennsportfilmen weniger durch Worte als durch Aktion definiert ist. Er ist ein Abenteurer, ein Sonny­boy, ein Getriebener, ein «rücksichtsloser Tatmensch»9. Er verfolgt nicht bloss hartnäckig, sondern geradezu obsessiv seinen Traum, wobei die Maschine zur Verlängerung des Ich wird und der Tachometer zum Verbündeten gegen die Verfolgungsangst10, nimmt man Jim Croces Titelsong zu Lrfst American Hero zum Mass: «Like the fool I am and I’ll always be, I’ve got a dream, I’ve got a dream [...] Moving ahead so life won’t pass me by [...] and if it gets me nowhere, I’ll go there proud.» So ist der typische Rennfahrer erst mal ein Un­behauster, der bloss im Wagen bei sich selbst ist. Besonders deutlich kommt dies in Bobby Deerfield (Sidney Pollack, USA 1977) zum Ausdruck. Als der Bruder des Titelhelden - von Al Pacino in lässigem Underplaying verkörpert - diesen einmal in Familiendinge einspannen will, erntet er bloss ein trockenes «Ich will kein Tand, Leonard».

Damit einher geht ein anderer Wesenszug der Fahrer: Fast alle sind sie grosse, coole Jungs, mutig und verwegen, an Lebensdingen jedoch grundsätz­lich wenig interessiert und wenn, dann darin ziemlich unbedarft. Insofern lässt sich das permanente Im-Kreis-Drehen - die Fortbewegung auf der Rennstrecke ist gewissermassen die reinste Form des Nicht-Vorwärtskommens - auch als Metapher für den Helden lesen, der nicht erwachsen werden will oder kann. Genau an diesem Punkt schleichen sich aber in die meisten Rennfahrertilme bürgerlich-puritanische Moralvorstellungen ein; dieses schwer benennbare Etwas, diese Bereitschaft zur Unverantwortlichkeit und Sinnlosigkeit soll letztlich gebannt werden. Das Risiko, muss der Held öfters einsehen, ist all die Opfer nicht wert (Frau, Freunde, Familie). Er merkt, dass sein Leben leer und ein Haus doch nichts so Schlechtes ist, dass er von geld- und ruhmsüchtigen Managern ausgenutzt wurde und die Zuschauermenge ein blutgeiler Haufen ist. Zuvor freilich hat die Regie alles versucht, um die Faszination und den Glanz der Rennen aufs Bild zu bannen.

Dasselbe zu lieben wie zu hassen. So wie die Sucht auch die sesshaft geworde­nen Fahrer nie ganz loslässt und als Versprechen oder Drohung immer präsent bleibt, prägt die Ambivalenz, die dem Autorennsport per se innewohnt, auch die filmischen Annäherungen an den Rennsport. Dem Verlangen nach Spekta­kel steht das Entsetzen darüber entgegen, wenn es tatsächlich zu einem womög­lich tödlichen Unfall kommt; dem Trost, der in der ständigen Wiederholung des ewig Gleichen liegt, die Langeweile darüber. Dabei ist der Autorennsportfilm als Genrefilm in seiner Grundstruktur erst mal von der Dualität bestimmt, von einem Helden, der sich einen Namen machen will, es auch schafft, ins Ram­penlicht zu treten, dann aber einen Rückschlag hinnehmen, ein Opfer bringen muss, ehe er - als Lohn dafür - ein meist glanzvolles Comeback schafft. Wäh­rend in den frühen Filmen die Rennstrecke bloss als Hintergrund für klassische Dramen dient, für einen Kampf zwischen Held und (unsympathischem) Antipoden - das kann auch wie in The Crowd Roars (Howard Hawks, USA 1932) und Hell on Wheels der Bruder oder wie in The Big Wheels (Edward Ludwig, USA 1949) der Vater sein, an dessen Vorbild sich einer abarbeitet -, wurde ab den Fünfzigerjahren häufiger das Rennen selbst zum eigentlichen Drama.

Neben dem Aufkommen der Popkultur haben auch die neuen technischen Innovationen (Stereo-Sound, Cinerama, Widescreen, Cinemascope) das ihre beigetragen, dass der Höhepunkt des Genres in den späten Fünfziger- und den Sechzigerjahren anzusiedeln ist. Der ohnehin schon hohe Schau- und Hörwert - insofern gegeben, als die abgebildeten Objekte (sprich: Autos) zwar nicht wirklich anwesend sind, deren Bewegungen aber unabhängig von diesem Ab­bildungsverhältnis wirklich auf der Leinwand erscheinen - wurde so erheblich erhöht. Um eine Rezension des Schweizer Film Magazins über The Racers zu zitieren, das erste grosse Autorenn-Cinemascope-Spektakel in der Geschichte: «The Racers ist nicht der erste Autorennfahrer-Film, den wir sehen. Doch ist es der erste Film, der uns beweist, wie limitiert in technischer Hinsicht alle bis­herigen Werke dieser Art waren. Für solche Filme war die Normalleinwand tatsächlich zu wenig breit. Die Kamera war nur in der Lage, einen kleinen Aus­schnitt aus der Zielgeraden zu zeigen, so dass die Wagen jeweils husch-husch an unseren Augen vorbeisausten. Jetzt erleben wir ein Autorennen in seiner ganzen Breite und Ausdehnung mit und können die Technik und die Fähigkei­ten der Grossen dieses Sports in allen Details studieren. Tatsächlich übertrifft ein Besuch im Kino ... sogar den persönlichen Besuch eines Autorennens, denn als Zuschauer im Kino sind wir nicht mehr platzgebunden und verfolgen das Rennen aus nächster Nähe aus allen Phasen, zeitweilig sogar vom Helikopter aus. Die Breitleinwand gestattete dem Kameramann Joe MacDonald nicht nur, einen knappen Ausschnitt aus der Rennstrecke zu zeigen, sondern z. B. eine ganze Kurve mit Einlauf und darauffolgender Geraden, was genauestes Stu­dium der Technik berühmter Rennfahrer (darunter Villoresi, Prinz Bira, Farina, Chiron, Ascari und de Graffenried) gestattet. Der Film ist in dieser Hinsicht spannender als jeder Kriminalfilm und echter wirkend als jede Wochenschau.»11

Wenn in dieser Filmrezension von 1955 auch in der Folge fast nur von den Rennen die Rede ist und davon, dass The Racers «den wahren und unzweifel­haften Wert des Cinemascope-Verfahrens schlagend beweist»12, illustriert der Text bloss die typische Frwartungshaltung an den Rennsportfilm: In erster Linie will man durch tolle Rennaufnahmen unterhalten werden und so ein adäquates, möglichst «echtes» und «wahres» Bild des Sports vermittelt bekom­men. Die Rahmenhandlung scheint vergleichsweise egal. Während es vor die­sem Hintergrund und auch angesichts praktischer Überlegungen nur logisch scheint, dass in der grossen Mehrzahl tatsächlich die «echten» Champions der jeweiligen Periode für die Rennaufnahmen in die Wagen gestiegen sind13, so kündigt sich hier ein potenzielles strukturelles Problem an, ähnlich demjenigen des klassischen Hollywood-Musicals, wo der Erzählfluss laufend von den Gesangs- und Tanznummern behindert zu werden droht und so mitunter die filmische Illusion aufgelöst wird. Auch der Rennsportfilm kennt eine Art Dichotomie zwischen Narration und Nummer, jedenfalls erfüllt die Rennbahn im Autorennsportfilm eine ähnliche Funktion wie die Bühne im Backstage-Musical – sie ist ein Zufluchtsort, ein Ort der Show, die leicht zum Film im Film wird, wobei die Inszenierung prototypisch und austauschbar ist.

Während die Narration weitgehend durch repräsentative Elemente wie Plot-Situationen, Charaktertypen, Star-Bilder usw. funktioniert, Elemente, mit denen sich die Zuschauer identifizieren (können), gilt im Fall der Nummern, der Rennen, die Aufmerksamkeit verstärkt nichtrepräsentativen ikonischen Zeichen wie Farben, Gesten und Bewegungen, Rhythmus, Musik und Kamera­arbeit. Es ist also das sensuelle, sinnliche Element, das hier massgeblich auf die Zuschauer einwirkt. Wie kaum einer sonst hat John Frankenheimer mit viel Ge­schick für visuelle Rhythmisierung in Grand Prix damit gespielt. Gedreht auf Super-Panavision 70 (wie Kubricks 2001), später auf Cinemascope und Cine­rama kopiert, hat er nicht nur das Widescreen-Format innovativ ausgenutzt - wobei der Effekt, dass die Figuren und Objekte in der Mitte des Bildes normal, an den Rändern aber etwas verzogen aussehen, für die Rennaufnahmen gewünscht war -, sondern auch stark mit Farben und Formen gearbeitet. So sind die Farben der lauten Renn-Action im Vergleich mit der Rahmenhandlung ten­denziell knalliger, während in den stummen oder mit (orchestrierter) Musik unterlegten, verlangsamten und bisweilen fast ballettartig komponierten Renn- Sequenzen sanft-weiche Töne dominieren. Der exzessive Gebrauch der Split-screen-Bilder ermöglicht nicht nur das gleichzeitige Zeigen unterschiedlicher Schauplätze, ist nicht nur eine ökonomische Form, um verschiedene Charak­tere und Handlungsstränge miteinander zu verbinden, betont wird so auch nachhaltig das Serielle, die Wiederkehr des Gleichen. Und dies wirkt immer dann stark ornamental und auf die Sinne ein, wenn Detailaufnahmen, zum Bei­spiel von durchdrehenden Rädern oder rauchenden Auspuffrohren beim Start, x-fach multipliziert neben- und übereinandergestellt werden, begleitet von einem Anschwellen und Dröhnen der Maschinen. Auf eine Überwältigung der Wahrnehmung zielen auch die schnellen Schnitte: die rasende Subjektive, der Blick aus der Fahrerzelle, die möglichst rasch gegen Aussenaufnahmen von rotierenden Reifen und vorbeiflitzenden Wagen geschnitten wird; der bisweilen stakkatoartige Wechsel von Close-ups auf die Fahrer und Zooms in die Wagen hinhein und Helikopteraufnahmen von oben, von wo die Wagen ausschauen, als wären sie Spielzeugautos. Ein Vibrieren des Bildes zeigt die Potenz des Motors an, und immer wieder sieht man auch Aufnahmen, wo die Aktion ver­zögert scheint: Zeitlupen von dahinrasenden Wagen - in Tat und Wahrheit waren es die langen Brennweiten, die in Grand Prix zu diesem Slow-Motion- Effekt geführt haben -, die durch Jumpcuts und beschleunigte Schnitte Kurven und Geraden zu durchfliegen scheinen. Die Bilder versuchen den Eindruck zu vermitteln, als liessen sich die Bewegungen von der Kamera kaum festhalten. Die Schaulust verbindet sich hier mit unmittelbarer, sinnlich-affektiver Er­regung, zu deren Simulation zusätzlich die gesteigerten ästhetischen Mittel bei­tragen: grosse Cinemascope-Leinwand, lauter Stereo-Ton.14

Auf die Sprengung des Wahrnehmungsvermögens der Zuschauer zielen auch die Explosionsbilder in den Rennsportfilmen15 - zurückgegriffen wird auf die Tradition des frühen Kinos der Attraktionen -, die kontrastierend in eine Bildfolge platzen und diese abrupt unterbrechen. Gerne wird die Explosion nicht zeitlich linear aus einer Perspektive gezeigt, sondern in blitzartig wech­selnde Einstellungen zerstückelt. Dadurch wird die Explosion zeitlich gedehnt, was die vielen gleichzeitigen Ereignisse überhaupt erst annähernd sichtbar macht, aber im rasenden Stillstand der Perspektivwechsel erscheint die Explo­sion trotzdem als aus der Zeit herausgebrochenes Augenblicksereignis. Ein ein­ziger, langer Moment, unterlegt von der Kontinuität der durchgängig dröhnen­den Tonspur. Die gerade in den jüngeren Filmen wie Driven (Renny Elarlin, USA 2001) gerne verwandte (computeranimierte) Verlangsamung der sicht­baren Bewegungen intensiviert den Eindruck des traumatischen, ohnmächtigen Gebanntseins. Erwünscht ist hier auch die Wiederholung - es gibt immer mehr als einen spektakulären Unfall pro Film -, weil für den Zuschauer so stets eine neue Möglichkeit besteht, eine besondere (körperliche) Erfahrung zu machen.

Und um hier nochmals den Vergleich zur Musical-Struktur aufzugreifen: Gerade bei den Unfällen wird die Beschränktheit der Parallele offenbar. Denn die Nummer wird spätestens dann sehr konkret und wesentlich Teil der Nar­ration, wenn ein Fahrer zu Tode kommt. In einer Musical-Nummer stirbt nie­mand. Überhaupt formuliert der Rennsportfilm - wenngleich das eingangs zitierte Le Mans-Zitat («Rennen heisst Leben, der Rest ist Warten») in diese Richtung zielt - keine Utopie, wo jedes Problem der «realen» Welt in der künst­lichen oder imaginierten in sein Gegenteil verkehrt ist.16 Das bessere Leben, welches der Fahrer ehrgeizig anstrebt, ist vielmehr kaum zu unterscheiden von dem, das er schon immer führte. Wenn einer in Red Line 7000 sagt, da, wo er herkomme, habe es nur zwei Zerstreuungen gegeben, Autos und Mädchen, dann sind nun einzig die Autos ein wenig schneller und langlebiger und die Mädchen ein wenig hübscher und kurzlebiger. Das Versprechen auf Spektakel und Ruhm, die Verklärung des Fliehens, das «Live fast, die young» mit dem Bild des lässigen, selbstbestimmten Stürmer und Drängers in kühler Pose und mit heissem Herzen, die Zigarette locker im Mundwinkel - das ist zwar attrak­tiv, darf aber selbst in der Entertainment-Maschine Hollywood nicht unein­geschränkt genossen werden. Zu präsent ist der Tod, und zu sehr stehen Men­schen im Mittelpunkt, denen der Wert der Gemeinschaft egal scheint.

Wenn der Sport, wie Gunter Gebauer und Gerd Hortleder schreiben, «die Kälte des Geldverdienens mit den Leidenschaften des Körpers [vereinigt], die Techniken der Bewegung mit den Emotionen des Kampfes, das Artifizielle der Sportarten mit der primitiven Lust des Stärkerseins, die Brutalität des Agons mit physischer Kunstfertigkeit, Anpassung an die Macht mit subversiven Nebenwirkungen, Erotisches mit Todesnähe»17, so werden verschiedene, von der Gesellschaft normalerweise scharf getrennte Erfahrungsebenen gleichzeitig angesprochen. Gefühle, denen ansonsten wenig Raum gelassen wird, dürfen ausgelebt werden, doch letztlich nur unter der Bedingung, dass sie zur rechten Zeit wieder gezügelt werden können. Deshalb wird dem jungen Wilden immer mindestens ein erfahrener Champ zur Seite gestellt, der auf die Euphoriebremse tritt. Deshalb finden in den Rennsportfilmen am Ende die Fahrer immer mal wieder zur Scholle. Durch die Vermischung typisch maskulin konnotierter Attribute (Freiheit, Energie, Unverantwortlichkeit) mit feminin konnotierten (Sicherheit, Stabilität, Verantwortungsgefühl) werden nicht nur gegensätzliche Lebensstile vereint, sondern Widersprüche, die sich in der Praxis nicht lösen lassen, harmonisiert. Das «Cool», diese nichtbürgerliche Form von Würde, wird verbürgerlicht. Denn «Cool» ist letztlich doch eine Krankheit, in Holly­wood jedoch mit guten Heilungschancen.

Dabei ist «Cool» für den Autorennsport nicht bloss lässige Pose, nicht bloss mitunter zynisches, eigensinniges Spiel um Freiheit und Identität, bei dem ein Akt wie das Abnehmen der Sonnenbrille - auch im Rennfahrerfilm sehr beliebt - zur erotischen Handlung avanciert, sondern durchaus eine Notwendigkeit. «<Cool> sein heisst, nicht verführt werden können, wenn man es nicht will. Es heisst, nicht verletzt werden können, wenn man es nicht will. Es heisst, Kontrolle als Schutz und Schutz, als Kontrolle zu verstehen.»18 Insofern handelt es sich bei «Cool» um eine emotionale Überlebensstrategie, die zwar mit dem Schein des noli me tangere flirtet, als Strategie jedoch das Gegenteil bezweckt: vor falschen Versprechungen schützen, echte Gefühle bewahren. «Cool» ist ein seelisches Anästhetikum, das gleichzeitig die Sinne schärft und bei Bewusstsein hält. Wobei die besondere Qualität des übergestülpten Panzers in der Unerschrockenheit liegt, die er in Auseinandersetzungen verleiht. Der emotionale Schutzanzug ermöglicht eine Kühlheit der Gesten und des Han­delns, indem er eiskalte Wirklichkeiten aussperrt, zum Beispiel den drohenden Tod19. Wie Yves Montand als Jean-Pierre Sarti in Grand Prix sagt: «Würde einer von uns sich deutlich vorstellen, ich meine, richtig klar machen, was es bedeutet, mit 240 Stundenkilometern in einen Baum zu fahren, er würde be­stimmt nie mehr in seinem Leben in ein Auto steigen. Keiner von uns. Das hat mich zur Überzeugung gebracht, dass der Mut, etwas wirklich Gefährliches zu tun, einen gewissen Mangel an Fantasie erfordert.» Der Tod als Grenze, die nicht überschritten werden darf, zu deren Verletzung die Athleten aber ständig gereizt werden - Verbot und Stimulierung zur Übertretung des Verbots -, garantiert die Echtheit der Leidenschaften. «Die Idee, dass ein ungeheurer Genuss von Sinnlichkeit zum Tode führen kann, wird grundsätzlich ... akzeptiert, aber nur in der Form, dass die Opfer selektiv von einigen wenigen erbracht werden, die der Zufall trifft. Die Überlebenden gehen aus den rausch­haften Exzessen eher noch gestärkt hervor.»20 Wer den Tod aber zu nahe an sich heranlässt, so wie Bobby Deerfield im gleichnamigen Film, dem droht die Sinnkrise. In keinem anderen Rennsportstreifen sieht man den Helden so wenig hinter dem Steuer sitzen.

Dasselbe zu lieben wie zu hassen: Die Rennfahrer tun, was ihnen Spass macht, und dennoch sind sie Gesetzen und Ritualen unterworfen; in gleichförmig stetem Nacheinander absolvieren sich Runde für Runde, wobei die Zeit in immer gleichen Abständen unerbittlich fortschreitet. Da es im Rennsport wie im Genrefilm um gegebene Abläufe und das Spannungsverhältnis von Wiederholung und Variation geht, liegt die Faszination auch darin, Rituale zu vermitteln. Wobei das Ritual immer ein Versuch ist, Wahrnehmungen miteinander zu synchronisieren und so auch einen Konsens zu schaffen, der gleichzeitig als Beglückung und als Rausch empfunden wird. Ein schlichtes, aber schönes Bild hierfür leitet The Racers ein: Wir sehen die Nahaufnahme einer Zielflagge, auf­genommen von schräg unten gegen den Himmel; scheinbar unaufhörliches Winken, dieselbe mechanische Bewegung über und über. Ein anderes Zeichen, das im Rennsportfilm kaum je fehlt und immer wieder von neuem irritiert, ist die Marschmusik. Eher uncool.21 Ebenso Flaggen, Sponsorenzeichen. Doch so wie die Einstellungsgrösse des «Cool» das Close-up ist und die Versuche zahlreich sind, Bilder zu finden, welche die Psyche der Fahrer offenlegen und den auf ihnen lastenden Druck visualisieren - besonders beliebt ist die Überblendung einer totalen Rennaufnahme über die Frontalaufnahme des Fahrers hinter der Windschutzscheibe; ein Bild gegenläufiger Bewegungen -, so stark ist das Bestreben um Authentizität bezüglich der Struktur der Rennen. Immer wieder wollen die Filme dokumentarisch und live wirken. So hat beispielsweise John Frankenheimer, selber in den Fünfzigerjahren beim Fernsehen gross geworden, für die Exposition der Fahrer zu Beginn von Grand Prix eine Praxis der Baseball-Übertragungen adaptiert: Während wir die Fahrer unterwegs im Rennen sehen, hören wir sie auf der Tonspur in einem Interview über die Schwierigkeiten der Strecke reden, ihre Präferenzen, ihre Gefühle etc. Der Motorenlärm ist dabei fast ausgeblendet, nur um später mit grösster Wucht zurückzukehren.22 Quasi gegenteilig ist Steve McQueen in Le Mans vorgegangen: Kein Wort spricht er während der ersten 30 Minuten, sein Charakter ist auf der Architek­tur, der Umgebung, dem Applaus von den Tribünen aufgebaut. Den Rest erklärt der Speaker. Letztlich ist hier das Visuelle raison d’être. Eindrücklich dabei die Sequenzen am Start: Der Herzschlag des Fahrers wird lauter und lauter, immer schneller wechseln die Bilder, Angst und Konzentration spiegeln sich in den Gesichtern. Die auf 16 Uhr springende Startuhr. Der Drehzahlmesser des Porsche schiesst in die Höhe. Schliesslich entlädt sich alles in einer infernalischen Explosion. Später wird ein auf sensuelle Erfahrung zielendes Bild auch Symbol werden: Dann nämlich, als ein Gegenstand die Frontscheibe während voller Fahrt zum Bersten bringt und wir wie McQueen plötzlich in ein perfekt aufgespanntes Spinnennetz blicken.

Nah am Helden dran sein, während stets etwas Undurchdringliches in seinem Blick bleibt. Indem die Kamera ihren fürs klassische Hollywood-Kino typischen, zentral-perspektivischen und allwissenden Blick immer wieder aufgibt, um die Perspektive der Fahrer einzunehmen, wird das erotische Verhältnis zwischen Zuschauer und Held zusätzlich verstärkt. Ein potenziell gefährliches Unterfangen, beherrschen doch die Zuschauer die abgebildeten Objekte nicht mehr. Dessen scheinen sich die Filmer jedoch bewusst. Jedenfalls hat man bei fast allen Autorennsportfilmen das Gefühl, sie würden sich selbst zügeln.

Während viele der Filme ihr Potenzial an eine simple Story verschwenden - ganz gemäss dem Satz, den ein Rennstallbesitzer in The Racers zu hören kriegt: «Mit all ihrem Wissen über Autos, so haben sie doch keine Ahnung von der Formel für Menschen» -, so hat der ehemalige Rennfahrer und Rennauto­bauer Howard Hawks in Red Line 700023 wie kein anderer den inneren Me­chanismus des Rennsports filmisch erfahrbar gemacht. Der Speaker, der in den meisten Rennsportfilmen eine zentrale Position als erklärende Instanz ein­nimmt und damit den dokumentarischen Gestus zusätzlich unterstützt, ist in Hawks’ Film besonders konsequent und kalkuliert eingesetzt. Bei jedem Rennen ist der Platzsprecher da, im unveränderten Dekor einer Glaskabine, unaufhörlich und mit einer fast schon unpersönlichen Stimme die repetitiven Runden kommentierend. Der Eindruck der Monotonie wird verstärkt durch das per­manente Wiederholen der Pilotennamen, der Wagennummern. Hawks macht sich ein Vergnügen daraus, den Speaker in seiner Kabine ständig im gleichen Aufnahmewinkel und in derselben Einstellungsgrösse zu zeigen. Immer ist er gleich kadriert, bei jedem neuen Rennen, in jeder neuen Stadt. Ähnliches macht er auch mit der Piste. Es könnte im Grunde die immer selbe Strecke sein, auf der die immer selben Fahrer in ihren immer selben Wagen ihre Runden drehen, vor dem immer gleichen Publikum, kommentiert vom immer gleichen Speaker. Und wenn sich die Fahrer und Frauen abends im Holiday Inn treffen, so ist das Betreten der Bar stets aus derselben Ecke aufgenommen, in derselben Einstel­lungsgrösse: Nur die Spielsteine ändern, nicht das Spiel. Der Film ist um die Wiederholungen herum gruppiert, aus ihnen bezieht er seinen Sinn. Die vermeintliche Schwäche gereicht dem Film erst zur Stärke.

Den Rennfahrern kommt es nie darauf an, sich als heroische Individuen zu beweisen, sondern ausschliesslich darauf, eine einmal gestartete Maschine in Bewegung zu halten; «keep moving». Letztlich sind sie Teile der Maschine, Konstrukteure und Konstrukte zugleich. Sie sind auswechselbar. Wenn es der eine nicht schafft, springt der Nächste ein. Und die Geschichte von Red Line 7000 endet, wie sie begonnen hat, mit einem Crash. Dazwischen sehen wir den Wechsel zwischen zwei Kraftfeldern. Auf der einen Seite die Piste mit dem phy­sischen (Zwei-)Kampf, mit Gewalt und Tod, auf der anderen das Motel, wo die Liebe wächst und stirbt. Wobei das Hin und Her zwischen den beiden Orten im Verlauf des Films in den Abständen immer kürzer wird und die geschilderten Rennsituationen sich zuspitzen. Zwischen diesen zwei Kraftfeldern bewegen sich drei Männer - ein vierter als möglicher Hauptcharakter angelegter Fahrer verunglückt gleich zu Beginn tödlich - und drei Frauen. Und der ganze Film besteht aus der rhythmischen Aufzählung der möglichen Konstellationen, die sich aus diesen Figuren ergeben. Ned ersetzt Jim im Team, Julie ersetzt die Familie bei Ned. Ned ersetzt die Clique bei Julie. Mike ersetzt Dan bei Gaby. Dan ersetzt Jim bei Holly. Ned ersetzt Mike. Dan ersetzt Jim. Die Bar ersetzt die Piste. Mike ersetzt Dan. Holly ersetzt Gaby. Die Piste ersetzt die Piste. Der Zylinderkopf ersetzt den Zylinderkopf (Zylinderkopf heisst auch ein Mix­getränk aus Gin und Orangensaft). Die Zirkulation der Autos auf dem Ring entspricht der Zirkulation der Waren auf dem Markt, entspricht der Zirkulation der Frauen im Motel. Eine libidinöse Regung von Zwangscharakteren, von der Neigung beherrscht, sich zu wiederholen, Verrichtungen zu rhythmisieren. Der vorantreibenden Handlung steht die Periodizität der Rennen entgegen: das Einmalige dem regelmässig Wiederkehrenden, die Nacht dem Tag, die Ero­tik der Mechanik, die Bewegung der Geschwindigkeit, das Menschliche der Technik, die Linie dem Kreis. Repetition und Variation, konstante Um- und Neugruppierung. Auch beim Speaker ändert jeweils doch ein kleines, entschei­dendes Detail: die Farbe seines Hemdes. Unterstützt wird so die abstrakte Idee, dass der Rundkurs (oder das Leben) ein ewiger Wiederbeginn, ein ewiger Erneuerungsprozess ist. Hawks zeigt dies, indem er das Leben unter dem Gesichtspunkt des Spiels betrachtet, die Menschen unter dem Aspekt der Mechanik, die Leidenschaften unter jenem der Kompetition. Das Konkreteste verweist auf das Abstrakteste, das kleinste Zeichen ist vom grössten Sinn berührt: Das Hemd wird Symbol.

Zum Spiel mit den Konventionen passt, dass der scheinbare Held des Films, den die Kamera zu Beginn am intensivsten beobachtet, schon im ersten Rennen stirbt und der Film also beginnt wie das Ende eines Films - allerdings bloss, um schliesslich zu enden wie die Mitte eines anderen Films: das Auto ge­fangen, fixiert, eingefroren im Flug über den Pistenrand hinaus, während die Fahrerfrauen auf der Tribüne im Chor neue Städte und Rundkurse aufzählen, die da kommen werden. Was in Red Line 7000 die Autorennen sind, ist in Charlie Chaplins Modern Times das Fliessband, an dem er steht; was in Red Line 7000 die Liebesgeschichten sind, sind in Modern Times die Momente, in denen Charlie nachts im Bett liegt und weiter dreht und schraubt. Es hört nie auf. Wenn es der eine Fahrer nicht schafft, steht schon der nächste bereit.

Zitiert in Peter Fuller, Die Champions. Psychoanalyse des Spitzensportlers, Frankfurt am Main 1987, S. 291.

So lautet auch der Titel eines Buches zum Thema aus soziologischer, sportwissenschaftlicher Sicht. Gerd Hortleder / Gunter Gebauer, Sport - Eros - Tod, Frankfurt am Main 1986.

Zum Begriff «Cool», beleuchtet aus phi­losophisch-kulturtheoretischer Warte, siehe: Ulf Poschardt, Cool, Reinbek bei Hamburg 2002 (Erstausgabe: Frankfurt am Main 2000).

Ulf Poschardt, Über Sportwagen, Berlin 2002, S. 130.

«Nobody drives me», heisst es im Origi­nal. Was auch meint: «Niemand zwingt mich zu etwas.»

Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die amerikanische Stock-Car-Meisterschaft (Nascar), die europäisch geprägte Formel 1 oder deren US-Pendant, die Cart-Serie, han­delt. Oder ob der Autorennsport der eigent­lichen Handlung bloss als attraktive Hinter­grundfolie dient (Un homme et une femme; The Killers).

Stirling Moss gehörte zu seiner Zeit - wenngleich er nie Weltmeister wurde - zu den erfolgreichsten Formel-1-Fahrern. Insgesamt gewann er 16 GP-Rennen, daneben 1955 für Mercedes das Tourenwagenrennen Mille Mi­glia. Nach einem schweren Unfall beendete der Engländer 1962 seine Karriere.

In Steve McQueens / Michael Delaneys Worten: «Viele Leute gehen durch ihr Leben, ohne etwas wirklich richtig zu tun. Rennen zu fahren ist wichtig für Männer, die gut darin sind.» Zitat aus Le Mans.

Film Magazin 34 (1955), S. 12.

Dazu eine Metapher aus Winning (James Goldstone, USA 1969): «Wo andere Augen haben, hat er einen Tachometer», sagt hier jemand über Paul Newman alias Frank Capua, den es abends von einer gemütlichen Runde (trotz weiblicher Begleitung) zurück in die Garage und auf die Rennstrecke treibt.

Film Magazin 34 (1955), S. 12.

Ebd. Der Autor schreibt sogar, dass The Racers der erste Film sei, «bei dem uns das Cinemascope-Verfahren vollauf befriedigt».

Zu den tatsächlichen Rennfahrern gehörte in Grand Prix und Le Mans auch der Schweizer Jo Siffert. Für den Dreh zu Le Mans hat der nebenbei als Autohändler tätige Freiburger zu­dem sämtlicheWagen organisiert. - Schauspie­ler, die selber schon Rennen gefahren sind, wie James Garner (Grand Prix), Paul Newman (Winning) oder Steve McQueen (Le Mans), erledigten den Job, Ehrensache, in Eigenregie, und sogar einer wie Yves Montand, der Auto­rennen im Grunde verabscheute, hat sich für den Dreh von Grand Prix im Fahren unter­weisen lassen.

Vgl. auch Dilys Powells Le Mans-Rezen­sion in den London Sunday Times: «You can’t hear the words for the noise, you can’t follow the action for the speed. But you can sit back and feel distinctly stirred.» Zitiert in Casey St. Charnez, The Films of Steve McQueen, Secau­cus NJ 1984, S. 163. - Als eine Art Kontrast liegt bei Grand Prix jedoch immer wieder auch eine Atmosphäre der Entfremdung über den Bildern, die die Figuren zusammenzwängen und zugleich in eine spannnungsvollc Distanz setzen, als wollten sie den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft pointieren.

Zum Thema Explosion im Film siehe auch: Jeannine Schwemer, «Kino der Explosionen», in: Kunstforum 153 (Januar - März 2001), S. 174-181.

Ein Fall für sich sind die drei Rennfahrer-Filme mit Elvis - neben Speedway (Norman Taurog, USA 1968) Viva Las Vegas (George Sidney, USA 1963) und Spinout (Norman Taurog, USA 1966) -, die in ihrem flotten Nebeneinander von «richtigen» Tanz- und Gesangsnummern und Rennaufnahmen plus einer oder mehrerer Liebesgeschichten primär und hauptsächlich als Entertainment-fixierte Star- Vehikel funktionieren.

Hortleder/Gebauer (wie Anm. 2), S. 9.

Poschardt (wie Anm. 3), S. 11.

Wobei gerade die Todesnähe stark zum Pathos des «Cool» gehört.

Hortleder/Gebauer (wie Anm. 2), S. 273.

Dazu der Psychoanalytiker: «Oberflächlich betrachtet, ist der Motorrennsport eine <rebellische>, individualistische Betätigung, und sofern wir nicht eine Über-Ichbeziehung der beschriebenen Art annehmen, fällt es schwer, diese Tatsache mit den ausserordentlich reak­tionären Ansichten und der offensichtlichen Unterwerfung unter die meisten Formen äus­serer Autorität in Einklang zu bringen, die man bei der Mehrheit der Rennfahrer beobachten kann. [...] Die Fahrer bekannten sich im allge­meinen zu einem Hass auf Hippies, die Rolling Stones und die Friedensbewegung in Amerika und zur Bewunderung für die Polizei, die Ma­rineinfanterie, Diktatoren, die Armee und das Regime in Südafrika. [...] Mit ihrer Verurtei­lung der Rebellen in der äusseren Welt verurteilen sie zum Teil auch den <Rebellen» in sich selbst.» Peter Fuller, Die Champions. Psycho­analyse des Spitzensportlers, Frankfurt am Main 1987, S. 303 und 305. - Das Gegenstück zur Marschmusik und in Rennsportfilmen ebenfalls gerne verwendet ist die Beatmusik als Zeichen von Pop und «Cool» («Tonight’s the boogie night» heisst ein Song an einer After- Race-Party in Grand Prix).

Zur Authentifizierungsstrategie von Grand Prix gehören auch die Aufnahmen aus «richtigen» Rennen sowie die Tatsache, dass die zentralen Protagonisten reale Vorbilder haben: Der Charakter von James Garner basiert auf dem amerikanischen Formel-1-Fahrer Phil Hill. Die Figur des Engländers verweist auf Stirling Moss, bei jener des Franzosen handelt es sich um einen Mix aus den Formel-1-Cracks Juan Manuel Fangio, Wolfgang von Tripps und Jean Behra. Eva Maria Saints Charakter wie­derum basiert auf Louise King, die mit dem Ferrarifahrer Peter Collins verheiratet war und nach dessen Tod mit Peters bestem Fahrer- Freund, Mike Hawthorn, zusammenkam. Auf Tatsachen stützt sich auch der Unfall zu Beginn des Films, als ein Wagen ins Hafenbecken von Monte Carlo stürzt: Dies ist Alberto Ascari während des Grand Prix 1955 widerfahren. Vgl. Gerald Pratley, The Films of Frankenheimer, Bethlehem / London 1998, S. 64. - Die Charak- ter-Typologisicrungen folgen gleichzeitig ty­pisch national-konservativen Gemeinplätzen: Da ist der lebenslustige und sorglose Italiener, der existenzialphilosophische Franzose, der etwas komplizierte, gehemmte Engländer und der gradlinige, pragmatische Amerikaner, der - um zu gewinnen - gar bereit ist, für das Team eines erfolgbesessenen Japaners (verkörpert vom Kurosawa-Samurai Toshiro Mifune) zu fahren.

Gemeint ist die rote Linie auf den Dreh­zahlmessern der Rennautos. Sie ist die Grenzlinie, die über Erfolg oder Nicht-Erfolg entscheidet. Es ist die Linie, die Gefahr bedeutet: Die Grenze zu überschreiten, heisst die Schwelle vom Leben zum Tod überschreiten. Wer nicht die rote Linie hält, der hat schon verloren: in jedem Fall das Rennen, im ungüns­tigsten das Leben.

Reto Baumann
geb. 1970, befindet sich auf der Zielgeraden seiner filmwissenschaftlichen Liz-Arbeit an der Universität Zürich und ist daneben als Sport - und Filmredaktor bei der WochenZeitung tätig. Zudem arbeitet er als Ko-Autor an einem Dokumentarfilm über Jo Siffert. Lebt in Zürich.
(Stand: 2018)
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