«Ich erzähle Ihnen jetzt meine Geschichte, wie ich hierher kam.» So beginnen in diesem Kurzfilm die synchronen Schilderungen eines Mannes und einer Frau aus dem Jenseits, in denen sie ihre Erinnerungen an den letzten Tag ihres Lebens wiedergeben: Zufällig kamen sie beim gemeinsamen Sturz aus einem Sessellift just an jener Stelle, wo jetzt zwei seltene Alpenblumen blühen, auf einer saftgrünen Wiese zu Tode. Die Zuschauer werden Zeugen eines Wunders. Denn eigentlich handelt es sich bei den Aufnahmen um die Blumenaufzeichnungen eines Hobbybotanikers, aus denen plötzlich und unerwartet zwei engelhafte Wesen generiert werden, die vor dem kitschig sternenfunkelnden Hintergrund an Putten erinnern. Abgeklärt und doch sichtlich erstaunt über die Zufälle des Lebens und mit schalkhafter Ironie vertrauen die beiden den Zuschauern den Lauf der Ereignisse, ihr Aufeinandertreffen und das so unerwartete Ende an.
Er, des Lebens müde, wollte in der Abgeschiedenheit der Bergwelt Hand an sich legen. Sie, des Alltags überdrüssig, wollte in Australien ein neues, glückliches Leben beginnen und zuvor noch einmal den Ort ihrer Vorfahren bereisen. Dass sie sich begegneten, war nicht geplant und liess die Ereignisse überstürzen: Im Taumel einer blitzartigen Verliebtheit ereilte sie das Schicksal.
Das Besondere des Kurzfilms liegt im formalen Spiel: Tania Stöcklin und Anka Schmid, die beide auf langjähriges - auch gemeinsames - Filmschaffen zurückblicken können, experimentieren in Das Engadiner Wunder mit den Möglichkeiten des Split-Screen-Verfahrens und erproben die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer: Die Leinwand ist durchgängig in zwei Hälften unterteilt; links ist er, rechts sie vor künstlichem Himmel zu sehen. Oft überlagern sich ihre Worte. Wer den Diskurs zu dominieren vermag, hängt von der Aufmerksamkeit der Zuschauer ab. Handelt es sich um identische Sätze, tritt die Variationsfähigkeit der Protagonisten - feinfühlig gespielt durch Ingrid Sattes und Alexander Seibt - in den Vordergrund. Dann wieder wechseln sich ihre Ausführungen ab, um zu einem kontinuierlichen Erzählstrom zu werden - doch nur, um sich im nächsten Moment gleich wieder zu überlagern. So entsteht auf der Sprachebene eine sublime Spannung. Das Spiel der Konfrontationen wird auf der Bildebene weitergeführt: Worte werden zu Bildern; die Trennlinie dazwischen wird durchlässig. Sie taucht in seiner, er in ihrer Bildhälfte auf. Die Kamera schwebt traumwandlerisch durch die Alpenwelt. Durch Montage und Special Effects wie rotierende Bilder oder Slowmotion, bunt und schrill, wurde hier dank der Möglichkeiten der Videotechnik eine vergnügliche Romanze inszeniert.