Riesige Finger tasten über ein milchig schimmerndes Glas. Wasser perlt in sein Inneres. Ein gedankenverlorenes Gesicht - die Zeit verharrt in Slowmotion. Das Glas dreht sich unter den Fingerspitzen, macht sich selbstständig und zerbricht. Es folgt ein harter Schnitt zur Nahaufnahme, die den Blick auf eine Runde älterer Damen am Restauranttisch freigibt und uns aus der Out-of-Space-Musik mitten in die geräuschvolle Aufruhr über das Missgeschick katapultiert.
So beginnt Michael Schaerers halbstündiges Eintauchen in die Mikrokosmen eines kleinen, einfachen amerikanischen Lokals. Ein Biotop, in dem sich in verschiedenen Konstellationen ein Spektrum an Befindlichkeiten ausfächert: der Tisch mit den Seniorinnen etwa, wo zerfurchte Hände nach Pillendöschen greifen und über die Fähigkeit zur «emotional Stimulation» der Epidermis referiert wird. Oder das junge Paar in Krise - sie mit Kinderwunsch, er in Gefühlsnot. Oder der Koch, der selbstvergessen in seinem kleinen Reich waltet und die schummrigc Ästhetik der trivialen Dinge feiert: den aufflammenden blauen Kranz des Gasherds oder die Fettbläschen in der heissen Bratpfanne.
Schaerer flicht ein komplexes Beziehungsgewebe, dessen wie beiläufige Inszenierung authentische Qualität erreicht. Die emotionale Dichte, die er mit den paar aufgeschnappten Gesprächsfragmenten und dank hervorragender Darstellerinnen erzielt, ist erstaunlich, die Bildsprache, die er dazu verwendet, verblüffend: Die Kamera tollt sich von Tisch zu Tisch, wird herumgerissen, verkantet, für kurz in die Vogelperspektive gehievt und heftet sich immer wieder auf Details: mitunter grotesk-makabere, wenn Gesichtshaut wie trockener Lehm abbröckelt, wenn Finger schneckenähnlich durchs Salatblatt kriechen oder der Pouletschenkel sorgsam aus der Flaut gepellt wird. Schaerer nutzt extreme Grossaufnahmen, wie aus dem Werbefilm bekannt, und entledigt sie gleichzeitig der Hochglanzoberfläche: Dafür verweilt er mitunter so lange auf dem Objekt, bis es seine eigene Ästhetik preisgibt. Den innovativen Bildkompositionen steht die Montage in nichts nach: Sie feiert alle Tempi vom rasanten Schnitt über sachtes Gleiten bis zum Verweilen. Und auch die Tonspur zeigt sich experimentell: Dialoge hören wir asynchron, manchmal fällt der Ton ganz aus, oder die Stimmen legen sich kanonartig übereinander.
Doch das ist noch nicht alles: Die Geschichte hat nämlich auch noch ein - nicht minder überraschendes - Ende: Eines der Paare nämlich, eben noch im schwierigen Austausch über Gefühle und Verletzlichkeiten, lässt Blicke hin- und hergehen, es folgen tastende Hände und schliesslich die hastige Flucht in Richtung Küche, wo sie sich befühlen, zum Bauch vortasten, behutsam die Haut öffnen, mit der Hand eindringen und schliesslich kopfvoran hineingleiten : als Schauder erregende Verinnerlichung von dem, was gemeinhin Liebe genannt wird. Michael Schaerer hat für seinen Diplomfilm an der School of Visual Arts in New York mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den Student Academy Award in der Kategorie «Alternative».