Antonia ist eine gehörlose Nonne, die in einem Obdachlosenheim in Zürich arbeitet. Im Lauf der täglichen Zuglahrten zwischen dem Kloster und ihrer Arbeitsstelle lernt sie Mikas kennen, einen ebenfalls gehörlosen jungen Mann aus Litauen, der einst eine Zirkusschule besuchte und sich jetzt als Taschendieb durchschlägt. Trotz aller Schwierigkeiten und kulturellen Unterschiede verlieben sie sich ineinander. Auf die ersten Gespräche - in Gebärdensprache - folgen Ausflüge ans Seeufer; später, als sie sich bereits besser kennen, lässt sich Antonia von Mikas zu einem Theaterbesuch überreden. Kurz nach der ersten gemeinsamen Nacht wird er jedoch von einem seiner Diebstahlopfer gestellt und ertrinkt beim Fluchtversuch in der Limmat. Antonia ist erst gelähmt vor Schmerz. Anstatt sich der Welt zu verschliessen, entscheidet sie sich jedoch, den Orden zu verlassen und in Washington an der Gehörlosenuniversität Gallaudet ein neues Leben zu beginnen.
Bereits der Vorspann, der Antonias Kindheit nachzeichnet, lässt keinen Zweifel am Laizismus des Films: Als Bauernkind gerät sie allein wegen ihrer Familie, die «Schwierigkeiten hatte», in Kontakt mit den Schwestern. Später, als sie mit zwanzig in den Orden eintritt, scheint sie dies weniger auf Grund eines religiösen Impulses als wegen ihrer sozialen Prägung zu tun. So löst Antonias Entschluss, ihrer Klosterexistenz ein Ende zu setzen, auch keinen metaphysischen Konflikt aus, sondern vielmehr eine gesellschaftliche und innere Befreiung. Ihre Beziehung mit Mikas erfährt durch ihren Stand zunächst eine romantische Dimension; dann wird die langsame Evolution ihrer Gefühle durch ihre Abwendung von der kirchlichen Autorität noch akzentuiert.
Insofern profitiert die dramaturgische Kurve des Films in erster Linie von Antonias Rekonversion. Ein äusserer Vektor führt Stille Liebe in aufklärerischer Tradition von den mittelalterlichen Klostermauern bis in den Glast des nordamerikanischen Indian Summer, während die innere Dynamik des Films Antonias Selbstfindung nachzeichnet. Hier liegt denn auch das zentrale Anliegen von Stille Liebe, dessen Metaphorik ganz diesem Frauenporträt untergeordnet ist: Nach einer Liebesnacht entdeckt Antonia ihre «Sprache» (in einer diskutablen Szene beklagt sich der Hotelbesitzer über ihre stimmlichen Fähigkeiten); kurz zuvor betrachtet sie, ebenfalls in einem Hotelzimmer, im Dunkeln ihren Körper - dieser Moment der Selbstbesinnung ist mit bressonscher Behutsamkeit gefilmt.
Wenn sich Christoph Schaubs vierter Langspielfilm zunächst durch seine klare, aufs Essenzielle reduzierte Erzählstruktur auszeichnet, erlangt Stille Liebe seine Tiefe zweifellos aus Emmanuelle Laborits Fähigkeit, ihre Darstellung Antonias zu sublimieren. Schaub stützt sich hierbei optimal auf ihre bewegende, zwischen Wild- und Sanftheit oszillierende Interpretation, um seiner Figur jene Tragik zu verleihen, die einst auch Fassbinders grosse Frauenporträts auszeichnete. Selten hat ein Schweizer Film mit ähnlicher Präzision die Grenzen und Möglichkeiten einer weiblichen Hauptfigur nachempfunden.