ANDREA REITER

SULANG-SULANG - DER ABSCHIED (KATH­RIN OESTER)

SELECTION CINEMA

Sulang-Sulang ist ein festlicher Brauch der Batak, eines altmalaiischen Volksstammes im Norden der Insel Sumatra. Der Zeitpunkt für das Sulang-Sulang wird durch das Orakel be­stimmt und eröffnet eine Reihe von Zeremo­nien zur Verabschiedung eines alten Menschen. Gestaltet werden die Feierlichkeiten durch die Nachkommen. Verwandte und Freunde wer­den geladen; es gibt ein Festessen, man feiert, singt und tanzt zusammen. Erinnerungen wer­den ausgetauscht - Versöhnliches und Klären­des soll zu Wort kommen. Für westlich Sozia­lisierte ein bestaunenswerter, ungewöhnlicher Brauch, wird dem Tod doch bereits im Leben jedes Menschen ein prominenter Platz einge­räumt.

Aufhänger des ethnografischen Doku­mentarfilms ist die persönliche Geschichte des in der Schweiz lebenden Indonesiers Kuridin Manurung, der in seine Heimat zurückreist, um für seinen Vater das Sulang-Sulang auszu­richten. Zusammen mit seiner Schweizer Frau und seinen Kindern wird erauf seiner Reise und während der ereignisreichen Tage auf Sumatra von der Filmemacherin Kathrin Oester beglei­tet. Kuridins Familiengeschichte wird aufge­rollt; zugleich bietet der Film einen Einblick in das Leben des Batak-Volkes und dessen Toten­kult. Durch Manurungs Bezug zur Schweiz werden ansatzweise kulturelle Differenzen the­matisiert - nicht nur im Umgang mit dem Tod, sondern auch was das Leben in anderen Kul­turen und gegenseitige Verstehensprozesse im Privaten betrifft.

Im Stil des Cinema Vérité folgt der Film dem Prinzip des nicht intervenierenden Beobachtens. Unkommentiertes Bildmaterial, mit Handkamera gedreht, Interviewsequenzen und Monologe markieren den Ablauf der Er­eignisse. Mit Zwischenblenden werden Orte benannt, Abläufe erläutert, wird Kommendes eingeleitet und räumlich-zeitliche Kontinuität geschaffen. Dieses Verfahren führt jedoch dazu, dass viele interessante Themen nur an­geschnitten werden und Hintergründe, gerade auch zur Kultur der Batak, verborgen bleiben; andere Sequenzen wiederum sind zu ausführ­lich geraten oder bleiben wenig informativ.

Es fehlt dem Film ein Rahmen, der über die Linearität der Ereignisse hinausweisen würde und der ethnografischen Studie eine Mehrdimensionalität verliehe. Sulang-Sulang schwankt zwischen persönlicher Begleitung und ethnologischer Studie, ohne sich jedoch einem der beiden Blickwinkel zu verpflichten.

Kurze Baudrillard-Zitate über den Tod und den Umgang damit in der westlichen Welt tau­chen als Schrifteinblcndungen in den letzten Filmsequenzen auf. Sie sollen als philosophi­sche Komponente den Film abrunden, bleiben - aus dem Zusammenhang gerissen - jedoch in dieser Form ohne Mehrwert.

Andrea Reiter
geb. 1973, Studium der Germanistik, Filmwissenschaft und Philosophie.
(Stand: 2018)
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