PATRICK STRAUMANN

APRÈS LA RÉCONCILIATION (ANNE-MARIE MIÉVILLE)

SELECTION CINEMA

Einer herkömmlichen Rezeption scheint sich Anne-Marie Miévilles vierter abendfüllender Spielfilm zunächst mehr als seine Vorgänger zu verschliessen. Die anspruchsvollen, teils her­metischen Dialoge sind oft manieriert und theatralisch vorgetragen, die Figuren scheinen weder dramaturgischen noch psychologischen Impulsen zu gehorchen. Andererseits gründet der Film auf einer klaren Struktur, die dem Werk eine präzise Stossrichtung verleiht: Apres la réconciliation beginnt mit einem Vorspann, der in seiner prismatischen Form zum Aus­druck der Empfindsamkeit der Filmemacherin wird, und endet mit einer Szene, welche die vier Protagonisten im Zuschauerraum eines Thea­ters zeigt. Der dazwischenliegende Hauptteil kreist allerdings weniger um Fragen der Dar­stellung und der Inszenierung - wie dies die Nähe der Bühne suggerieren könnte - als um jene des sprachlichen Ausdrucks: «Comment peut-on parler de la parole?», fragt sich Anne­-Marie Miéville, bevor sie die sozialen Modalitä­ten und Konsequenzen der Sprache einige Sze­nen später, in Gesellschaft von einer Frau und zwei Männern, testet.

Zuerst ist Miévilles Stimme jedoch selbst­reflexiv. Im Off gesprochen, unterlegen ihre Sätze die einführende Sequenz, die - auf Video gefilmt - die Enkel der Filmemacherin sowie Bilder ihres unmittelbaren Alltags zeigt: Türen, Tische und Fenster, aber auch Auszüge aus ihrem Film Lou n'a pas dit non und Einstellun­gen, die gewisse Szenen von Après la réconcilia­tion trailerartig vorausnehmen. Sie werden spä­ter, in ihrem eigentlichen Kontext, nochmals auftauchen. Diese Assemblage von Blicken - die Bilder tasten die Wirklichkeit mehr ab, als dass sie sie restituierten - erfasst intime und familiäre Momente, persönliche Fragen sowie auch berufliche Erinnerungen. ln ihrer kristal­linen Form, in der sich Vergangenheit und Zu­kunft brechen, zeichnet sich die Subjektivität der Regisseurin ab: Die von Anne-Marie Mié­ville gespielte Figur hat zwar keinen Namen, wir wissen aber dennoch, wer spricht.

Die darauffolgenden Diskussionen zwi­schen den vier Hauptdarstellern scheinen sich ganz der Illustration der «Macht der Sprache» verschrieben zu haben. Die Worte zirkulieren (frei, manchmal aber auch zähflüssig wie der metaphorisch herbeigezogene Pariser Stossverkehr), führen zu Streit und Versöhnung, zu Freundschaft, Trennung und Wiederbegeg­nung. Jenseits der Dialoge, deren Exaltiertheit, Humor und Präzision an Musils Schwärmer erinnern, zeichnet sich zudem eine zweite Dy­namik ab: jene, die von der Introspektion über die Auseinandersetzung mit der Aussenwelt zum künstlerischen Ausdruck führt. «Il faut préserver le secret et sa source», sagt Miéville gleich zweimal zu ihren Gesprächspartnern, und lässt hiermit offen, auf welche innere Re­gung sich ihre filmische Praxis bezieht.

Patrick Straumann
geb. 1964, studierte Filmwissenschaft, arbeitet als freier Filmjournalist, lebt in Paris.
(Stand: 2018)
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