MATTHIAS CHRISTEN

BIRTHDAY (STEFAN JÄGER)

SELECTION CINEMA

Zu seinem 30. Geburtstag hat der Autor und Regisseur Stefan Jäger die vier Schauspieler Bibiana Beglau, Tamara Simunovic, Claudio Caiolo und Harald Koch angeschrieben und ihnen vorgeschlagen, aus gegebenem Anlass einen Film über vier gleichaltrige Freunde zu drehen, die sich nach achtjähriger Trennung Wiedersehen und über ein Jahr verteilt gemein­sam die 30. Geburtstage feiern. Auf ein Dreh­buch wurde bewusst verzichtet. Stattdessen hat Jäger in langen Gesprächen mit den Darstelle­rinnen und Darstellern die Figuren und deren Lebensgeschichte entwickelt. Die einzelnen Szenen waren nur in groben Zügen festgelegt; alles andere sollte sich nach kurzen Proben aus der gemeinsamen Improvisation ergeben. Ste­fan Runge ist es mit seiner mobilen Digital­kamera hervorragend gelungen, den über­raschenden Wendungen des Geschehens zu folgen. Seine Bilder haben einen ausgeprägt dokumentarischen Charakter, der durch das Aufblasen des digitalen Ausgangsmaterials auf 35-mm-Film noch verstärkt wird. Birthday sieht auf den ersten Blick denn auch wie ein Homevideo aus, wobei Runge allerdings die Räume, in denen die Figuren zu Hause sind, über Licht und Farbgebung sehr präzise von­einander absetzt.

Jäger hat die rund 35 Stunden Material, mehrheitlich Plansequenzen, zu einem 90-Minuten-Film verdichtet. Birthday fängt mit Bibianas Geburtstag an, dem letzten in der Reihe: Tamara, Claudio und Harald stellen ent­setzt fest, dass ihre Freundin versucht hat, sich zu ihrem Dreissigsten das Leben zu nehmen. Die Bibiana-Episode dient als Rahmenhand­lung. Die übrigen Geburtstage werden in einer Rückblende chronologisch erzählt und sind mit Szenen unterschnitten, in denen die Freunde verzweifelt versuchen, die sterbende Bibiana zu retten.

Für zusätzliche Spannung sorgt die Eigen­dynamik, die das ausgelassene Feiern im klei­nen Kreis entwickelt. Über vier Geburtstage hinweg enthüllen die Freunde einander immer rückhaltloser ihre Geheimnisse. Birthday er­reicht auf diese Weise eine beeindruckende emotionale Dichte, die nicht zuletzt daher rührt, dass die Schauspielerinnen förmlich in ihren Rollen aufgehen. Das Geschehen auf der Leinwand gewinnt dadurch eine Intensität, der man sich als Zuschauer nur schwer entziehen kann.

Matthias Christen
geb. 1966, Promotion mit einer Arbeit zum Form- und Bedeutungswandel des Lebensreise-Topos in Text- und Bildmedien (to the end of the line, München 1999). Publizistische Tätigkeit zu Fotografie und Film. Lebt als Stipendiat des Schweizerischen Nationalfonds in Berlin; arbeitet an einem Buch zur Geschichte und den Funktionen des Zirkusfilms.
(Stand: 2018)
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