«Es war einmal ein reicher Mann...» - so beginnt Villi Hermanns filmische Fabel. Ein Mädchen, das unaufhörlich vom Himmel in die Hölle und von dort wieder in den Himmel springt, ist die Erzählerin. «Himmel» und «Hölle» sind mit Kreide auf den Asphalt gezeichnet. Am Anfang dieses Dokumentarfilms steht ein Kinderspiel, und dieses verdichtet in den ersten Filmminuten, um was cs in Tamaro geht: Im Gedenken an seine verstorbene Frau will ein reicher Industrieller in den Tessiner Bergen einen Mini-Tadsch-Mahal errichten. Er gewinnt den Stararchitekten Mario Botta und lässt ihm bei der Ausführung weitgehend freie Hand. Botta verpflichtet seinerseits den Künstler Enzo Cucchi, der das Innenleben der Kapelle auf dem Monte Tamaro mit Fresken ausgestalten soll. Die zwei unterschiedlichen Charaktere, die hier zusammenfinden, frappieren: Mario Botta ist eher rationalistisch, wortkarg und in seinem Wesen den Bergen zugetan - egozentrisch, wortreich und von der Weite des Meeres seiner Geburtsstadt Ancona geprägt ist Enzo Cucchi.
Wenngleich der Wahrheitsgehalt der Fabel nicht geklärt wird und auch die ungewöhnliche Situierung der Kapelle nie zur Sprache kommt, gelingt Hermann eine anschauliche Darlegung des kreativen Prozesses. Der Film profitiert sichtlich davon, dass der Autor die beiden Künstler über vier Jahre hinweg begleitet hat. Die Bilder haben eine ungezwungene, intime Qualität: Angeregte Diskussionen hier, erste Skizzen da - und schliesslich zaubern namenlos bleibende Gehilfen die riesigen Fresken an die Wand. Oftmals ist die Kamera ganz nah am Geschehen, zeigt minuziös arbeitende Hände, konzentrierte Gesichter.
Hermanns Erzählweise, der Texttafeln als klärende Einschübe dienen, wirkt jedoch stellenweise zu assoziativ - umso mehr, da das Umfeld sorgsam komponierter Stimmungsbilder und fantastischer Musikeinlagen mehr Stringenz erwarten liesse. Im selben Moment mag man aber zugestehen, dass dies den porträtierten Künstlern, die oftmals völlig unvorhergesehene Entscheidungen treffen, zu verdanken ist. «Morgen wird das Kircheninnere schwarz», sagt Botta einmal und fügt hinzu: «Ursprünglich war es weiss geplant gewesen.»
Irritierend bleibt, dass sich Hermann vor allem Cucchis Schaffen widmet. Dass der Architekt zwar durch seinen markanten, viaduktartigen Bau präsent ist, selbst aber kaum zu Wort kommt, enttäuscht. Trotzdem gelingen Hermann verblüffende Momente. Dann zum Beispiel, wenn er uns - es ist mittlerweile Winter - mittels Plugaufnahmen erstmals die Umgebung der Kapelle sehen lässt: Statt in der erwarteten stillen Abgeschiedenheit finden wir uns plötzlich mitten im profansten Massenskibetrieb wieder, inklusive hässlichem Ausflugsrestaurant, Himmel und Hölle - nur einen Katzensprung voneinander entfernt.