Nach Jean Seberg - American Actress setzen die Brüder Dubini mit Thomas Pynchon ihre Auseinandersetzung mit einer Künstlerbiografie fort. Der Film ist kein «portable Pynchon» - er ist nicht spezifisch dem Werk des Kultautors gewidmet -, sondern orientiert sich am komplexen und beziehungsreichen Konzept, auf dem Pynchons Kunstprinzip basiert und das gemäss seiner Fan-Gemeinde auch seinen Lebensentwurf strukturieren soll.
Verifizierbar ist diese Hypothese allerdings nicht, da sich der Schriftsteller weder interviewen noch fotografieren lässt. Das Publikum ist vielmehr auf Mutmassungen angewiesen, auf Zeugenaussagen ehemaliger Freunde und auf jene spärlichen biografischen Daten, die heute verfügbar sind: Pynchon wurde 1937 im Staat New York geboren, hat in der Marine gedient und für Boeing als Texter gearbeitet. 1963, nach dem durchschlagenden Erfolg seines Erstlingswerks V., verliert sich seine Spur in Mexiko. Seither sind im Abstand von jeweils ungefähr zehn Jahren vier weitere Romane erschienen, die alle sowohl seinen Ruf stärken, einer der wichtigsten Schriftsteller Amerikas zu sein, als auch den «Pynchon-Mythos» speisen.
ln seiner Architektur übernimmt der Dokumentarfilm jene Elemente von Pynchons Literatur, die auch visuell einen exzellenten Rohstoff abgeben: Die Polyphonie der Romane spiegelt sich in den Split-Screen-Bildern des Films; der labyrinthischen Struktur der Texte entsprechen die Tunnelbilder und der Verweis aufs Internet. Und wie Pynchons Bücher entwirft auch der Film eine eigene und subjektive Weltkarte, der die Paranoia und die Verschwörung als Koordinaten dienen. In welchem Mass das amerikanische Raketenprogramm von der deutschen Kriegsindustrie profitierte und ob halluzinogene Drogen auch von der Armee für Spezialeinsätze verwendet wurden, diesen Fragen geht er nach, ohne wirklich eine Antwort zu geben. Das manipulative Moment ist hingegen durch jene Zeugen präsent, die darauf hinweisen, dass Pynchon, der einst persönlich an der Missile-Forschung beteiligt war und sich auch zur selben Zeit wie Lee H. Oswald in Mexiko aufhielt, sein Wirken als CIA-Agent eventuell mit seiner Literatur exorzieren möchte.
Thomas Pynchon will jedoch glücklicherweise nicht die biografischen Rätsel des Autors lösen, sondern, wie es der Untertitel des Films nahe legt, die Welt mit dessen Augen sehen. Dieser Blickwinkel wurde bereits 1974, anlässlich der Verleihung des National Book Award (für Graeity's Rainbour), als modern bezeichnet, weil er den «Verfolgungswahn und die Manipulation als die historischen Motoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts» erkannte. Um als System glaubwürdig zu sein, muss die Paranoia jedoch über ein Zentrum verfügen. Entsprechend wirkt Fosco und Donatello Dubinis Versuch, zum Schluss ihrer Reise wenigstens eine Aufnahme von Pynchon zu zeigen, auch nicht voyeuristisch - im Gegenteil: Wie liesse sich die Vielschichtigkeit von Pynchons Literatur adäquater darstellen als mit einer unscharfen Slowmotion-Aufnahme eines nie definitiv identifizierten Mannes?