DORIS SENN

DIE REISE NACH KAFIRISTAN (FOSCO UND DONATELLO DUBINI)

SELECTION CINEMA

Wie schon in ihren dokumentarischen Werken, in denen sich Fosco und Donatello Dubini mit Vorliebe der biografischen Rekonstruktion widmen, rankt sich auch die Geschichte ihres jüngsten fiktionalen Films um gleich zwei faccttenreiche Persönlichkeiten: Annemarie Schwarzenbach und Ella Maillart.

Schwarzenbach (1908-1942) entstammte der Zürcher Grossbourgeoisie, nahm Teil am ausschweifenden Leben der Berliner Vorkriegs-Bohème und war eng befreundet mit den Geschwistern Erika und Klaus Mann. Nicht nur ihre Homosexualität und ihre Mor­phiumsucht - auch ihr politisches Engagement liess sie immer wieder in Konflikt zu ihrer re­aktionären Familie treten. Die Genferin Mail­lart (1903-1997) war passionierte Sportlerin und bereiste die UdSSR, Turkistan, China und Indien. Ihr Hauptinteresse galt - auch in ihren späteren Reisen - der Identitätssuche, die sie mit dem «Broterwerb» des Reisejournalismus verband. Am Vorabend des Kriegsausbruchs in Europa entschlossen sich die beiden zur Reise ins unerforschte Kafiristan: Maillart konnte die in der x-ten Entziehungskur steckende Freun­din leicht für ihr Reiseziel begeistern und leitete das Unterfangen organisatorisch in die Wege. Schwarzenbach verfügte über ein Reisegefährt, den Ford Roadster de Luxe, und - durch ihre Heirat mit Claude Clarac, dem französischen Botschafter im Iran - über einen Diplomatenpass.

Wer sich mit einer so illustren Vergangen­heit anlegt, muss damit rechnen, an ihr gemes­sen zu werden: Schwarzenbach hielt ihre Ein­drücke in Reportagen fest. Maillart drehte einen Film, machte zahlreiche Fotos und schrieb als Reisebericht und ethnografische Studie das Buch La vie cruelle. Diese dienten den Dubinis als Referenz und wurden teils sehr detailgetreu umgesetzt: so etwa das Bücher­regal im Auto, die luftigen Schlafzelte des Ethnologen-Camps oder die Besuche bei den Nomaden. Im Gegensatz dazu wurde beim Casting auffallend wenig Rücksicht auf physiognomische Ähnlichkeit genommen. Schwar­zenbachs Erscheinung - als «traurige Engels­gestalt» viel bewunden - ist legendär, ihre Porträts wurden zu Ikonen. Jeannette Hain zitiert diese durch die immcrgleiche laszive Pose: im Herrenanzug, ans Auto gelehnt, die Zigarette zwischen den Fingern. Auch Nina Petri als Maillart wirkt befremdend spröd und temperamentlos.

Im Mittelpunkt stand für die Regisseure die Beziehungsdynamik, die sie - ähnlich ihrem ersten fiktionalen Film Ludwig 1881 (1993) in stilisierte Theatralik übersetzten. Über die schwierige Konstellation - Schwarzenbach er­lag schon bald wieder dem Morphium - hypothetisierten die Regisseure zudem eine un­erfüllte Liebesgeschichte. Doch Konflikt und Anziehung: Alles hängt am Wort. Das emotio­nale Knistern bleibt blosse Behauptung. Eben­so die Interaktion mit Land und Leuten: Für die Gegend zwischen der Türkei, dem Iran und Afghanistan behalf man sich mit Aufnahmen aus Jordanien und Usbekistan. Die Tableaus der kargen Gebirgslandschaft verharren aber monoton. Dabei insistiert die Kamera (Mat­thias Kälin) immer wieder auf dem Kontrast zwischen der übermächtigen Natur und dem winzigen Gefährt der beiden Reisenden oder deren schmächtigen Silhouetten vor den impo­santen Bauwerken. Die Topografie vermag sich nicht aus ihrer Kulissenhaftigkeit zu lösen. Poetische Weite gewinnt der Film einzig durch die off zitierten Ausschnitte aus Schwarzen­bachs lyrischen Texten. Schade - sind die Bio­grafien und die Reise der beiden Pionierinnen doch von schillernder Romanhaftigkeit, die nun in papierenen Dialogen und pittoresken Stillleben aufs Flächenhafte reduziert wird.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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