Seine Figuren und Gemälde gehören zu den herausragenden Leistungen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Seine künstlerische Handschrift ist von einer unverwechselbaren Beharrlichkeit in der Suche nach dem eigenen persönlichen Ausdruck geprägt. Ohne Zweifel: Alberto Giacomettis Werk hat auch hundert Jahre nach seinem Geburtstag nichts von seiner vereinnahmenden Kraft eingebüsst. Vor allem die Menschendarstellungen - die auf ihren vitalsten, expressivsten plastischen Kern reduzierten Figuren, aber auch die zeichnerisch aus einem immer dichteren Netz aus Pinselstrichen herausgearbeiteten Porträts - werden Kunst- betrachtcrlnnen noch lange beschäftigen. Daneben ist für das anhaltende Interesse an Giacometti nicht unwichtig, dass hinter dem Werk eine Persönlichkeit steht, die ein grosses Potenzial zur Mythisierung aufweist: ein von seinem inneren Auftrag - der Erlangung der Wahrheit in der Menschendarstellung - total eingenommener Künstler, der in der Abgeschiedenheit des heimatlichen Bcrgells oder im engen Atelier in Paris seinen einsamen Weg verfolgt.
Heinz Bütlers Porträt vermeidet es weitgehend, in den Kanon der Mythisierung einzusetzen. Obwohl die Persönlichkeit Giacometti viel Raum einnimmt, geht es ihm primär darum, in Gesprächen mit Künstlerfreunden wie Henri Cartier-Bresson und Balthus sowie mit ausgewiesenen Kennern wie Eberhard W. Kornfeld, Ernst Scheidegger und Werner Spies Bedingungen für die Entstehung des Werks zu beleuchten. Allein der Giacometti-Biograf James Lord betreibt in seinen Statements noch immer eine unnötige Heroisierung. Insgesamt ergibt sich ein vielfältiges Gesamtbild an Erfahrungen mit dem Künstler und an Gedanken zu dessen Werk. Ergänzt wird dies mit Giacomettis eigenen Reflexionen über Arbeit und Leben, die zu etwas bemühten Aufnahmen von seinen beiden Lebenssphären, Bergwelt und Metropole, cingesprochen werden.
Obwohl auch Plastiken und Bilder gezeigt werden, sind es bezeichnenderweise die Inter- viewsequenzen, die haften bleiben. Das zugegebenermassen fast unüberwindbare Problem des adäquaten Zeigens von Werken der bildenden Kunst im Film ist auch in dieser Dokumentation nicht gelöst. Viel zu schnell werden in den Gemälden Details fokussiert, und die so wichtige und spektakuläre Erfahrung von Figur und Raum kommt ebenfalls kaum zu Stande - gerade bei Giacometti scheint das filmische Medium an seine Grenzen zu stossen. So werden die Werke zur Illustration des Gesagten, und es wird kaum etwas an ihnen selbst entwickelt. Trotz aller versammelter Kunstkompetenz kommt der Film darum auch nicht über die Vermittlung von Gesamteindrücken hinaus. Denn genauere Unterscheidungen von einzelnen Schaffensphasen oder etwa Kritik an einzelnen Werken, vielleicht auch die Entmythisierung des solitären Künstlers durch die Einbindung in einen kunstgeschichtlichen Kontext, müssten mit und an den Bildern und Plastiken selbst vollzogen werden können.