Seine Bilder versprühen verschmitzten Charme und liebevolle Boshaftigkeit. Ob er nun seine Tochter Patrizia als kugelrundes Baby oder Hugo Loetscher als Denker mit Luziferohren porträtiert, einen tänzelnden Regenschirm malt oder eine Matratze, die wie eine Sturmwelle den Liegenden zu verschlingen scheint: Immer verfügen die Sujets über ein temperamentvolles Eigenleben, das die Rahmen seiner Gemälde schier zu sprengen scheint. Varlin - Pseudonym für Willy Guggenheim - heisst der Maler, dem Friedrich Kappeler zu seinem 100. Geburtstag das filmische Porträt widmet. 1900 wurde dieser in Zürich geboren - und blieb der Stadt in Hassliebe sein Leben lang verbunden. Nach Reisen und Auslandaufenthalten kehrte er immer wieder dorthin zurück, obwohl er nicht aufhörte, mit der Provinzialität seiner Geburtsstadt zu hadern - und damit, dass sie ihm die Anerkennung bis ins Alter verweigerte. Doch da hatte er bereits eine andere Heimat gefunden: das Bergeller Dori Bondo, wo seine junge Frau Franca Giovanoli ein Haus besass und wo er 1977 starb.
Mit kräftigen Strichen und präzis platzierten Farbtupfern skizzierte Varlin Gegenstände und Räume, porträtierte er Menschen, Freunde und - erst spät - auch Auftraggeber. Mit seinem Blick für das Wesentliche verdichtete er in seiner Malerei Aussehen und charakteristische Pose. Ja er war davon überzeugt, dass sich das Modell mit der Zeit immer mehr seinem Porträt angleichen würde. Dabei war er ebenso schonungslos in der Darstellung anderer wie in seinen eindrücklichen - späten - Selbstporträts.
Kappeler, der bereits mit Ad. Dietrich - Kunstmaler (1991) und Gerhard Meier - die Ballade vom Schreiben (1995) das künstlerische Schaffen in der Enge Helvetiens auslotete, versucht, Leben und Person des malenden «Wilden» über Aussagen seiner Angehörigen - vor allem Varlins Tochter Patrizia Guggenheim, die seinen Nachlass verwaltet - und Freunden - vor allem I fugo Loetscher -, von Kunsthistorikerinnen und Sammlern zu fassen. Dazwischen zitiert er Varlin aus seiner autobiografischen Schrift: Der Künstler war nicht nur ein begnadeter Porträtist, er war auch ein Meister des Aphorismus sowie ein Liebhaber des Wortspiels und Kalauers. Zusammen mit den anekdotenreichen Erzählungen über das Künstleroriginal verleihen sie dem Film trotz des von vielen Enttäuschungen geprägten Werdegangs Varlins eine heitere Note.
Immer wieder setzt Kappeler die Gemälde ins Bild, ergänzt sie mit Aufnahmen eines Amateurvideos aus der Zeit in Bondo sowie mit Ausschnitten aus einem ersten Filmporträt, das Ludy Kessler, der mit Varlin befreundet war, 1972 fertig stellte. Die biografischen Stationen illustriert der Regisseur mit stimmigen Aufnahmen der Orte - Paris, Zürich, Bondo -, wie sie sich heute präsentieren. Schade nur, dass die auf Video festgehaltenen und auf 35 mm gefasten heutigen «testimonials» von schummriger Bildqualität sind, deren ausgeblasste Farben fast historisierend wirken. Dies tut allerdings dem Zauber, der von diesem illustren Schweizer Maler ausgeht, und der Kraft und dem Witz, die seine Bilder ausstrahlen und die in Kappelers filmischer Hommage treffend eingefangen sind, keinen Abbruch.