«Ethnische Säuberung» lautet der Neologismus, der für die Vertreibung und Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen im letzten Balkankrieg geprägt wurde. Die Schaffung ethnisch homogener Lebensräume war das Ziel dieser Menschen verachtenden Politik, die uns Westeuropäer insofern tangierte, als viele der Vertriebenen ganz ohne Zufluchtsort blieben und hier um Asyl nachsuchen mussten. Darunter war auch eine Bevölkerungsgruppe, deren Schicksal in den Medien kaum zur Sprache kam: die Roma.
Während Jahrhunderten hatten sich die Fahrenden auf dem Balkan frei bewegen können. Nun waren sie in keiner der neu geschaffenen Zonen mehr willkommen. Eine grosse Anzahl von ihnen setzte im Verlauf des Konfliktes nach Italien über. Die italienischen Behörden quartierten die Vertriebenen in Lagern ein, in denen ein menschenwürdiges Leben zu führen fast ausgeschlossen scheint: Die sanitären Einrichtungen sind dürftig, die zur Verfügung gestellten Behausungen kaum bewohnbar, die Lager von den Stadtzentren, Arbeitsund Schulorten kilometerweit entfernt.
Diese unwürdige Behandlung der Roma thematisierte der Schriftsteller Antonio Tabuc- chi in seinem Buch Gli Zingari e il Rinascimento, in der er das Los der Zugewanderten in und um Florenz schilderte. Von Tabucchi wiederum liess sich der 41-jährige Italoschweizer Silvio Soldini - bislang vor allem als Regisseur von Spielfilmen in Erscheinung getreten - zu einem Dokumentarfilm inspirieren. Rom Tour besteht hauptsächlich aus Interviews mit Betroffenen. Verschiedene Aspekte des Lagerlebens kommen zur Sprache: die hygienischen Verhältnisse, die prekäre Wohnsituation, die Ausbildung der Kinder, der Arbeitsweg. Die einzelnen Aussagen summieren sich zu einer vielstimmigen Anklage gegen die menschenunwürdige Situation, in der die Roma leben müssen. Dazwischen schneiden Soldini und sein Mitrealisator Giorgio Garini eher analytische Passagen, in denen etwa linke Lokalpolitiker von ihrem Bemühen um bessere Verhältnisse berichten.
Soldini macht sich mit seinem Film vorbehaltlos zum Sprachrohr der Fahrenden. Sein Ansatz ist weder ethnografisch noch kritisch, sondern aktivistisch. Rom Tour ist ein Pamphlet, und mit der Fokussierung auf die Interviewtechnik verfolgt und realisiert der Regisseur das Ziel, das Publikum aufzurütteln. Man wünscht dem Film sehr, dass ihn jene italienischen Politiker zu Gesicht bekämen, die den geschilderten Missständen direkt Abhilfe verschaffen könnten. Man wünscht sich aber fast noch mehr, dass die Verantwortlichen dieser Missstände selbst vor der Kamera zur Rechenschaft gezogen würden. Fredi Murer hat mit Der grüne Berg (1990), seinem Film über die Endlagerung radioaktiver Abfälle, gezeigt, welche subtilen Mittel der Denunziation bürokratischer Arroganz dem Dokumentarfilmer zu Verfügung stehen. Etwas mehr institutionskritische Konfrontationslust hätte auch diesem Film gut getan.